Kreislauf und
Umschlag des Kapitals

1.4
Die Gesamtheit der drei Kreisläufe

Wir haben bisher die drei Kreisläufe in ihrem Nacheinander betrachtet und festgestellt, daß jedes industrielle Kapital alle drei Stadien durchlaufen muß, wenn es das Ziel der kapitalistischen Produktion, die Produktion und Aneignung von Mehrwert, erreichen soll. Das Kapital muß demzufolge sowohl durch die Produktions- als auch durch die Zirkulationssphäre gehen. Der Kreislauf des industriellen Kapitals ist immer Einheit von Produktion und Zirkulation und Einheit aller drei Kreisläufe.

Bedingung für die Verwertung des Kapitals ist nicht nur ein kontinuierliches Nacheinanderfolgen der drei Stadien, sondern auch deren Nebeneinander. Das einzelne Kapital muß sich gleichzeitig in den drei Stadien befinden und die drei Funktionsformen als Geldkapital, produktives Kapital und Warenkapital annehmen. „Sofern jeder dieser Kreisläufe als besondre Form der Bewegung betrachtet wird, worin sich verschiedne individuelle industrielle Kapitale befinden, so existiert auch diese Verschiedenheit immer nur als eine individuelle. In Wirklichkeit aber befindet sich jedes individuelle industrielle Kapital in allen dreien zugleich. Die drei Kreisläufe, die Reproduktionsformen der drei Gestalten des Kapitals, vollziehn sich kontinuierlich nebeneinander.“19

Nehmen wir an, ein Kapital würde nacheinander die drei Stadien durchlaufen. Der Kapitalist würde also erstens mit dem Geldkapital die Waren Arbeitskraft und Produktionsmittel kaufen. Das nimmt einen gewissen Zeitraum in Anspruch, besonders was den Kauf der Produktionsmittel betrifft, das heißt Gebäude, Maschinen, Rohstoffe, Materialien, Hilfsstoffe usw. Nachdem er diesen Akt vollzogen hat, existiert sein Kapital nur noch als produktives Kapital. Der Produktionsprozeß dauert ebenfalls seine Zeit, in der die Arbeiter die Waren und den Mehrwert erzeugen und dadurch das produktive Kapital in Warenkapital verwandelt wird. Schließlich wird das Warenkapital in Geldkapital verwandelt. Auch das beansprucht eine gewisse Zeit. Nach Abschluß der Produktion würde der Kreislauf des Kapitals stocken, wenn der Kapitalist die Waren nicht sofort absetzen kann. Er besitzt zwar dann das Warenkapital, aber weder Geldkapital, um von neuem Arbeitskräfte und Produktionsmittel zu kaufen, noch produktives Kapital, um die Produktion fortzusetzen.

Eine solche Vorstellung vom Ablauf des Kreislaufs des Kapitals ist nur ganz abstrakt theoretisch möglich. Schon technisch gesehen ist es unter kapitalistischen Bedingungen undenkbar, daß der Kreislauf unterbrochen wird, denn die Produktionsmittel, besonders die Arbeitsmittel, haben in der Regel eine Form, daß die Produktion kontinuierlich verlaufen muß. Vor allem vom Standpunkt der Wirkung des Mehrwertgesetzes ist ein solcher ruckweiser Verlauf des Kreislaufs des industriellen Kapitals unmöglich, weil er nicht nur den Produktionsprozeß, sondern auch den Verwertungsprozeß auf kürzere oder längere Zeit unterbricht. Die Kapitalisten müßten immer so lange warten, bis das Warenkapital in Geldkapital und das Geldkapital in produktives Kapital verwandelt worden ist, dann erst wäre eine weitere Verwertung des Kapitals gewährleistet.

Eine entscheidende Bedingung für den Kreislauf und dadurch für die Reproduktion des industriellen Kapitals ist also, daß sich das Kapital ständig zugleich in allen drei Stadien des Kreislaufs befindet. Jedes individuelle Kapital muß gleichzeitig die Form des Geldkapitals, des produktiven Kapitals und des Warenkapitals annehmen, sonst ist es funktionsunfähig. Daraus ergibt sich, daß jede Kapitalanlage notwendigerweise in bestimmten Proportionen auf die drei Stadien aufgeteilt werden muß.

„Da das individuelle industrielle Kapital eine bestimmte Größe darstellt, die abhängig ist von den Mitteln des Kapitalisten und die für jeden Industriezweig eine bestimmte Minimalgröße hat, so müssen bestimmte Verhältniszahlen bei seiner Teilung bestehn. Die Größe des vorhandnen Kapitals bedingt den Umfang des Produktionsprozesses, dieser den Umfang von Warenkapital und Geldkapital, soweit sie neben dem Produktionsprozeß fungieren. Das Nebeneinander, wodurch die Kontinuität der Produktion bedingt ist, existiert aber nur durch die Bewegung der Teile des Kapitals, worin sie nacheinander die verschiednen Stadien beschreiben. Das Nebeneinander ist selbst nur Resultat des Nacheinander.“20

Der kontinuierliche Ablauf des Kreislaufs des industriellen Kapitals ist in entscheidendem Maße durch seine technische Grundlage bedingt. Die Produktivkräfte unterliegen einem fortlaufenden Entwicklungsprozeß. Die Produktionsmittel werden durch die technische Entwicklung überholt, müssen durch neue ersetzt werden und damit verändert sich auch ihr Wert. Die technische Vervollkommnung der Produktionsmittel erfordert in der Regel auch einen größeren Kapitalaufwand. Diese Veränderungen in der materiell-technischen Grundlage der Produktion und ihrer Wirkung auf den Wert der Produktionsmittel üben einen beträchtlichen Einfluß auf das proportionale Verhältnis der drei Stadien aus, die das industrielle Kapital in seinem Kreislauf durchläuft.

„Ganz normal verläuft der Prozeß nur, wenn die Wertverhältnisse konstant bleiben; er verläuft faktisch, solange sich Störungen in der Wiederholung des Kreislaufs ausgleichen; je größer die Störungen, um so größres Geldkapital muß der industrielle Kapitalist besitzen, um die Ausgleichung abwarten zu können; und da im Fortgang der kapitalistischen Produktion sich die Stufenleiter jedes individuellen Produktionsprozesses, und mit ihm die Minimalgröße des vorzuschießenden Kapitals erweitert, so kommt jener Umstand zu dem andren, die die Funktion des industriellen Kapitalisten mehr und mehr in ein Monopol großer Geldkapitalisten, vereinzelter oder assoziierter, verwandeln.“21 Die Proportionen, in denen das individuelle industrielle Kapital auf die einzelnen Stadien verteilt werden muß, sind demzufolge nicht nur objektiv technisch-ökonomisch bestimmt, sondern auch durch die widersprüchliche Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft, da die Kapitalisten nur im nachhinein, durch die Signale, die sie vom Markt erhalten, reagieren können.

Die inneren Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise treten in der Regel zuerst in der Zirkulationssphäre in Erscheinung. Das veranlaßte bürgerliche und reformistische Ökonomen zu der Auffassung, daß sie auch ihre Ursachen in der Zirkulationssphäre haben und durch entsprechende Maßnahmen behoben werden könnten. So erklärte der französische Vulgärökonom J. B. Say, daß die Überproduktionskrisen keine gesetzmäßigen Erscheinungen des Kapitalismus seien, da Verkauf und Kauf der Waren eine Einheit sei und daher auch keine Überproduktion entstehen könne. Karl Marx, der bei der Analyse des Geldes als Zirkulationsmittel zu der Erkenntnis kam, daß die zeitliche und örtliche Trennung von Verkauf und Kauf einen Punkt erreichen könne, der die Möglichkeit von Krisen einschließe, in der die Einheit von Verkauf und Kauf gewaltsam wiederhergestellt würde, wies zugleich darauf hin, daß die Ursache der kapitalistischen Überproduktionskrise nicht in der Trennung von Verkauf und Kauf, also in der Zirkulationssphäre, sondern in der kapitalistischen Produktion liegt.22

Die von Say vertretene sogenannte Tauschkonzeption wurde auf die verschiedenste Weise weiterentwickelt. Das geschah besonders mit der Herausbildung des monopolistischen und staatsmonopolistischen Kapitalismus und der damit verbundenen Verschärfung der Widersprüche und Krisen der kapitalistischen Wirtschaft. Aus der Entfaltung des kapitalistischen Geld- und Kreditwesens entwickelten bürgerliche und reformistische Ökonomen Theorien, daß es mit Hilfe einer staatlichen Geld- und Kreditpolitik möglich wäre, die Krisen zu bekämpfen.

Der englische bürgerliche Ökonom J. M. Keynes trat in der Zeit der großen Krise von 1929 bis 1932 mit der Theorie hervor, daß die Krise durch eine staatliche Kredit- und Investitionspolitik bekämpft werden könnte, indem die Disproportionen von Produktion und Markt durch eine inflationäre Vermehrung des Geldumlaufs und die Erhöhung der Staatsschuld aufgehoben werden könnte. In Wirklichkeit wurde damit die Krankheit an den Symptomen kuriert und in der Folge die seit dem ersten Weltkrieg fortschreitende Zerrüttung des kapitalistischen Währungssystems verstärkt.

Die revisionistischen sozialdemokratischen Theoretiker Rudolf Hilferding und Karl Renner hatten schon vor J. M. Keynes die Auffassung vertreten, daß Widersprüche und Krisen der kapitalistischen Wirtschaft durch Maßnahmen in der Zirkulationssphäre eingedämmt werden könnten. Hilferding revidierte in seinem Buch „Das Finanzkapital“ die Marxsche Geldtheorie und vertrat den Standpunkt, daß Überproduktionskrisen nur auf eine „Gleichgewichtsstörung“ zurückzuführen seien, die durch Vorgänge in der Zirkulation, durch eine falsche Preisgestaltung entstehen würde. Er revidierte damit auch die Marxsche Krisentheorie.

Beide grundlegenden Abweichungen von der Marxschen Lehre hängen miteinander zusammen. In der Geldtheorie vertrat Hilferding in bezug auf den Papiergeldumlauf eine abgewandelte Quantitätstheorie, das heißt die Auffassung, daß der Wert des Geldes nicht durch die zur Produktion der Geldware notwendige Arbeitszeit bestimmt wird, sondern durch das Verhältnis der Geldmenge zur Warenmenge. Nach dieser Theorie gehen, wie Karl Marx feststellte, das Geld ohne Wert und die Waren ohne Preise in die Zirkulation ein.23 Mit dieser Auffassung hatte Hilferding nicht nur den Boden der Marxschen Geldtheorie, sondern der Marxschen Werttheorie überhaupt verlassen.

Auf der falschen Geldtheorie beruht dann auch die Schlußfolgerung Hilferdings, daß die Möglichkeit bestände, durch Maßnahmen in der Zirkulation, durch eine „Zentralbank“ die Kontrolle über die gesellschaftliche Produktion auszuüben. Da, wie er meinte, der Papiergeldumlauf nicht durch die spontane Wirkung des Wertgesetzes bestimmt würde, wäre in diesem Bereich die Anarchie gleichsam ausgeschaltet. Auf dieser theoretischen Grundlage hat Hilferding dann in den zwanziger Jahren die Theorie vom „organisierten Kapitalismus“ als „Frühsozialismus“ entwickelt.

Der österreichische sozialdemokratische Theoretiker Karl Renner ging von dem opportunistischen Standpunkt aus, daß ein revolutionärer Eingriff in die hochgradig vergesellschaftete Wirtschaft des Kapitalismus zu einem Chaos führen müsse. In der entwickelten kapitalistischen Gesellschaft habe die Zirkulation das Primat vor der Produktion. Der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus müsse daher über Maßnahmen in der Zirkulationssphäre erfolgen. Karl Renner meinte, daß die Sozialisierung in der Zirkulation in Form der schrittweisen staatlichen Regulierung des Geldumlaufs, des Handels, des Kredits und des Bankwesens erfolgen müsse.

Hilferdings und Renners Theorien mündeten offensichtlich in den staatsmonopolistischen Kapitalismus ein. In der Tat gehen heute alle bürgerlichen, reformistischen und revisionistischen Ökonomen und staatsmonopolistischen Wirtschaftspolitiker von der Konzeption aus, die überreife, von zyklischen und chronischen Krisen erschütterte monopolkapitalistische Wirtschaft durch eine „antizyklische“ Geld-, Kredit- und Staatshaushaltspolitik zu stabilisieren. Die Ergebnisse zeigen, daß durch eine solche Politik zwar eine vorübergehende Eindämmung der Widersprüche erfolgen kann, daß sie aber über kurz oder lang um so heftiger ausbrechen.

Die Zerrüttung des heutigen Kapitalismus bestätigt die von Karl Marx aus der Analyse des Zirkulationsprozesses des Kapitals gewonnene Erkenntnis, daß im Kreislauf des industriellen Kapitals der Produktions- und Verwertungsprozeß des Kapitals das Primat hat und die Widersprüche des Kapitalismus ihre Quelle im antagonistischen Charakter der Produktionsweise haben. Sie können nur durch die revolutionäre Aufhebung ihrer gesellschaftlichen Grundlagen beseitigt werden.