Kapital und Mehrwert

4.4
Die Möglichkeiten und die prinzipiellen
Schranken des Kapitalismus.
Die historische Aufgabe der Arbeiterklasse
und die Bedeutung der Mehrwerttheorie

Die kapitalistische Produktionsweise war im Hinblick auf die bis dahin bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse ein erheblicher Fortschritt. Lenin betonte nachdrücklich, man brauche sich nur die unglaubliche Zersplitterung der Kleinproduzenten vorzustellen, „um sich von der Fortschrittlichkeit des Kapitalismus zu überzeugen, der die alten Wirtschafts- und Lebensformen mit ihrer jahrhundertelangen Unbeweglichkeit und Routine von Grund aus zerstört“141.

Die Anerkennung der fortschrittlichen historischen Rolle des Kapitalismus schließt jedoch gleichzeitig ein, daß das Kapital, wie Marx sagt, „blut- und schmutztriefend“ zur Welt kam.142 Sie ist mit der Anerkennung seiner negativen und düsteren Seiten, „mit der vollen Anerkennung der dem Kapitalismus unvermeidlich eigenen tiefen und allseitigen gesellschaftlichen Widersprüche (vereinbar), die den historisch vergänglichen Charakter dieses ökonomischen Regimes offenbaren“143. In der Entwicklungsphase der Maschinerie und der großen Industrie sind im Hinblick auf den kapitalistischen Grundwiderspruch und seine Wirkungsweise zwei große Abschnitte zu unterscheiden, die sich zeitlich voneinander abgrenzen und sich deutlich in den weiter vorn erläuterten sozialökonomischen und technisch-ökonomischen Einschnitten bei der Entwicklung der kapitalistischen Großproduktion widerspiegeln.

Das ist erstens die Verschärfung des kapitalistischen Grundwiderspruchs bis zur Schaffung der industriellen Großproduktion und damit bis zur Erfüllung der historischen Mission des Kapitalismus.

Das ist zweitens der Zeitraum, in dem der vom Kapitalismus hervorgebrachte „gigantische Fortschritt der Technik im allgemeinen, des Verkehrswesens im besonderen, das kolossale Wachstum des Kapitals und der Banken bewirkt haben, daß der Kapitalismus reif und überreif geworden ist … Er ist zu einem ganz und gar reaktionären Hemmschuh der menschlichen Entwicklung geworden.“144

In der ersten Phase der Entwicklung der maschinellen Großproduktion, während des Kapitalismus der freien Konkurrenz, trieb die volle Wirkung des Mehrwertgesetzes, die Herausbildung und Verschärfung des Grundwiderspruchs die Entwicklung des Kapitalismus als Produktionsweise voran. Die Hebung der Produktivkräfte der Gesellschaft und die Vergesellschaftung der Arbeit waren die beiden entscheidenden Fortschritte gegenüber allen vorhergehenden Produktionsweisen.145 Die Klassiker des Marxismus-Leninismus hoben gleichzeitig den von Anfang an unmenschlichen Charakter dieser Vergesellschaftung der Arbeit durch den Kapitalismus hervor.

In der zweiten Phase der Entwicklung der industriellen Großproduktion wurde der Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Imperialismus, zum monopolistischen, parasitären und sterbenden Kapitalismus. Der kapitalistische Grundwiderspruch erreichte einen solchen Grad der Verschärfung, daß dadurch das kapitalistische System erschüttert und labil wurde. Der Widerspruch zwischen den Produktivkräften und den kapitalistischen Produktionsverhältnissen steigerte sich bis zur Unverträglichkeit. Das Kapitalverhältnis wird auf die Spitze getrieben.146 Historisch erfolgte der Übergang vom Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Imperialismus, der Niedergangsphase der kapitalistischen Produktionsweise. Die Ablösung des Kapitalismus als Gesellschaftssystem wird durch den revolutionären Kampf der Arbeiterklasse im Bündnis mit allen anderen ausgebeuteten Klassen und Schichten unvermeidlich.

Die ökonomische Theorie von Marx, insbesondere die Mehrwerttheorie, war eine revolutionäre Umwälzung der politischen Ökonomie und trug zur Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft bei. Friedrich Engels wies darauf hin, daß das Problem der Entstehung des Mehrwerts auf ökonomischem Wege gelöst werden mußte. „Die Lösung dieser Frage ist das epochemachende Verdienst des Marxschen Werks. Sie verbreitet helles Tageslicht über ökonomische Gebiete, wo früher Sozialisten nicht minder als bürgerliche Ökonomen in tiefster Finsternis herumtappten. Von ihr datiert, um sie gruppiert sich der wissenschaftliche Sozialismus.“147

Marx bezeichnete das Mehrwertgesetz als ökonomisches Grundgesetz des Kapitalismus. Mit seiner Entdeckung und Wirkungsweise wies er das Wesen der kapitalistischen Ausbeutung und den daraus resultierenden antagonistischen Klassenwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse, wissenschaftlich nach.

Mit der Lösung des Mehrwertproblems gelang es Marx ferner, die konkreten Erscheinungsformen des Mehrwerts beziehungsweise des Profits, wie industrieller Unternehmergewinn, Zins, Handelsprofit, Grundrente148, zu analysieren. Marx deckte den untrennbaren Zusammenhang zwischen Kapital, Ausbeutung der Lohnarbeit und Mehrwert auf. Er formulierte einen wissenschaftlichen Kapitalbegriff, enthüllte die Gliederung des Kapitals in konstantes und variables Kapital und untersuchte deren unterschiedliche Funktion im kapitalistischen Produktionsprozeß. Marx wies nach, daß Kapital und Mehrwert historische Kategorien des Kapitalismus sind. In Anwendung der materialistisch-dialektischen Methode auf die politische Ökonomie untersuchte Marx Kapital und Mehrwert in ihrer Bewegung. Er deckte die Stadien der Steigerung der Mehrwertproduktion und damit der Erhöhung der Ausbeutung der Arbeiterklasse auf. Er wies dabei die entscheidende Rolle der Mehrwertproduktion, des Mehrwertgesetzes und des Grundwiderspruqhs in der historischen Entwicklung des Kapitalismus nach. Wie einleitend bereits bemerkt, bezeichnete Lenin die Lehre vom Mehrwert als den „Grundpfeiler der ökonomischen Theorie von Marx“.

Aus all dem geht hervor, daß die Mehrwerttheorie besondere Bedeutung für den ökonomischen, politischen und ideologischen Kampf der Arbeiterklasse hat. Die Marxsche Mehrwerttheorie weist wissenschafdich nach:

  • daß der Kapitalismus und damit die kapitalistische Ausbeutung keine natürliche und ewige Erscheinung ist, die die Arbeiterklasse nicht beseitigen kann, sondern daß sie an bestimmte historische gesellschafdiche Bedingungen geknüpft ist;
  • daß die Ausbeutung der Arbeiterklasse untrennbar mit dem kapitalistischen Eigentum an den Produktionsmitteln verbunden ist, gleichgültig in welchen Erscheinungsformen es auch auftritt;
  • daß sich mit der historischen Entwicklung des Kapitalismus, mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt und der Steigerung der Arbeitsproduktivität die Ausbeutung verstärkt;
  • daß die Arbeiterklasse um Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzungen und andere Verbesserungen kämpfen muß, daß aber diese Erleichterung ihrer Lage höchstens den Grad, nicht die Existenz und das Wesen der kapitalistischen Ausbeutung verändern.

Die Arbeiterklasse kann die Ausbeutung nur abschaffen, wenn sie ihre durch die Mehrwerttheorie begründete historische Mission erfüllt - das kapitalistische System beseitigt und die kommunistische Gesellschaft errichtet. Die Marxsche Akkumulationstheorie, die die Gesetzmäßigkeiten der Bewegung des Kapitals und der beiden Hauptklassen des Kapitalismus untersucht, geht von der Mehrwerttheorie aus und bringt die vollständige und umfassende Begründung der marxistisch-leninistischen Lehre von der historischen Rolle der Arbeiterklasse.