Handelskapital und Handelsprofit
Leihkapital und Zins

1.2.2
Der Handelsprofit und seine Quelle.
Die Beteiligung des Handelskapitals am Ausgleich
der Profitraten zur allgemeinen Durchschnittsprofitrate

Wenn auch das Handelskapital Vorteile für die Verwertung des Gesamtkapitals hat und deshalb notwendig ist, so steht dennoch fest, daß beim Kauf und Verkauf kein Wert und folglich auch kein Mehrwert entstehen kann. Karl Marx schreibt: „Wenn das Verkaufen und Kaufen von Waren … durch die industriellen Kapitalisten selbst keine Wert oder Mehrwert schaffenden Operationen sind, so werden sie es unmöglich dadurch, daß sie statt von diesen, von andren Personen verrichtet werden.“12 Und weiter: „Das Warenhandlungskapital … schafft weder Wert noch Mehrwert, sondern vermittelt nur ihre Realisation …“13 Wenn also beim Kauf und Verkauf kein Wert und folglich auch kein Mehrwert entstehen kann, das Handelskapital jedoch dennoch selbständig fungierendes Kapital ist, das sich verwertet, so ergibt sich die Frage, wie die Verwertung des Handelskapitals im Kapitalismus erfolgt.

Bei nur oberflächlicher Betrachtung erscheint der Profit des Handelskapitals als ein Aufschlag auf den Wert der Waren. Viele bürgerliche Ökonomen knüpfen hier an und erklären den Handelsprofit und dessen Höhe aus der Tüchtigkeit der Handelskapitalisten, die durch ihre speziellen Kenntnisse in der Lage seien, die Marktsituationen auszunutzen und durch entsprechende Preismanipulationen Profite zu realisieren.

Selbstverständlich können bestimmte Marktsituationen im Interesse des Profits ausgenutzt werden. Das gilt für das Handelskapital ebenso wie für das industrielle Kapital. Aufgrund dessen können die einzelnen Handelskapitalisten unterschiedliche Profitraten realisieren. So sehr es jedoch im Einzelfall möglich ist, Waren über dem Wert zu verkaufen oder unter dem Wert einzukaufen, so erklärt dies nicht die wirkliche Quelle des kommerziellen Profits; denn das Wertgesetz erfordert, daß im Rahmen der gesamten warenproduzierenden Gesellschaft die Waren zu ihren Werten beziehungsweise im Kapitalismus der freien Konkurrenz zu Marktproduktionspreisen ausgetauscht werden. Folglich gleichen sich die Preisabweichungen vom Wert oder vom Marktproduktionspreis aus.

Im Unterschied zum Handelsprofit des Handelskapitals in den vorkapitalistischen Produktionsweisen, der im wesentlichen durch Betrug und Prellerei sowie Verstoß gegen das Wertgesetz entstand, kann der Handelsprofit im Kapitalismus keine andere Quelle haben als den von den Lohnarbeitern in der materiellen Produktion geschaffenen Mehrwert beziehungsweise Profit. Karl Marx schreibt: „Da das Kaufmannskapital selbst keinen Mehrwert erzeugt, so ist klar, daß der Mehrwert, der in der Form des Durchschnittsprofits auf es fällt, einen Teil des von dem gesamten produktiven Kapital erzeugten Mehrwerts bildet.“14

Die industriellen Kapitalisten müssen den Handelskapitalisten einen Teil des Mehrwerts beziehungsweise Profits dafür überlassen, daß diese die Realisierung ihres Warenkapitals übernehmen.

Der Anteil des Handelskapitals am Profit des industriellen Kapitals mißt sich am aufgewandten Zusatzkapital des Handelskapitalisten. Wie jedes fungierende Kapital, so fordert auch das Handelskapital den Durchschnittsprofit auf das von ihm angewandte Kapital. Wäre das nicht der Fall, wäre der Profit zum Beispiel kleiner, dann würde kein Kapital im kapitalistischen Handel angelegt werden. Würde das Handelskapital in der Regel einen höheren Profit als den Durchschnittsprofit realisieren, dann würde solange Kapital in die Zirkulationssphäre abwandern, bis der Ausgleich der Profitraten erfolgte.

Das Handelskapital unterliegt dem Konkurrenzkampf um die beste Anlagesphäre genauso wie das industrielle Kapital und wie jedes fungierende Kapital. Jedes Kapital – auch das Handelskapital – erfordert entsprechend seiner Größe einen Anteil am Gesamtprofit. Der Konkurrenzkampf gleicht in einem spontanen, anarchischen Prozeß die individuellen Profitraten zu einer allgemeinen Durchschnittsprofitrate aus, und das Handelskapital ist an der Bildung der Durchschnittsprofitrate beteiligt. „Das Kaufmannskapital geht also ein in die Ausgleichung des Mehrwerts zum Durchschnittsprofit, obgleich nicht in die Produktion dieses Mehrwerts. Daher enthält die allgemeine Profitrate bereits den Abzug vom Mehrwert, der dem Kaufmannskapital zukommt, also einen Abzug vom Profit des industriellen Kapitals.“15

Veranschaulichen wir uns die Teilnahme des Handelskapitals an der Bildung der Durchschnittsprofitrate an einem einfachen von Karl Marx entwickelten Zahlenbeispiel.16

Nehmen wir an, das während eines Jahres angewandte industrielle Gesamtkapital einer Gesellschaft besteht aus

720 c + 180 v = 900,

die Mehrwertrate beträgt 100 Prozent.

Zur Vereinfachung unterstellen wir, daß das gesamte konstante Kapital auf das neue Produkt übertragen wird. Der Wert beziehungsweise Produktionspreis ist demzufolge

720 c + 180 v +180 m = 1080,

die Profitrate beträgt 20 Prozent

( 180 × 100 )
900

Sie entspricht, wie früher entwickelt, der Durchschnittsprofitrate des industriellen Kapitals. In ihr ist das Handelskapital also nicht berücksichtigt. Da die produzierten Waren jedoch noch verkauft werden müssen, ist ein Zusatzkapital für den Kauf der Waren, für Handelseinrichtungen und für kommerzielle Lohnarbeiter, notwendig, das vom industriellen Kapitalisten aufgebracht werden müßte, wenn es nicht der Handelskapitalist täte. Wir wollen annehmen, daß es 100 beträgt. Mithin ist das Gesamtkapital der Gesellschaft nunmehr

720 c + 180 v + 100 = 1000

Durch das Hinzutreten des Zusatzkapitals für die Realisierung der Waren ändert sich die Größe des Mehrwerts nicht, weil das Zusatzkapital keinen Mehrwert produziert, nicht als produktives Kapital angewandt wird. Es ändert sich jedoch die Profitrate, denn der produzierte Mehrwert von 180 muß nun auf ein Gesamtkapital von 1000 verteilt werden. Folglich beträgt die Profitrate nicht mehr 20 Prozent, sondern nur noch 18 Prozent

( 180 × 100 )
1000

Das ist die Durchschnittsprofitrate. Da der Handelskapitalist und nicht der industrielle Kapitalist das Zusatzkapital vorschießt, realisiert er wie der industrielle Kapitalist eine Profitrate von 18 Prozent.

Durch die Teilnahme des Handelskapitals an der Bildung der Durchschnittsprofitrate sinkt zwar die allgemeine Durchschnittsprofitrate. In Wirklichkeit verbessert das Handelskapital jedoch die Verwertungsbedingungen des Gesamtkapitals, weil die Konzentration des Zirkulationskapitals in den Händen der Handelskapitalisten viel vorteilhafter ist, als wenn jedes individuelle Kapital die Realisierung seiner Waren selbst vornehmen würde.17 Karl Marx schreibt: „Soweit diese mit dem Zirkulationsgeschäft selbst verbundnen Zusatzkosten dem industriellen Kapitalisten nun abgenommen werden vom kaufmännischen, findet diese Verminderung der Profitrate auch statt, nur in geringerm Grade und auf anderm Wege.“18

In unserem Beispiel realisiert das Handelskapital entsprechend der allgemeinen Durchschnittsprofitrate von 18 Prozent auf sein Kapital von 100 einen Profit von 18, das industrielle Kapital von 162 (18 Prozent auf 900). Der Preis, zu dem die industriellen Kapitalisten die Waren an die Handelskapitalisten verkaufen, ist

720 c + 180 v + 162 m = 1062

Die Handelskapitalisten verkaufen sie zu

1062 + 18 = 1080,

das heißt zu ihrem Produktionspreis, nicht über ihrem Produktionspreis.

Durch das Dazwischentreten des Handelskapitals stellt sich der Produktionspreis nun dar als

k + p + h

k = Kostpreis, p = industrieller Profit, h = Handelsprofit

Auf unser Beispiel angewendet:

720 c + 180 v + 18 h = 1080

Damit wird die uns bekannte Formel

Produktionspreis = Kostpreis + Durchschnittsprofit

ergänzt und konkretisiert. Sie drückt jetzt aus, daß das Handelskapital an der Bildung des Durchschnittsprofits teilnimmt und dieser auch zwischen industriellem und Handelskapital aufgespalten wird.

An der Oberfläche stellt sich der Handelsprofit als Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis der Waren dar.

Aus dem bisher Entwickelten ergibt sich:

  1. Je größer das Handelskapital im Verhältnis zum industriellen Kapital, desto kleiner ist die Profitrate des industriellen Kapitals und umgekehrt.
  2. Wenn die Profitrate oder die Durchschnittsprofitrate immer kleiner ist als die Mehrwertrate, so wird diese Erscheinung durch das Hinzutreten des Handelskapitals weiter verstärkt, weil sie dadurch noch niedriger ausgewiesen wird.

Mehr noch. Im Handelsprofit ist die wirkliche Quelle des Profits noch stärker verschleiert als in der Form des industriellen Profits; denn das Handelskapital nimmt nicht an der materiellen Produktion, demzufolge auch nicht an der Produktion des Mehrwerts oder des Profits, wohl aber an deren Realisierung teil. Es verstärkt sich folglich der Schein, als würde sich der Profit im Handel bilden. Dieser falsche Schein ist auch Ansatzpunkt für die Erklärung des Handelsprofits durch die bürgerliche Vulgärökonomie.

Nach der von Marx gegebenen Darstellung erscheint es so, als würde die allgemeine Profitrate, die durch den Konkurrenzkampf der industriellen Kapitalisten entsteht, erst später ergänzt und modifiziert dadurch, daß das Kaufmannskapital dazwischentritt. Das ist notwendig, um zu verstehen, daß das Handelskapital dem industriellen Kapital untergeordnet ist. In der historischen Entwicklung jedoch existiert das Handelskapital früher als das industrielle Kapital. Es war die Sphäre, in der sich zuerst eine allgemeine Profitrate herausbildete, und der kommerzielle Profit bestimmte ursprünglich den industriellen Profit.19 Als sich jedoch die kapitalistische Produktionsweise durchsetzte und das Handelskapital dem industriellen Kapital untergeordnet wurde, reduzierte sich der Handelsprofit auf einen Teil des von der Arbeiterklasse produzierten Gesamtmehrwerts.

Die Teilnahme des Handelskapitals an der Bildung des Durchschnittsprofits erfordert auch, daß wir unsere Erkenntnisse über den Regulierungsmechanismus des Kapitalismus der freien Konkurrenz ergänzen.

Erstens ist zu beachten, daß das Handelskapital an der Regulierung des Ziels der kapitalistischen Produktion beteiligt ist, indem es an der Bildung der Durchschnittsprofitrate teilnimmt, ohne an der Produktion des Profits teilzunehmen. Das Zusatzkapital des Handelskapitals führt zum Sinken der allgemeinen Durchschnittsprofitrate, weil der Profit nur in der materiellen Produktion entsteht. Es bewirkt jedoch eine relative Verbesserung der Verwertung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals, weil das Zusatzkapital des Handelskapitalisten kleiner ist, als es sein würde, wenn die industriellen Kapitalisten die Realisierung ihrer Waren selbst vornehmen müßten.

Zweitens: Durch die Kapitalwanderung beziehungsweise den Konkurrenzkampf um die profitabelste Kapitalanlagesphäre erfolgt nicht nur eine Verteilung des produzierten Mehrwerts als Durchschnittsprofit innerhalb des industriellen Kapitals, sondern das Handelskapital wird einbezogen. Demzufolge ist auch der Bereich des kapitalistischen Handels in den Prozeß der Verteilung der gesellschaftlichen Produktivkräfte, der Produktionsmittel und der Arbeitskräfte eingeschlossen.

Drittens: Mit der Beschleunigung des kapitalistischen Reproduktionsprozesses trägt das Handelskapital durch seine Marktkenntnisse, -erfahrungen und -verbindungen, aber auch durch die Erforschung neuer Bedürfnisse und Absatzmöglichkeiten zur Entwicklung der Produktivkräfte bei.

Viertens: Die Teilnahme des Handelskapitals an der Herausbildung der Durchschnittsprofitrate hat auch Auswirkungen auf die Lage der Arbeiterklasse. Die Kapitalwanderung verursacht Produktionseinschränkungen in bestimmten Wirtschaftszweigen, führt zur Verschärfung der Ausbeutung der Arbeiter und Angestellten dort, wo die Verwertungsbedingungen des Kapitals sich relativ verschlechtern, und zwingt sie, in solche Zweige abzuwandern, die sich ausdehnen.

Das Verhältnis von industriellem Kapital und Handelskapital kann man in diesem Zusammenhang folgendermaßen charakterisieren: Die Vertreter beider Gruppen gehören zur Klasse der Kapitalisten und existieren von der Ausbeutung der Lohnarbeiter. Sie haben insofern stets gemeinsame Ausbeuterinteressen; denn von der Höhe der Ausbeutung hängt die Höhe ihres Profits ab. Da sie ihr Kapital jedoch in verschiedenen Sphären angelegt haben und verwerten, trennen sie zum Teil gegensätzliche Interessen. Der Konkurrenzkampf um höchstmögliche Verwertung des Kapitals findet hier seinen besonderen Ausdruck in Interessengegensätzen zwischen industriellem Kapital und Handelskapital. Aus ihnen erklären sich unter anderem auch wirtschaftliche und politische Kämpfe innerhalb der Kapitalistenklasse, die sich auch auf die Lage der Arbeiterklasse auswirken und die sie in ihrem Kampf berücksichtigen muß.