RotFuchs 202 – November 2014

Als Willi Bredel der geistigen Finsternis den Kampf ansagte

An der Spitze des Schweriner Kulturbundes

Prof. Dr. Benno Pubanz

Am 4. Juli 1945 wurde in Berlin der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands gegründet. Im darauffolgenden Monat konstituierte er sich als Organisation mit Johannes R. Becher als erstem Präsidenten. In Mecklenburg-Vorpommern wurde Willi Bredel zum Vorsitzenden des Landesverbandes gewählt.

Die Gründer gingen kämpferisch, gesellschaftskritisch und zukunftsorientiert ans Werk.

„Wir glauben, daß wir Licht bringen müssen in die furchtbare Finsternis, die Hitler hinterlassen hat. Wir dürfen die Menschen nicht ihrer Verzweiflung überantworten, sondern müssen sie hochreißen und ihnen ein neues Ziel geben, und vor allem eines, worauf es in dieser … Katastrophe ankommt: Vertrauen in die Lebensfähigkeit des von seinen reaktionären Übeln befreiten Volkes und Mut und Mut!“, hieß es in den Leitsätzen.

Der Kulturbund stieß das Tor zu einem Leben auf, von dem die meisten Menschen nur wenige Monate zuvor noch nicht einmal zu träumen gewagt hatten. Das widerspiegelte sich in der außergewöhnlichen Resonanz. In schneller Folge wurden in M-V etliche Ortsgruppen gebildet. 1947 waren es bereits 91, denen mehr als 24 000 Mitglieder angehörten – 1 % der Gesamtbevölkerung. 4362 von ihnen waren jünger als 20 und 5447 im Alter zwischen 21 und 30. Wissenschaftler, Ärzte, Künstler, Lehrer, Techniker, Schriftsteller und Theologen, aber auch Studenten und Schüler fanden im Kulturbund eine geistige Heimat, sahen in ihm eine Chance, die faschistische Ideologie zu überwinden.

Die Tatsache, daß der Kulturbund besonders in Mecklenburg-Vorpommern eine derartige Anziehungskraft besaß und ständig an Einfluß gewann, ist vor allem Willi Bredel zu verdanken. In den Leitsätzen, die auf seiner Initiative beruhten, erkannten viele die Kursnahme auf eine gesellschaftliche Zukunft, für die sich der Einsatz lohnte.

Wer dem Kulturbund angehörte, verstand sich als Mitglied einer Organisation, die zwar politisch nicht neutral, aber an keine Partei gebunden war. Man ging einander nicht aus dem Weg, schloß sich nicht gegenseitig aus, sondern suchte das Gespräch. Willi Bredel sorgte bereits bei der Bildung einer ersten Landesleitung dafür, daß alle Bereiche der Intelligenz gleichberechtigt vertreten waren und Ressentiments weitgehend ausgeschlossen wurden.

So gehörten ihr u. a. die Intendanten Edgar Bennert und Johannes Semper, die Rektoren Prof. Dr. Lohmeyer und Prof. Dr. Rienäcker, die Pastoren Karl Kleinschmidt und Bruno Thek, die Schauspieler Lucie Höflich und Josef von Santen, die Schriftsteller Adam Scharrer und Graf Stenbock-Fermor, der Heimatforscher Johann Gosselk und der Redakteur Karl Krahn an.

Der Kulturbund ist seinen Gründungsprinzipien treu geblieben. Das bestätigte ihm in den 90er Jahren sogar die Enquetekommission des Landtags von M-V, die nicht gerade in dem Verdacht stand, Gefälligkeitsgutachten zu verfassen. Der Kulturbund habe in Mecklenburg-Vorpommern eine große Rolle gespielt, „wo sich von Schwerin aus Willi Bredel im Verein mit Gleichgesinnten … außerordentlich stark engagierte. So wie für das Land im Ganzen, läßt sich das vielleicht noch stärker für viele einzelne Regionen sagen (z.  B. Greifswald, Schwerin, Rostock, Ahrenshoop), wo sich der Kulturbund bei der Demokratisierung und Verbreitung von Bildung, Kultur und Kunst sowie bei der Gewinnung von Intellektuellen in der Nachkriegszeit die größten Verdienste erwarb“, liest man in ihrem Bericht.

Einen Beweis für die Ernsthaftigkeit seiner Ideale lieferte der Kulturbund 1949 auch mit seinen Veranstaltungen zum 200. Geburtstag Goethes. Man muß sich in die Zeit zurückversetzen, um die Größe des Vorhabens und der Leistung zu begreifen. Im Dezember 1948 hatte sich ein Goethe-Ausschuß gebildet, der es als seine Aufgabe betrachtete, Goethes Vorstellungen vom Sinn des Lebens, seine soziale Utopie, seine nationalen Hoffnungen, seinen weltumspannenden Geist nach der Schreckenszeit des Faschismus und des Krieges für einen geistigen und moralischen Aufbruch produktiv zu machen. Hunderte Veranstaltungen in Städten und Dörfern, an Universitäten und Schulen, in Betrieben und Einrichtungen dienten dem Ziel, Verzagtheit und Entmutigung zu überwinden und eine perspektivische Vorstellung zu gewinnen.

Willi Bredel begann seine Festrede vor den im Staatstheater Schwerin versammelten mecklenburgischen Landtagsabgeordneten mit den Worten: „Eingedenk des in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten Erlebten sind wir der Meinung, daß unser großes nationales Kulturerbe, diese Gipfelleistungen begnadeter Menschen, dieser köstliche Schatz humanistischen Gedankengutes, als erworbenes, behütetes, weiterzuentwickelndes Besitztum im Bewußtsein und im Leben unseres ganzen Volkes besser aufgehoben ist als lediglich bei einer dünnen Schicht ästhetischer Kunst- und Kulturbeflissener.“

Dabei befand sich der Schriftsteller in voller Übereinstimmung mit Franz Mehring, der zu Goethes 150. Geburtstag erklärt hatte: „An dem Tag, an dem sich die deutsche Nation ökonomisch und politisch befreit hat, wird Goethe erst zu seinem vollen Recht kommen, weil dann die Kunst ein Gemeingut des ganzen Volkes sein wird.“

Willi Bredel war zutiefst davon überzeugt, daß Deutschland am Beginn dieser Zeitenwende stand und daß es sich deshalb nicht nur lohnte, sondern Pflicht und Verantwortung war, allen Menschen Zugang zu Goethes Idealen zu verschaffen.

Seine Rede strahlte Zuversicht aus: „Goethe, dieser geistige Gigant unserer Nation, vermag uns mit seinem edlen Humanismus, seiner Friedensliebe, seinem rastlos wirkenden, vorwärts, auf Fortschritt und Freiheit gerichteten Streben besonders in unserem heutigen nationalen Unglück wieder einen Halt zu geben und in der Besinnung auf die uns von der Geschichte auferlegte Mission auch Auftrieb und Mut …“

Unser Autor ist Ehrenpräsident des Kulturbundes in Mecklenburg-Vorpommern.

Hans-Kai Möller, der Hamburger Autor unseres ebenfalls Willi Bredel betreffenden Beitrags „Die Hand am Puls der Klasse“ (RF 201) legt Wert auf die Festellung, daß diese Überschrift nicht von ihm formuliert worden ist. RF