Handelskapital und Handelsprofit
Leihkapital und Zins

2.4
Die Funktionen des Kredits im Kapitalismus

Wie bereits erkennbar, erfüllen Leihkapital und Zins bei der Entwicklung und Regulierung des kapitalistischen Reproduktionsprozesses wichtige Funktionen. Ohne den Kredit, der Bewegungsform des Leihkapitals, ist die kapitalistische Produktion überhaupt nicht denkbar. Die wichtigsten Funktionen des Kredits sind:

Erstens: Mit Hilfe des Leihkapitals können das fungierende Kapital, folglich der kapitalistische Ausbeutungsprozeß, und der produzierte beziehungsweise realisierte Profit vergrößert und die Grenzen des Eigenkapitals überwunden werden.

Da das Leihkapital für den Borger fremdes Kapital und fremdes Eigentum ist, über das er jedoch wie über eigenes Kapital und Eigentum verfügen kann, sind alle Kapitalisten am Kredit interessiert. Das eigene Kapital ist nur noch die Basis für den Kreditüberbau und der Fonds, um sich Kredit zu verschaffen. Im KKK-Band „Die Akkumulation des Kapitals und die Entwicklung der Lage der Arbeiterklasse“ haben wir bereits erfahren, daß das Kapital nichts anderes ist als akkumulierter Mehrwert, als angeeignete fremde Arbeit. Aber selbst dieses „Eigenkapital“ ist nur ein kleiner Teil des Kapitals, die Basis für das Kapital, mit dem der Ausbeutungsprozeß durchgeführt wird.

Was die Kapitalisten riskieren, ist zum großen Teil nicht ihr Eigentum – ganz gleich, ob es sich um akkumulierten Mehrwert handelt oder nicht, sondern fremdes Eigentum. Damit wird der Spekulation Tür und Tor geöffnet.

Zweitens: Bei der Neu- oder Umverteilung der Kapitale und beim Ausgleich der Profitraten zur Durchschnittsprofitrate sowie bei der Umverteilung der gesellschaftlichen Arbeit und der Produktivkräfte auf die verschiedenen Zweige der Volkswirtschaft spielt der Kredit eine außerordentlich wichtige Rolle.

Es ist bekannt, daß die Kapitalwanderung um die profitabelste Kapitalanlage zum Teil dadurch gehemmt wird, daß das produktive Kapital immer an eine bestimmte Naturalform gebunden ist und nicht ohne weiteres aus einem Produktionszweig in einen anderen überwechseln kann. Hochöfen können nicht in Textilmaschinen verwandelt werden. Der Kredit dagegen ist mobil und jederzeit überall anlegbar. Mit seiner Hilfe können neue Werke dort gebaut oder auch bestehende umgebaut werden, wo die Verwertung des Kapitals günstig ist oder günstig zu werden verspricht.

Er hilft, die für die Entwicklung der kapitalistischen Volkswirtschaft notwendigen Proportionen zwischen den Zweigen und innerhalb derselben herzustellen. Der Funktionsmechanismus des Kapitalismus ist ohne den Kredit undenkbar.

Drittens: Der kapitalistische Kredit führt zur Einsparung von Zirkulationskosten. Zunächst werden vor allem die Kosten eingespart, die mit der Emission und dem Umlauf von Geldzeichen verbunden sind, und zwar:

  1. durch gegenseitige Verrechnungen von Forderungen und Verbindlichkeiten der Kapitalisten untereinander;
  2. durch Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, die durch den Kredit erzielt wird; ferner beschleunigt der Kredit die Warenmetamorphose und damit wiederum die Geschwindigkeit der Geldzirkulation;
  3. durch den Ersatz von Metallgeld durch Kreditgeld.

Da durch den Kredit ferner die Realisierung der Waren beschleunigt wird, verkürzt sich deren Zirkulations- oder Umlaufszeit, und es verringern sich folglich die Kosten für die Lagerung der Warenvorräte. Durch das Zusammenfassen der Kassenreserven der einzelnen Unternehmen in den Banken verringern sich ebenfalls die Aufbewahrungskosten des Geldes und die Kosten für Kassen- und Rechnungsführung.

Auf diese Weise trägt der Kredit durch Verringerung des unproduktiven Kapitals und der damit verbundenen relativen Erhöhung des produktiven Kapitals zur Verbesserung der Verwertungsbedingungen des Kapitals und über diese zur Entwicklung der kapitalistischen Produktion bei.

Viertens: Der kapitalistische Kredit ist ein Mittel der Konzentration und Zentralisation der Produktion und des Kapitals. Zunächst ermöglicht er die Vergrößerung des Unternehmens über den Rahmen der Kapitalisierung des Mehrwerts hinaus. Gäbe es den Kredit nicht, wäre der Kapitalist auf die Akkumulation des Mehrwerts angewiesen.

Die Akkumulation des Kapitals ist in der Regel mit der Anwendung moderner und kostspieliger Produktivkräfte verbunden, die die Akkumulationsfähigkeit eines individuellen Kapitalisten übersteigen. Hierbei schafft der Kredit Abhilfe, er fördert die Entwicklung der Produktivkräfte und ihre kapitalistische Anwendung sowie die Herausbildung von modernen Großunternehmen. Diese ermöglichen die rationelle Gestaltung der Produktion, die Steigerung der Arbeitsproduktivität und schließlich die Erhöhung der Ausbeutung.

Da jedoch die mit Hilfe des Kredits entstandenen Großunternehmen zugleich den kleinen und mittleren Betrieben im Konkurrenzkampf überlegen sind, trägt er auch zur Ruinierung von Unternehmen, zur Vergeudung von Produktivkräften und zur Zentralisation der Produktion und des Kapitals bei.

Der Kredit ist schließlich auch deshalb ein Mittel der Zentralisation der Produktion und des Kapitals, weil er in erster Linie größeren Unternehmen eingeräumt wird, die entsprechende Sicherheiten bieten können. Im Imperialismus und im staatsmonopolistischen Kapitalismus werden bei Kreditvergaben vor allem Monopolunternehmen bevorzugt.

Fünftens: Der kapitalistische Kredit dient der internationalen kapitalistischen Arbeitsteilung und der Ausplünderung anderer Völker. So ist es beispielsweise möglich, daß wirtschaftlich zurückgebliebene Länder mit Hilfe von Krediten in die Lage versetzt werden, ihre Produktivkräfte in bestimmten Grenzen zu entwickeln. Mit der kapitalistischen Produktionsweise entsteht und erstarkt jedoch auch die Arbeiterklasse, deren historische Mission es ist, den Kapitalismus zu überwinden und die sozialistische Produktionsweise zu errichten.

Die Kredite, die wirtschaftlich schwachentwickelten Ländern gewährt werden, sind aber mit hohen Zinsen belastet. Auf diese Weise sowie durch gewährte Kredite, die an ökonomische und politische Bedingungen gebunden sind, tragen sie zur Ausplünderung von Entwicklungsländern bei, werden wichtige Akkumulationsmittel der nationalen Wirtschaft entzogen.

Sechstens: Obwohl durch den Kredit die kapitalistische Produktion über die Grenzen des eigenen Kapitals hinaus gesteigert wird, die Produktivkräfte entwickelt werden und die Arbeitsproduktivität erhöht wird, verschärft er die Widersprüche des Kapitalismus.

Das Warenangebot nimmt zu, aber die Produktion der Waren und deren Realisierung sind zwei verschiedene Dinge. Infolge des spontanen Prozesses des Kaufens und Verkaufens auf Kredit und der Ausweitung der Produktion ist nicht gesichert, daß die produzierten Waren später auch tatsächlich gegen bares Geld verkauft und die Zahlungsversprechen eingelöst werden können. Im Gegenteil, mit dem Kredit wird spekuliert. In Zeiten der Konjunktur und der steigenden Preise wird die Produktion auf der Basis der Zahlungsversprechen ohne Rücksicht auf die wirkliche zahlungsfähige Nachfrage forciert, um Extraprofite zu realisieren. Auf diese Weise entsteht durch den Kredit eine fiktive Nachfrage, deren fiktiver Charakter jedoch verhüllt wird.

Erst wenn die Zahlungsversprechen eingelöst werden müssen, tritt der Widerspruch zwischen Produktion und „Konsumtion beziehungsweise zahlungsfähiger Nachfrage und unechter Liquidität offen zutage. Je größer folglich der Widerspruch zwischen der Masse des Kredits und der Produktionsbasis, auf der sie beruht, um so größer sind die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Widersprüche, die vom Kredit ausgehen.

Da es im Kapitalismus kein anderes Kriterium für die Verwendung von Kredit gibt als die besten Verwertungsbedingungen, so wird er dort angewandt, wo diese Bedingungen vorhanden sind oder erwartet werden. Die Verwertungsbedingungen des Kapitals unterliegen aber einem Prozeß ständiger Veränderungen, der sich im schärfsten Konkurrenzkampf vollzieht. Folglich trägt der Kredit zur Entwicklung von Disproportionen in der kapitalistischen Volkswirtschaft bei, indem er zu Überakkumulation und Überproduktion in bestimmten Wirtschaftszweigen bei gleichzeitiger Unterakkumulation und Unterproduktion in anderen Zweigen führt.

Insofern trägt der Kredit zur Entwicklung und Steigerung der Produktion und zugleich zur Verschärfung des Grundwiderspruchs des Kapitalismus, der Widersprüche zwischen Produktion und Konsumtion sowie zwischen den verschiedenen Zweigen und zum Ausbruch oder zur Verschärfung der Wirtschaftskrisen bei.78

In Zeiten der Wirtschaftskrise treten Schwierigkeiten und Störungen auf, weil sich die Bankeinlagen durch die Einlösung der Zahlungsverpflichtungen vermindern oder die Zahlungen nicht eingehen. Dadurch tritt ein Mangel an Bankkredit ein, während gleichzeitig eine große Nachfrage nach Leihkapital oder Geld besteht. Banken gehen bankrott, weil die Deponenten ihre Einlagen plötzlich abheben und die Bankschuldner ihre Kredite nicht zurückzahlen können. Deshalb sind Wirtschaftskrisen sowie Geld- und Kreditkrisen wechselseitig miteinander verbunden.

Die Rolle und die Bedeutung des Kredits hat Karl Marx wie folgt zusammenfassend dargestellt: „Wenn das Kreditwesen als Haupthebel der Überproduktion und Überspekulation im Handel erscheint, so nur, weil der Reproduktionsprozeß, der seiner Natur nach elastisch ist, hier bis zur äußersten Grenze forciert wird, und zwar deshalb forciert wird, weil ein großer Teil des gesellschaftlichen Kapitals von den Nichteigentümern desselben angewandt wird, die daher ganz anders ins Zeug gehn als der ängstlich die Schranken seines Privatkapitals erwägende Eigentümer, soweit er selbst fungiert. Es tritt damit nur hervor, daß die auf den gegensätzlichen Charakter der kapitalistischen Produktion gegründete Verwertung des Kapitals die wirkliche, freie Entwicklung nur bis zu einem gewissen Punkt erlaubt, also in der Tat eine immanente Fessel und Schranke der Produktion bildet, die beständig durch das Kreditwesen durchbrochen wird. Das Kreditwesen beschleunigt daher die materielle Entwicklung der Produktivkräfte und die Herstellung des Weltmarkts, die als materielle Grundlagen der neuen Produktionsform bis auf einen gewissen Höhegrad herzustellen, die historische Aufgabe der kapitalistischen Produktionsweise ist. Gleichzeitig beschleunigt der Kredit die gewaltsamen Ausbrüche dieses Widerspruchs, die Krisen, und damit die Elemente der Auflösung der alten Produktionsweise.“79

Der Kredit bewirkt schließlich eine verstärkte Ausbeutung der Arbeiterklasse und die Bereicherung der Kapitalisten sowie die Verschärfung des Gegensatzes zwischen ihnen. Die Verstärkung der Ausbeutung der Arbeiterklasse über den Kredit erfolgt vor allem durch

  • die Vergrößerung der Anzahl der im kapitalistischen Ausbeutungsprozeß Tätigen infolge der extensiven Ausdehnung des kapitalistischen Produktions- und Ausbeutungsprozesses,
  • Erhöhung des Ausbeutungsgrades durch die Anwendung moderner Produktivkräfte, die mit Krediten finanziert werden,
  • erhöhte Steuern zur Verzinsung von Staatsanleihen,
  • den Konsumentenkredit.

Die Kapitalisten bereichern sich durch die Erhöhung der Masse und der Rate des Mehrwerts, durch die über Staatskredite finanzierten Staatsaufträge usw. und, soweit sie Besitzer von Staatsanleihen sind, durch deren Verzinsung.

In Anbetracht der großen Bedeutung des Kredits ist es deshalb nicht zufällig, daß in der von Keynes begründeten und heute im Neokeynesianismus weiterentwickelten Richtung der bürgerlichen Vulgärökonomie zinstheoretische und kreditpolitische Fragen einen zentralen Platz einnehmen. Der Wirtschaftspolitik der imperialistischen Staaten sollen auf diese Weise Instrumente in die Hand gegeben werden, mit deren Hilfe sie über Kreditausweitungen oder -beschränkungen den kapitalistischen Reproduktionsprozeß antizyklisch beeinflussen soll (Diskontpolitik, Mindestreservenpolitik, Offenmarktpolitik).