Reproduktion und Zirkulation
des gesellschaftlichen Gesamtkapitals

3.1
Die Grundbedingung der einfachen Reproduktion

Wie bereits beim Akkumulationsprozeß des Kapitals27 erläutert wurde, bedeutet einfache Reproduktion28, daß der Produktionsprozeß auf gleicher Stufenleiter wiederholt wird, wobei der von den Arbeitern produzierte Mehrwert von den Kapitalisten vollständig individuell verbraucht wird. Aus dem Gesamtprodukt, dem Warenkapital (W′), müssen 1. die bei seiner Produktion verbrauchten Produktionsmittel stofflich ersetzt werden (wertmäßig entsprechend dem c-Anteil). Das Gesamtprodukt muß 2. die Konsumtionsmittel für die Lohnarbeiter (wertmäßig entsprechend dem v-Anteil) und 3. die Konsumgüter für die Kapitalisten (entsprechend dem m-Anteil) enthalten. Bei dieser Betrachtung des Reproduktionsprozesses wurde noch nicht die Aufteilung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals auf die beiden Abteilungen I und II sowie die stoffliche Gliederung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts in Produktions- und Konsumtionsmittel beachtet.

Im folgenden wird die Verschlingung der Kreisläufe des Kapitals der beiden Abteilungen untersucht. Es soll dargestellt werden, wie das in der Produktion verzehrte Kapital beider Abteilungen aus dem jährlichen Gesamtprodukt ersetzt wird und wie sich die Bewegung dieses Ersatzes mit der Konsumtion des Mehrwerts durch die Kapitalisten und des Arbeitslohnes durch die Arbeiter verbindet. Es sollen die Austauschbedingungen gefunden werden, die eine Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals gewährleisten.

Das produzierte gesellschaftliche Gesamtprodukt, die gesamte erzeugte Warenmasse (eines Jahres), gliedert sich in zwei Teile:

W′I = der Teil des Jahresproduktes, der stofflich Produktionsmittel darstellt;
W′II = der andere Teil des Jahresproduktes, der stofflich, gebrauchswertmäßig
aus Konsumtionsmitteln besteht.

Die arbeitsteilig getrennten Abteilungen I und II produzieren jeweils für die gesamte Wirtschaft. Die Abteilung I erzeugt, wie bereits gesagt wurde, die Produktionsmittel für die kapitalistischen Unternehmer beider Abteilungen, die Abteilung II stellt Konsumgüter für die Arbeiter und Kapitalisten her. Auf dem Markt zeigt sich der Bedarf als Nachfrage der Kapitalisten beider Abteilungen nach Produktionsmitteln für den Ersatz der verbrauchten Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstände, Ic und IIc. Ferner zeigt sich der Bedarf als Nachfrage der Arbeiter und Kapitalisten beider Abteilungen nach Konsumtionsmitteln, I (v + m) und II (v + m). Beide Abteilungen stellen demnach bestimmte Anforderungen an die wertmäßige und gebrauchswertmäßige Struktur des gesellschaftlichen Gesamtprodukts. Das Angebot und die Nachfrage werden durch den Produktionsprozeß bestimmt (Primat der Produktion). Das Angebot tritt auf dem Markt als Angebot von Produktionsmitteln und von Konsumtionsmitteln in der Höhe des jeweiligen Jahresproduktes auf. Damit wird der Markt, werden Angebot und Nachfrage als Glied des Reproduktionsprozesses des gesellschaftlichen Gesamtkapitals erfaßt.

Ein reibungsloses Funktionieren der Wirtschaft erfordert bei einfacher Reproduktion proportionale Ausgeglichenheit zwischen der Produktionsmittelproduktion und den verbrauchten Produktionsmitteln in beiden Abteilungen,

I (c + v + m) = Ic + IIc

sowie Übereinstimmung zwischen der Konsumtionsmittelproduktion und den verbrauchten beziehungsweise benötigten Konsumtionsmitteln in beiden Abteilungen,

II (c + v + m) = I (v + m) + II (v + m)

Der Umfang des Gesamtprodukts der Abteilung I muß also dem konstanten Kapital der Abteilungen I und II entsprechen, damit die Anschaffung der Produktionsmittel gewährleistet ist, die für den Ersatz des verbrauchten konstanten Kapitals in beiden Abteilungen erforderlich ist. Der Umfang des Gesamtprodukts der Abteilung II muß dem variablen Kapital und dem Mehrwert der Abteilungen I und II entsprechen, damit die Arbeiter und Kapitalisten Konsumtionsmittel erwerben können, wofür sie Arbeitslohn beziehungsweise Mehrwert verausgaben. Der Absatz des gesamten Warenprodukts beider Abteilungen muß also gesichert sein.

„Gesellschaftlich betrachtet“, schreibt Marx, „produziert der Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags, der Produktionsmittel produziert, … nichts als neues konstantes Kapital, bestimmt, das in der Form der alten Produktionsmittel aufgezehrte zu ersetzen, sowohl das sub I wie sub II konsumierte konstante Kapital … Andrerseits produziert der Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags, der Konsumtionsmittel produziert, keinen Teil des gesellschaftlichen Ersatzkapitals. Er produziert nur Produkte, die in ihrer Naturalform bestimmt sind, den Wert des variablen Kapitals und den Mehrwert sub I und sub II zu realisieren.“29 Diese qualitative Gliederung und quantitative Proportionalität der gesellschaftlichen Reproduktion setzt sich im Kapitalismus über den Warenaustausch durch Kauf und Verkauf sowohl innerhalb der beiden Abteilungen als auch zwischen ihnen durch.

Die verschiedenen Produktionszweige beider Abteilungen können stofflich die eigene Nachfrage nach Produktionsmitteln und Konsumtionsmitteln aus dem eigenen Warenangebot W′I und W′II, durch den Austausch und die Zirkulation innerhalb der Abteilungen decken. Die Abteilung I kann wertmäßig und gebrauchswertmäßig die hier verbrauchten Produktionsmittel in Höhe von Ic aus eigener Produktion erneuern, wie die Abteilung II ihren Bedarf an Konsumtionsmitteln in Höhe von II (v + m) selbst befriedigen kann.

Es verbleibt eine zunächst ungesättigte Nachfrage seitens der Abteilung I nach Konsumtionsmitteln in Höhe von I (v + m) und seitens der Abteilung II nach Produktionsmitteln im Umfang von IIc. Beide Lücken können nicht aus den eigenen Aufkommen gedeckt werden. Daher muß zwischen beiden Abteilungen ein ständiger Austausch stattfinden.

Die Bestandteile I (v + m), die in der Naturalform aus Produktionsmitteln bestehen, tauschen sich aus gegen IIc, gegen den Wertbestandteil, der in der Naturalform aus Konsumtionsmitteln besteht. Dadurch wird die Nachfrage nach Produktionsmitteln der Abteilung II gedeckt. Die Kapitalisten von II haben durch diesen Austausch zwischen beiden Abteilungen ihr konstantes Kapital aus der Wertform von Konsumtionsmitteln wieder in die von Produktionsmitteln (und zwar in Produktionsmittel für die Produktion von Konsumtionsmitteln) umgesetzt. Das konstante Kapital besitzt nun wieder die Naturalform, in der es von neuem als Faktor des kapitalistischen Produktionsprozesses fungieren kann. Andererseits wurden der Arbeitslohn, das Äquivalent des Wertes der Ware Arbeitskraft, in Höhe von Iv und der Mehrwert im Umfang von Im in Konsumtionsmittel umgesetzt. Die Teile I (v + m) erhielten eine Naturalform, in der sie als Revenue verzehrt werden können. Die Nachfrage der Abteilung I nach Konsumtionsmitteln wurde ebenfalls befriedigt. Es wurde zu gleichen Werten ausgetauscht.

Die Grundbedingung, die Austausch- beziehungsweise Proportionalitätsbedingung der kapitalistischen einfachen Reproduktion, lautet daher:

I (v + m) = IIc

Die Summe des variablen Kapitals und des Mehrwerts der Abteilung I muß gleich dem konstanten Kapital der Abteilung II sein30. Das ist eine Grundbedingung, die sinngemäß auch für die sozialistische Reproduktion gilt.

Wäre I (v + m) geringer als IIc, so könnten die Kapitalisten aus der Abteilung II ihr konstantes Kapital nicht voll ersetzen. Wäre es größer, so bliebe ein Überschuß an Produktionsmitteln ungenutzt liegen. In beiden Fällen wäre die Voraussetzung – kapitalistische einfache Reproduktion – verletzt.

Bei Einhaltung der Proportionalität wird also 1. das in beiden Abteilungen der gesellschaftlichen Produktion erzeugte gesellschaftliche Gesamtprodukt abgesetzt; wird 2. das konstante Kapital in I und II in natura ersetzt; wird 3. die Ware Arbeitskraft reproduziert; wird 4. der Mehrwert in Konsumtionsmitteln realisiert und wird 5. das gesellschaftliche Verhältnis von Lohnarbeitern und Kapitalisten reproduziert.

Marx illustriert die Verhältnisse der kapitalistischen einfachen Reproduktion an einem Zahlenbeispiel31. Sein berühmtes Reproduktionsschema sieht folgendermaßen aus:

I. 4000 c +  1000 v +  1000 m  = 6000 Produktionsmittel
II. 2000 c +  500 v +  500 m  = 3000 Konsumtionsmittel

Daraus ergeben sich drei Reproduktionsgleichungen

– 6000 I (c + v + m) = 4000 Ic + 2000 IIc
– 3000 II (c + v + m) = 1000 Iv + 1000 Im + 500 IIv + 500 IIm
– 1000 Iv + 1000 Im = 2000 IIc

Zwischen den beiden Abteilungen müssen also (siehe die dritte Gleichung) ausgetauscht werden:

I. 4000 c +  1000 v +  1000 m
II. 2000 c +  500 v +  500 m

Diese Formel drückt bereits komplizierte und widerspruchsvolle Abhängigkeitsbeziehungen aus, die sich in der kapitalistischen Praxis nur spontan und über die Vergeudung von Produktivkräften sowie unter andauernden Störungen und Disproportionen annähernd verwirklichen können. Hinter dieser Formel verbirgt sich die Abhängigkeit der einzelnen kapitalistischen Unternehmer voneinander, die sich jedoch als Konkurrenten gegenüberstehen. Konkurrenzkämpfe der Kapitalisten untereinander sowie Klassenkämpfe zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse (zum Beispiel der Kampf um die Aufteilung des Nationaleinkommens) charakterisieren die Reproduktionsverhältnisse im Kapitalismus.

Der Austausch zwischen den beiden Abteilungen ist auch ein Austausch zwischen diesjähriger und vorjähriger Arbeit beziehungsweise zwischen Neuwert und übertragenem Wert.32

Unter der Voraussetzung der kapitalistischen einfachen Reproduktion ist in der Regel der Gesamtwert der jährlich produzierten Konsumtionsmittel „gleich dem ganzen durch die gesellschaftliche Arbeit während des Jahrs produzierten Wert, und muß es sein, da bei einfacher Reproduktion dieser ganze Wert verzehrt wird“33.

Der durch die Abteilung II geschaffene Gesamtwert von 3000 setzt sich aus dem Neuwert (von 500v + 500m) und aus dem konstanten Wertteil (von 2000c) zusammen, der vor dem hier betrachteten Jahr produziert wurde. Dieser konstante Wertteil erscheint in einer neuen Naturalform, und zwar in Form von Konsumtionsmitteln, während er früher in Form von Produktionsmitteln existierte. Sein Wert wurde durch den Arbeitsprozeß auf neue Gebrauchswerte, auf eine neue Naturalform übertragen; aber er wurde nicht im diesjährigen Produktionsprozeß der Abteilung II erzeugt.

Der Austausch zwischen den beiden Abteilungen, I (v + m) = IIc, stellt sich also dar als ein Austausch von zwei Dritteln der gesamten in diesem Jahr verausgabten notwendigen Arbeit und Mehrarbeit, die Neuwert produzierte, gegen zwei Drittel des Gesamtwerts der Abteilung II (von 2000c), die das Ergebnis der vor diesem Jahr verausgabten und realisierten Arbeit bilden.

Hier liegt die Erklärung für das Problem, warum der Neuwert der gesamten während des Jahres verausgabten Arbeit aus variablem Kapital und Mehrwert besteht, obwohl diese Arbeit Produktionsmittel und Konsumtionsmittel produzierte, also zu zwei Dritteln solche Gebrauchswerte, worin sich variables Kapital und Mehrwert nicht realisieren können. Zwei Drittel des Gesamtwerts der Abteilung II, worin die Arbeiter und Kapitalisten der Abteilung I den produzierten variablen Kapitalwert (Iv) und Mehrwert (Im) realisieren können, sind eben, dem Wert nach betrachtet, das Ergebnis vorjähriger Arbeit.

Aus der angeführten Formel I (v + m) = IIc läßt sich noch ein weiteres Proportionalitätserfordernis (bei einfacher Reproduktion) ableiten: Die Produktion von Produktionsmitteln für die Herstellung neuer Produktionsmittel muß sich zur Produktion von Produktionsmitteln für die Erzeugung von Konsumtionsmitteln verhalten wie

Ic : Iv + Im

Denn wie sich vorher zeigte, werden Produktionsmittel in Höhe von Iv + Im an die Abteilung II verkauft und dienen hier der späteren Erzeugung von Konsumgütern, während Produktionsmittel in Höhe von Ic in der eigenen Abteilung I zur Schaffung neuer Produktionsmittel dienen.