RotFuchs 187 – August 2013

Bedingungsloses Grundeinkommen – ein alter Hut

Als Gorbatschow nach Frisco einlud

Manfred Kubowsky

Zwei schon vor längerer Zeit erschienene RF-Artikel – der eine von Dr. Dr. Ernst Albrecht (Oktober 2011), der andere von Dr. Klaus Schwurack (Januar 2012) – haben sich mit dem „bedingungslosen Grundeinkommen“ befaßt.

Ich möchte – wenn auch etwas zeitversetzt – zum damaligen Doktoren-Disput meinen Standpunkt darlegen.

Ernst Albrecht nennt den Plan eines bedingungslosen GE zutiefst reaktionär, Klaus Schwurack stimmt dem GE nicht zu, lehnt es aber auch nicht in Bausch und Bogen ab. Er äußert „gegen manche Aspekte und bestimmte Prämissen“ seine Bedenken.

Die Kernpositionen beider Autoren sind schon im 19. Jahrhundert durch einen gewissen Karl Marx erkannt worden, obwohl es Begriffe wie Globalisierung oder Rettungsschirm damals natürlich noch nicht gab. Der hatte – verkürzt ausgedrückt – vor allem die zyklische Abfolge „Profitgier – Ausbeutung – Überproduktion – Krise – Profitgier – Ausbeutung …“ im Sinn. Die Bewertung aller sich daraus ergebenden Aspekte, welche das heute wie damals existierende kapitalistische System kennzeichnen, stimmt in beiden Artikeln nahezu überein. Die Verfasser gelangen logischerweise auch zu der gleichen Konsequenz: Es bedürfe der … „Überwindung des Kapitalismus“, schreibt Schwurack, es geht um die … „Überwindung des Systems“, liest man bei Albrecht.

Obwohl das für RF-Bezieher ja keine neue Position ist, finde ich es bemerkenswert, daß die Beseitigung des Kapitalismus klar postuliert wird. Diese unentbehrliche Prämisse kann gar nicht oft genug benannt werden, zumal sie mir bei vielen Spitzenpolitikern der PDL grundsätzlich fehlt. Ich sehe ja ein, daß sich Gregor Gysi nicht im Bundestag ans Rednerpult stellen kann (oder will), um die Kanzlerin mit der Zielsetzung zu konfrontieren: Wir Linken setzen alles daran, dieses menschenfeindliche Gier- und Raubsystem zu überwinden!

Dennoch, was bleibt denn eigentlich anderes übrig, welche vernünftigen Alternativen gäbe es?

Ich stimme Ernst Albrecht zu: Ein bedingungsloses GE wäre reaktionär, entsolidarisierend und spaltend, es könnte das System eher zementieren. Dabei darf nicht übersehen werden, daß das Prinzip des GE eine Erfindung der Kapitalisten ist, die schon in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts das Licht der Welt erblickte. Leider stimmen Katja Kipping und andere Politiker der Linken dieser Konstruktion vehement zu.

Zur Vorgeschichte: Ende September 1995 fanden sich im noblen Fairmont-Hotel von San Francisco etwa 500 selbsternannte Weltenlenker aller Kontinente – hochrangige Politiker, Wirtschaftsbosse und ihnen dienstbare Wissenschaftler – zu einer Konferenz ganz besonderer Art zusammen. Bei Champagner und Beluga-Kaviar formulierten sie ihre Vorstellungen von einer globalen Gesellschaft der Zukunft. Einladender war der Multimillionär Michail Gorbatschow (!). Ihm hatten seine USA-Gönner auf einem einstigen Militärgelände südlich der Golden Gate Bridge eine Stiftung eingerichtet. Das war der Dank dafür, daß der Inhaber des Copyrights der von vielen der Anwesenden verehrten Perestroika dem Sozialismus ein riesiges Wirtschafts- und Absatzgebiet entzogen und dieses dem Kapitalismus zugeschanzt hat. Gorbatschow bezeichnete die Fairmont-Runde als einen „globalen Brain-Trust“, der sich das Ziel gesetzt habe, den Boden für „eine neue Zivilisation“ zu bereiten.

Die Teilnehmer des Treffens nannten ihr Programm hingegen „Tittytainment 20:80“. Der etwas schlüpfrige Begriff entstand aus dem Wort Entertainment und dem US-Slang-Begriff für Busen. 20:80 aber bedeutete folgendes: Von der lohnabhängigen Bevölkerung (= 100 %) werden nur 20 % benötigt, um alle Waren zu produzieren und sämtliche Dienstleistungen zu erbringen, welche die „Weltgesellschaft“ benötigt – angefangen von Brot und Butter über „normale“ Wohnquartiere, Transport- und Serviceleistungen bis hin zu einer abgespeckten Kultur. 80 % aber werden „am Busen“ der 20 % ernährt. Mit anderen Worten: Im Fairmont-Hotel ging es de facto bereits um ein bedingungsloses Grundeinkommen. So soll angeblich die Arbeitslosigkeit abgeschafft werden: Wer nicht will, muß auch nicht arbeiten. Es besteht keine Veranlassung für jedermann, sich zu bilden. Intellektuelles Streben und emotionale Empfindsamkeit werden heruntergefahren. Duldsamkeit, Anpassung, Genügsamkeit und religiöse Bußfertigkeit werden für die 80 % Bezieher des bedingungslosen GE zu höchsten Werten erklärt, um diese Mehrheit so gesellschaftspolitisch stillzulegen.

Schon 1939 hatte der englische Schriftsteller Aldous Huxley den aufsehenerregenden phantastischen Roman „Schöne neue Welt“ verfaßt, der in einer Zeit angesiedelt ist, da sich ein fiktiver Weltstaat etabliert hat, in dem der größte Teil seiner Bürger auf niedrigem, aber existenzsicherndem Niveau vegetiert und durch permanente Beschäftigung mit Sex, Konsum und billiger Massenunterhaltung dazu gebracht wird, keinerlei Neigung zu entwickeln, das Bestehende kritisch zu hinterfragen oder gar zur Disposition zu stellen. Das Fünftel der qualifiziert Arbeitenden aber wird besser gestellt, um auf die Masse der 80 % verächtlich herabzublicken. Und über allem steht und wacht die winzige Menschengruppe, die wir seit Marx und Engels als Kapitalisten bezeichnen.

Übrigens ging es bereits in der Antike um ähnliches: „Divide et impera“ (Teile und herrsche) oder Panem et circenses (Brot und Spiele) lauteten damals die Herrschaftsmaximen. Das Gorbatschowsche Tittytainment-Prinzip und die angeblich brandneue Konzeption des bedingungslosen GE liegen also, wie sich unschwer erkennen läßt, recht dicht beieinander. Dr. Dr. Ernst Albrecht hat es exakt eingeordnet.

Noch einmal wird klar, daß die Realisierung eines GE nicht nur die Masse der Arbeitsfähigen in zwei bestens beherrschbare ungleiche Gruppen spalten, sondern auch das bestehende System auf lange Frist erhalten würde. Die Herrschenden müßten dann keine sozialen Eruptionen, Occupy-Bewegungen oder Protestaktionen der Unterdrückten befürchten, welche der griechische Finanzminister als „Beschädigung der Demokratie“ bezeichnete.

Mit der Verwirklichung des „Grundeinkommen-Tittytainment-Prinzips“ – entstanden im Global Brain-Trust von San Francisco, inzwischen aber von den Herrschenden verinnerlicht und weitergedacht – würde der revolutionären Bewegung das Wasser abgegraben. Alle fortschrittlichen Menschen und nicht zuletzt auch jene Linken, welche sich durch das verführerische Gleißen des vermeintlich „bedingungslosen“ GE blenden lassen, sollten sich über die Gründe der Sympathie von Ausbeutern für ein solches Projekt eingehender informieren.

Beide genannten RF-Beiträge haben – wie man sieht – mit gutem Grund darauf hingewiesen, daß es bei Gegenwartsstrategien und Zukunftsprojekten weder um Luftschloßbauten noch um ideologische Seifenblasen, sondern letztlich um die revolutionäre Überwindung des kapitalistischen Systems gehen muß.

In den Beitrag sind Überlegungen von Prof. Dr. Benno Pubanz, Güstrow, eingeflossen.