Handelskapital und Handelsprofit
Leihkapital und Zins

2.6.1
Die Aktiengesellschaften

Das kapitalistische Kreditwesen beschleunigte die Entwicklung der Produktivkräfte und ermöglichte den einzelnen Privatkapitalisten über die Schranke ihres eigenen Kapitals hinaus, die Produktion zu erweitern, mit fremdem Kapital zu akkumulieren. Die Entwicklung der Produktivkräfte wiederum trieb das Kapitalverhältnis voran. Das Kapitalminimum wuchs an, überschritt die Akkumulationskraft des Privatkapitals und zog fremdes Kapital an, das entweder selbst nicht groß genug war, um sich in produktives Kapital zu verwandeln, oder, und das war das Entscheidende, bei den Banken angesammelt war und als Kredit vergeben wurde.

Der Kredit entwickelte den gesellschaftlichen Charakter sowohl der Produktivkräfte, die Vergesellschaftung der Produktion, als auch des Kapitals selbst. Er bietet „dem einzelnen Kapitalisten oder dem, der für einen Kapitalisten gilt, eine innerhalb gewisser Schranken absolute Verfügung über fremdes Kapital und fremdes Eigentum und dadurch über fremde Arbeit. Verfügung über gesellschaftliches, nicht eignes Kapital, gibt ihm Verfügung über gesellschaftliche Arbeit.“83 An einem gewissen Punkte wurde auch die Kreditform der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse für die Entwicklung des gesellschaftlichen Charakters der Produktivkräfte zu eng und mußte durch eine höhere Form abgelöst werden. Diese höhere Form der kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse stellte sich in den Aktiengesellschaften dar. Sie ermöglichten eine Ausdehnung der Produktion und der kapitalistischen Unternehmen, wie sie für die privaten Einzelkapitale unmöglich war.

Der Übergang zu Aktiengesellschaften führte zu einer qualitativen Veränderung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse, die schon über die kapitalistischen Produktionsverhältnisse hinauswies. Karl Marx bezeichnete sie daher auch als eine „Übergangsform zu einer neuen Produktionsweise“84 „Das Kapital, das an sich auf gesellschaftlicher Produktionsweise beruht und eine gesellschaftliche Konzentration von Produktionsmitteln und Arbeitskräften voraussetzt, erhält hier direkt die Form von Gesellschaftskapital (Kapital direkt assoziierter Individuen) im Gegensatz zum Privatkapital, und seine Unternehmungen treten auf als Gesellschaftsunternehmungen im Gegensatz zu Privatunternehmungen.“85 Und weiter: „Es ist dies die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise selbst und daher ein sich selbst aufhebender Widerspruch, der prima facie (offensichtlich) als bloßer Übergangspunkt zu einer neuen Produktionsform sich darstellt.“86

Die Aktiengesellschaften sind eine Form der kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse, in der der Grundwiderspruch des Kapitalismus, der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der kapitalistischen Aneignung, nicht nur eine höhere Stufe der Vergesellschaftung der Produktion erzwingt, sondern das Kapital selbst einen gesellschaftlichen Charakter erhält, der in Widerspruch zu seiner privatkapitalistischen Grundlage gerät.

Erstens: Als neue Form kapitalistischen Eigentums ermöglichen die Aktiengesellschaften die Anwendung hochentwickelter Produktivkräfte, die die Kapitalkraft eines Individualunternehmens weit überschreitet. Es sei hier nur an die Entwicklung des Eisenbahnwesens, der chemischen Industrie, der metallurgischen Industrie usw. erinnert.

Mit der Gründung von Aktiengesellschaften werden die freien Geldmittel, die nicht selbständig in fungierendes Kapital verwandelt werden können, in einem solchen Umfang konzentriert, daß Großunternehmen geschaffen werden. Karl Marx schreibt darüber: „Die Welt wäre noch ohne Eisenbahnen, hätte sie solange warten müssen, bis die Akkumulation einige Einzelkapitale dahin gebracht hätte, dem Bau einer Eisenbahn gewachsen zu sein. Die Zentralisation dagegen hat dies, vermittelst der Aktiengesellschaften, im Handumdrehn fertiggebracht.“87

Die Aktiengesellschaften ermöglichen die Produktion in großem Maßstab und die Anwendung der modernsten Technik, erreichen eine höhere als die durchschnittliche Arbeitsproduktivität und damit bedeutende Konkurrenzvorteile. Aber die Produktion in großem Maßstab erfordert auch entsprechend große Märkte. Wie der Kredit im allgemeinen, so beschleunigt die Groß- und Massenproduktion der Aktiengesellschaften den Ausbruch der Widersprüche des Kapitalismus in den Überproduktionskrisen, insbesondere den des Widerspruchs zwischen dem Drang zur schrankenlosen Ausdehnung der Produktion und der Begrenzung der Realisierung durch die zahlungsfähige Nachfrage der Massen.

Zweitens: Die Aktiengesellschaften besitzen bessere und leichtere Akkumulationsmöglichkeiten als die Einzelunternehmen und damit eine größere Wachstumsdynamik. Beim Einzelkapital muß die Akkumulation aus dem Profit, und zwar nach Abzug der Revenue für die individuelle Konsumtion, bestritten werden. Bei den Aktiengesellschaften muß zwar ein Teil des Profits als Dividende ausgezahlt werden, aber der zur Akkumulation zur Verfügung stehende Profit ist absolut und relativ größer. Absolut, weil das größere Kapital einen größeren Profit abwirft, relativ, weil selbst nach Auszahlung der Dividende und der Tantiemen der verbleibende, der Akkumulation zugeführte Profit größer ist.

Den Aktiengesellschaften steht aber auch in viel größerem Ausmaß als den Einzelunternehmen der Bankkredit zur Verfügung. Je umfangreicher das Eigenkapital, nicht nur das Aktienkapital, sondern vor allem das Anlagekapital, und je höher der Profit, desto umfangreicher ist der von den Banken gewährte Kredit.

Drittens sind die Aktiengesellschaften die Basis für eine ungeheure Zentralisation des Kapitals durch das „Beteiligungssystem“. Darunter ist der einseitige oder gegenseitige Aktienbesitz mehrerer Aktiengesellschaften zu verstehen. Das kann so vor sich gehen, daß eine Muttergesellschaft Tochtergesellschaften gründet und über die Mehrheit der Aktien dieser Gesellschaften verfügt. Diese gründen ihrerseits wiederum Tochtergesellschaften usw. Auf diese Weise verfügt die Muttergesellschaft auch über die Tochtergesellschaften und deren „Töchter“ usw. Die Beteiligung kann auch so erfolgen, daß die eine Aktiengesellschaft die Mehrheit der Aktien anderer Gesellschaften aufkauft und so über deren Kapital verfügt.

Durch eine derartige Zentralisation des Kapitals erhält ein Großaktionär oder eine Gruppe von Großaktionären mit einem verhältnismäßig geringen Eigenkapital Macht über ein riesiges gesellschaftliches Kapital. Auf diesem Wege entwickelt sich der Kapitalismus der freien Konkurrenz zum monopolistischen Kapitalismus, ein gesetzmäßiger Entwicklungsprozeß, der von W. I. Lenin in seiner Lehre vom Imperialismus analysiert wurde. Er knüpft dabei unmittelbar an Karl Marx an, der die Vergesellschaftung des Kapitals im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise einen Widerspruch nannte, der in gewissen Sphären das Monopol herstellt und daher die Staatseinmischung herausfordert.88

Die gewaltige Entwicklung der Produktivkräfte, die durch die Aktiengesellschaften vorangetrieben wurde, schafft die materiellen Voraussetzungen des Sozialismus und fördert mit der Konzentration der Produktion und des Kapitals auch die Entwicklung der Kraft, die den antagonistischen Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der kapitalistischen Aneignung durch die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise überwindet.