Almos Csongár:
Das ungarische Dilemma
Im vergangenen Jahr erschien im verlag am park Almos Csongárs Essay-Band „Das ungarische Dilemma“. Darin finden sich Anekdoten, Geschichten und Aufsätze zur Zeitgeschichte, die über eine ungewöhnliche, ereignisreiche, stets nach Sinn und Orientierung suchende Biographie des 95jährigen Auskunft geben. In seinem jüngsten Buch vermittelt der Autor tiefe Einblicke in das eigene Leben, in sein Schaffen als Publizist, Übersetzer, Philosoph, Literat und ausgewiesener Nietzsche-Kenner.
Mit unsiversell anmutendem literarischem Wissen, bewundernswerter philosophischer Tiefgründigkeit, einem scharfen Blick für Details und bestechender sprachlicher Kunstfertigkeit hält Almos Csongár die von Widersprüchen, Sieg und Niederlagen geprägte europäische Geschichte fest, in der das wechselvolle Schicksal seiner Familie, seiner ungarischen, heute zur Ukraine gehörenden Heimatstadt Ungvár sowie das Leben der Völker in der k.u.k. Monarchie eine zentrale Rolle spielen. Er, der viele Kämpfe mit sich und anderen auszufechten hatte, um aus der Rolle des „deklassierten Bürgersohns“ herauszufinden, stellte sein Leben in den Dienst der Suche nach dem „neuen Menschen“, an den er glaubt.
Seine Wahlheimat wurde die DDR. Sie war, wie er schreibt, trotz ihrer Schwächen, Fehler und Defizite seine „große Liebe“. Diesem Staat fühlte er sich zutiefst verbunden. Mit seiner außerordentlich vielseitigen publizistischen und schriftstellerischen Arbeit sowie als Dolmetscher leistete er einen über die Landesgrenzen hinauswirkenden Beitrag zur Förderung von Völkerverständigung und -freundschaft. Er selbst sieht sich „als eine Mischung aus magyarischem, deutschem und slawischem Blut, der, aufgewachsen in einem multikulturellem Milieu, am eigenen Leib erfahren hat, was Zwietracht und Haß zwischen Menschen unterschiedlicher Nationalität anrichten können und wie es deren Leben verändert, wenn Bedingungen für ein solidarisches gemeinschaftliches Leben geschaffen werden. Almos Csongár ist ein Mensch, der „… trotz allem mit spitzfindigem Humor optimistisch auf die Welt blickt“. Es ist ihm zuzustimmen, wenn er erklärt: „Im Lichte unserer bitteren Erfahrungen … haben wir gelernt, daß es keine endgültigen Siege, aber auch keine endgültigen Niederlagen gibt.“
Der Autor ist davon überzeugt, daß die Zukunft der Menschheit im Sozialismus liegt. „Es gilt“, schreibt er, „… nach neuen Möglichkeiten Ausschau zu halten, damit unsere Erde kein Schauplatz von sinnlosem Blutvergießen und Anfeindungen, von Lebenslüge und Entfremdung bleibt, sondern zu sich selbst findet und den Humanismus mit neuem Inhalt füllt, dem die gegenwärtige Dominanz der heuchlerischen Moralisierung zuwider ist.“
Solchen von Weitsicht zeugenden Standpunkten stehen – vor allem in der Bewertung der am Ende systemzerstörenden politischen Vorgänge in den sozialistischen Staaten der 80er Jahre und der sie fördernden Protagonisten – Aussagen gegenüber, die zum Streitgespräch herausfordern. So sieht er, um nur ein Beispiel zu nennen, in den vom Internationalen Währungsfonds schon früh an Ungarn ausgereichten 20 Milliarden Dollar einen „Beweis dafür, daß Kádár imstande war, als Oberhaupt eines sozialistischen Staates das Vertrauen des Westens zu erwerben und den Frieden zu sichern“.
Hinter diesen und einer Reihe weiterer ähnlicher Aussagen steht der Wunsch des Autors nach einem „anderen, besseren Sozialismus“. Doch ein Grund dafür, daß er preisgegeben wurde, liegt sicher auch in der Macht von Illusionen, denen sich nicht wenige einfach auslieferten, die nicht erkannten, was Churchill so auf den Punkt brachte: „Staaten haben keine Freunde, Staaten haben Interessen.“
Übrigens: Der Autor selbst hat zeitlebens die Auseinandersetzung gesucht. Schon als junger Student unterschied er sich in dieser Hinsicht von anderen. Er gehörte zu jenen, welche – wie ihm nach Jahrzehnten aus dem Munde seines früheren Professors bestätigt wurde – „am meisten zur Belebung der Diskussion beigetragen“ hätten. Möge ihm diese Lust am Streitgespräch noch lange erhalten bleiben! Alles Gute, lieber Almos Csongár!
Almos Csongár:
Das ungarische Dilemma
Erzählungen und Essays
verlag am park, Berlin 2015
230 Seiten, ISBN 978-3-945187-25-8
14,99 €
Nachricht 673 von 2043