RotFuchs 208 – Mai 2015

Als die Leningrader Geschichte schrieben

Joachim Augustin

Am 27. Januar 1944 endete nach 900 Tagen die Einkesselung Leningrads durch die faschistische Heeresgruppe Nord unter Generalfeldmarschall Ritter von Leeb. Auf besonderen Befehl Hitlers sollte Lenins Stadt – die Wiege der Oktoberrevolution – ausgehungert und dann dem Erdboden gleichgemacht werden.

Dieser Befehl kostete eine Million Einwohner das Leben. Gleich zu Beginn der Blockade gab es keinen Strom mehr, alle Wasserleitungen waren eingefroren. Die tägliche Brotration sank auf zwei Scheiben pro Person. Die Rote Armee und Zehntausende Zivilisten konnten zwar über den im Winter zugefrorenen Ladogasee eine „Straße des Lebens“ errichten, die aber zur Versorgung nicht ausreichte.

Während viele Menschen vor Entkräftung tot umsanken, ging die Arbeit in den Fabriken weiter. Sie stellten Panzer, Geschütze und Munition her, die beim Kampf gegen die faschistischen Aggressoren eingesetzt werden konnten. Und während der Tod reiche Ernte hielt, blieben Theater und Bibliotheken, sogar die Ermitage, geöffnet, gab es Konzerte und trug man Gedichte vor.

Dem Hunger und der drohenden Unterjochung durch Hitlers Soldateska zum Trotz vollbrachten die Leningrader im Kampf gegen die längste Belagerung im 20. Jahrhundert Unvorstellbares: Aus der Bevölkerung rekrutierte Verteidigungskommissar Shdanow zehn Divisionen der Arbeitermiliz.

32 000 Frauen und Mädchen gingen als Krankenpflegerinnen an die Front. 90 % aller Leningrader Komsomolzen – das waren etwa 600 000 Jugendliche – arbeiteten Tag für Tag, selbst bei minus 40 Grad, nur mit Hacke und Schaufel ausgerüstet, an den Verteidigungsanlagen. Sie hoben 700 Kilometer Panzergräben aus, errichteten auf einer Länge von 300 Kilometern Baumsperren und bauten 5000 Erdbunker.

Nie zuvor oder danach – sieht man hier vom vietnamesischen Ho-Chi-Minh-Pfad ab – wurde eine solche Verteidigungsleistung vollbracht. Wie auch auf tausend anderen Kampfplätzen in der UdSSR opferte sich die kommunistische Jugend für die Freiheit des Vaterlandes auf, trug sie maßgeblich dazu bei, daß Leningrad der Titel „Heldenstadt“ verliehen wurde.