Handelskapital und Handelsprofit
Leihkapital und Zins

1.5
Die Ausbeutung der kommerziellen Lohnarbeiter
durch das Handelskapital

Bei der Behandlung des Handelsprofits und seiner Quelle stellten wir fest, daß sich die Handelskapitalisten durch ihre spezielle Tätigkeit einen Teil des in der materiellen Produktion von den Lohnarbeitern erzeugten Mehrwerts beziehungsweise Profits aneignen. „Um an der Mehrwertsmasse teilzunehmen, um seinen Vorschuß als Kapital zu verwerten, braucht daher der kaufmännische Kapitalist keine Lohnarbeiter anzuwenden. Wenn sein Geschäft und sein Kapital klein ist, mag er selbst der einzige Lohnarbeiter sein, den er anwendet. Wodurch er bezahlt wird, ist der Teil des Profits, der ihm aus der Differenz zwischen dem Kaufpreis der Waren und dem wirklichen Produktionspreis erwächst.“29

Bei kleinem Kapitalvorschuß ist der Profit, den der Handelskapitalist realisiert, ebenfalls relativ klein. Er braucht die Größe des Arbeitslohnes eines besser bezahlten Lohnarbeiters nicht zu übersteigen und kann, wie Karl Marx bemerkt, sogar darunter liegen. Die Handelskapitalisten beschäftigen jedoch Lohnarbeiter.

Die Konzentration des Handels und die Anwendung einer entsprechend großen Anzahl von Arbeitskräften hat zwei bedeutende Vorteile30:

Erstens kostet es nicht mehr Zeit, mit großen anstatt mit kleinen Zahlen zu rechnen. Es kostet zehnmal soviel Zeit, zehn Einkäufe für 1000 € als einen Einkauf für 10.000 € zu machen. Analoges gilt für Korrespondenz, Buchführung usw. Die innerbetriebliche Arbeitsteilung erspart Arbeitszeit in bedeutendem Umfang, „so daß die im Großhandel verwandte Zahl von kaufmännischen Arbeitern in gar keinem Verhältnis steht zu der vergleichsmäßigen Größe des Geschäfts“31. Auch die Ausgaben an konstantem Kapital sind in einem Großunternehmen relativ geringer als in einem kleinen.

Zweitens ist der Kapitalvorschuß zum Kauf der Waren (B) plus variables Kapital des Handelskapitalisten (b) in einem Großunternehmen kleiner als die Gesamtsumme von B sein müßte, wenn nicht b angewandt würde, weil durch die Anwendung von Lohnarbeitern auch der Umschlag des Kapitals beschleunigt wird.

Da beim Kauf und Verkauf der Waren kein Mehrwert produziert wird, ergibt sich die Frage nach der Ausbeutung der im Handel beschäftigten Arbeiter und Angestellten. Die kommerziellen Lohnarbeiter produzieren zwar im Unterschied zu den Arbeitern des industriellen Kapitals keinen Mehrwert, aber sie sind indirekt an der Mehrwertproduktion beteiligt. Indem sie zur Verminderung des zur Zirkulation notwendigen Kapitals beitragen, vermehren sie entscheidend das produktive Kapital. Sie befinden sich jedoch in der gleichen materiellen und sozialen Lage wie die Industriearbeiter. Wie jene besitzen sie keine Produktionsmittel und können ihre Existenzmittel nur durch den Verkauf der Ware Arbeitskraft erlangen. Sie besitzen auch kein Handelskapital, um selbst Handel treiben zu können.

Der Unterschied zwischen Industrie- und Handelsarbeitern besteht zunächst nur darin, daß die einen in der Produktionssphäre und die anderen in der Zirkulationssphäre arbeiten, die einen produktiv und die anderen unproduktiv tätig sind, die einen den Mehrwert produzieren und die anderen ihn realisieren.

Ebenso wie für die in der materiellen Produktion beschäftigten Arbeiter wird der Lohn der im kapitalistischen Handel tätigen Lohnarbeiter vom Wert der Ware Arbeitskraft bestimmt. Demzufolge teilt sich auch ihr Arbeitstag in notwendige Arbeitszeit und Mehrarbeitszeit.

In der notwendigen Arbeitszeit realisieren sie für den Handelskapitalisten eine Profitmasse, die dem Wert ihrer Arbeitskraft entspricht und das variable Kapital ersetzt, das der Handelskapitalist beim Kauf der Ware Arbeitskraft verausgabt hat.

In der Mehrarbeitszeit wird die Profitmasse realisiert, die dem Profit des Handelskapitals und den Ausgaben für das konstante Kapital entspricht. Je länger folglich die Mehrarbeitszeit der Handelsangestellten, desto größer ist die Masse des Profits, den sie kostenlos für den Handelskapitalisten als Handelsprofit realisieren.

Die individuelle Profitrate des Handelskapitals ist folglich nicht nur durch den Umfang und die Rate der Ausbeutung der Arbeiter in der materiellen Produktion, durch die produzierte Mehrwertmasse sowie die sich daraus ergebende Durchschnittsprofitrate des industriellen Kapitals bestimmt, sondern auch vom Ausbeutungsgrad der kommerziellen Lohnarbeiter. Deshalb wird mit der Entwicklung des Kapitalismus der Ausbeutungsgrad dieser Abteilung der Arbeiterklasse ebenfalls erhöht. Das geschieht insbesondere durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Arbeitsintensität.

Dem Wesen nach werden die im kapitalistischen Handel beschäftigten Arbeiter und Angestellten ebenso ausgebeutet wie die Lohnarbeiter in der materiellen Produktion. Sie alle erhalten bestenfalls den Wert der Ware Arbeitskraft bezahlt, leisten unbezahlte Mehrarbeit, deren Ergebnis sich die Kapitalisten aneignen. Karl Marx schreibt: „Der kommerzielle Arbeiter produziert nicht direkt Mehrwert. Aber der Preis seiner Arbeit ist durch den Wert seiner Arbeitskraft, also deren Produktionskosten, bestimmt, während die Ausübung dieser Arbeitskraft, als eine Anspannung, Kraftäußerung und Abnutzung, wie bei jedem andren Lohnarbeiter, keineswegs durch den Wert seiner Arbeitskraft begrenzt ist. Sein Lohn steht daher in keinem notwendigen Verhältnis zu der Masse des Profits, die er dem Kapitalisten realisieren hilft. Was er dem Kapitalisten kostet und was er ihm einbringt, sind verschiedne Größen. Er bringt ihm ein, nicht indem er direkt Mehrwert schafft, aber indem er die Kosten der Realisierung des Mehrwerts vermindern hilft, soweit er, zum Teil unbezahlte, Arbeit verrichtet.“32

Die Mehrwertrate ist auch im kapitalistischen Handel das Verhältnis von m : v. Sie kann jedoch unter Berücksichtigung der Besonderheiten im Handel auch definiert werden „als Verhältnis des Teiles des realisierten Wertes, der bei gegebenem Anteil des Handelskapitals am Gesamtwert der Erzeugnisse die Erzielung des Handelsprofites sichert, zu dem Teil des realisierten Wertes, der bei eben jenem Anteil des Handelskapitals dem Kaufmann den Ersatz des variablen Kapitals sichert. In der Praxis kann man die Ausbeutungsrate der im Handel Beschäftigten als Verhältnis der Summe des Handelsprofites zur Summe der gezahlten Löhne und Gehälter ausdrücken.“33

Früher zählten die kaufmännischen Angestellten und die Handelsangestellten im Kapitalismus zu den besser bezahlten Lohnarbeitern, weil ihre Arbeit eine entsprechende Qualifikation erforderte. Sie war komplizierte Arbeit im Unterschied zur einfachen Arbeit der Mehrheit der damaligen Industriearbeiter. Marx hat jedoch bereits darauf hingewiesen, daß mit der Entwicklung des Kapitalismus die Löhne der kommerziellen Arbeiter rasch fallen werden, weil die fortschreitende Mechanisierung und anderes auch diese Arbeit zu einer einfachen mechanischen Tätigkeit werden läßt. Die Arbeitsteilung innerhalb der Handelsunternehmen und Kontore führt zur Vereinfachung der Arbeit und zur Minderung der Qualifikation großer Teile der Handelsangestellten und des kaufmännischen Personals, bei gleichzeitiger Erhöhung der Qualifikation einer kleinen leitenden Oberschicht.

Formen der zusätzlichen Ausbeutung der im Handel beschäftigten Arbeiter und Angestellten sind ferner die Frauenarbeit und die Teilzeitbeschäftigung, die im Handel besonders ausgeprägt sind. Die Löhne der Frauen sind nach wie vor niedriger als die der Männer, und die weiblichen kommerziellen Lohnarbeiter sind von der Entwertung bestimmter Arbeiten besonders betroffen. Sie bekommen meistens die geringer bezahlten Arbeiten zugewiesen. Die Teilzeitbeschäftigung ermöglicht es den Handelskapitalisten, die Intensivierung der Arbeiten und damit den Ausbeutungsprozeß zu erhöhen. Auf diese Weise ist es besonders den großen Handelsunternehmen möglich, Extraprofite zu realisieren.

Die Höhe der individuellen Handelsprofitrate hängt jedoch nicht nur vom Anteil am industriellen Profit und der Höhe der Ausbeutung der kommerziellen Lohnarbeiter ab, sondern auch davon, ob und in welchem Maße es gelingt, die Waren über dem Wert zu verkaufen und dabei vor allem Lohn, aber auch andere Einkommen in Handelsprofit zu verwandeln. Das kann in vielfältigen Formen geschehen, zum Beispiel über den Preis, über den Konsumentenkredit34, durch Warenfälschungen, Täuschungen, Manipulation der Käufer usw.

Die einfachen Warenproduzenten können zusätzlich fast auf die gleiche Weise wie im Mittelalter ausgebeutet werden, indem insbesondere die kapitalistischen Großkaufleute (heute vor allem die Handelsmonopole) sie zwingen, ihnen Waren unter dem Wert zu verkaufen und/oder die vom Handel gelieferten Produktionsmittel über dem Wert zu bezahlen. Das gilt vor allem für die Bauern, die über die sogenannte Preisschere von den Monopolen ausgebeutet werden. Da der individuelle Wert der Waren der einfachen Warenproduzenten aufgrund des niedrigen Niveaus der Produktionsbedingungen ohnehin über dem gesellschaftlichen Wert liegt, werden sie auch auf diese Weise in ihrer Existenz bedroht.

Mit Hilfe des Verlagssystems, aber auch in anderen modernen Formen, zum Beispiel des Lohnfertigungssystems, werden einfache Warenproduzenten in Anhängsel des Handelskapitals verwandelt und ausgebeutet. So stellt zum Beispiel das Handelskapital den einfachen Warenproduzenten Produktionsmittel oder Rohstoffe zur Verarbeitung zur Verfügung und verwandelt sie auf diese Weise de facto in eine Art Lohnarbeiter des Handelskapitals. Schließlich ist das Handelskapital auch an der Ausplünderung fremder Völker beteiligt, indem es von ihnen Waren unter dem Wert kauft und solche über ihrem Wert an sie verkauft.