RotFuchs 226 – November 2016

Angst vor dem Sozialismus?

Beate Wesenberg-Schlosser

Solange ich mich bewußt mit der deutschen Geschichte, beginnend beim Deutschen Kaiserreich, über die Weimarer Republik, den Faschismus bis hin zur Entstehung und Gründung der beiden deutschen Staaten BRD und DDR, deren Ursachen, Bedingungen und Folgen auseinandersetze, genauso lange weiß ich um die Unversöhnlichkeit der beiden so unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen, dem Kapitalismus in der BRD und dem Sozialismus in der DDR.

Die Gegner einer fortschrittlichen Gesellschaftsordnung werden nicht müde, die Verhältnisse und das Leben in der DDR wie der anderen vormals sozialistischen Staaten in den Dreck zu ziehen und die Gesellschaftsordnung nicht nur in der DDR immer wieder als Kommunismus zu bezeichnen. Man könnte unterstellen, sie wüßten es nicht besser. Doch sie wissen es! Das gesellschaftliche System in der DDR, der Sowjetunion, in Polen und in anderen Ländern war erst der Beginn des Sozialismus. Nicht eines dieser Länder behauptete, bereits den Kommunismus aufgebaut oder gar vollendet zu haben. Die kommunistische Gesellschaftsordnung wäre der nächste gesellschaftliche Sprung nach dem vollendeten Aufbau des Sozialismus gewesen. Dazu kam es leider nicht.

Aber jene Länder als kommunistische Länder zu bezeichnen, also als Länder, in denen Kommunisten regieren und die Menschen unter kommunistischen Bedingungen leben, ist eine Methode, eine humanistische Gesellschaftsordnung als nicht erstrebenswert, als undemokratisch, ja als unmenschlich darzustellen und zu verdammen. Dazu kommen vielfältige Manipulationen, u. a. durch „Brot und Spiele“. Mit dem Werkzeug „Werbung“ wird manipuliert, abgelenkt und ruhiggehalten, wird orientiert auf Konsumdenken. Der Bevölkerung wird Zufriedenheit suggeriert, soweit sie über ausreichende finanzielle Mittel für die Erfüllung ihrer Wünsche verfügen. Nur wenige machen sich Gedanken darüber, weshalb so viele Menschen ihre Länder verlassen. Zu viele denken nicht darüber nach, wer in den Ländern, aus denen Hunderttausende unter Einsatz ihres Lebens fliehen, Krieg führt und warum.

Mir sind Werte wie Bildung, Kunst und Literatur, Humanität, Solidarität, Liebe zum Leben, zur Natur, Freundschaft mit anderen Völkern wichtig – Werte, die mir in dem Land, in dem ich bis zu seiner Annexion 38 Jahre leben, mich bilden, arbeiten und glücklich sein durfte, vermittelt und vorgelebt worden sind. Dagegen stehen die Werte der kapitalistischen Gesellschaft, zu deren Verteidigung gegenüber Ausländern, insbesondere Flüchtlingen und Asylanten, unentwegt aufgerufen wird. Welche Werte sind das? Es ist nur ein Wert: das Geld! Der Mensch in dieser Gesellschaft wird nicht bewertet nach dem, was er ist, was er kann und leistet, sondern nach seiner Habe. („Hast du was, dann bist du was!“) Vermögende Menschen genießen hohes Ansehen; je mehr Geld, desto höher das Ansehen. Wer Geld hat, kann sich alles leisten, kann andere nach Belieben benutzen und ausbeuten.  Viel zu häufig begegnen einem Oberflächlichkeit, Gespräche über Belanglosigkeiten – Mode, Abnehmen, Gesundheit … Ängste vor Schweine-, Vogel-, sonstiger Grippe und vor Epidemien werden lanciert und geschürt zu einem einzigen Zweck: um damit Profit zu machen. Die Menschen sollen abgelenkt werden vom politischen Geschehen, von Aufrüstung, von Rüstungsexport, von Kriegen, von Demokratie-, Bildungs- und Gesundheitsabbau, von Freihandelsabkommen, Überwachung, Eingriffen in die Privatsphäre und vielen anderen wichtigen Themen – abgelenkt auch von Vergleichen zwischen sozialistischen und kapitalistischen Verhältnissen, vom Nachdenken über die Notwendigkeit und Machbarkeit eines humaneren, gerechteren Lebens.

Vor einer Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die den Kapitalismus beseitigen und den Sozialismus ermöglichen würde, haben die Mächtigen, ihre Erfüllungsgehilfen und Propagandisten große Angst. Eine solche Veränderung versuchen sie mit allen Mitteln zu verhindern.

Bereits im Deutschen Kaiserreich wurden die Mitbegründer der 1869 gegründeten, revolutionär eingestellten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) Wilhelm Liebknecht und August Bebel beim Leipziger Hochverratsprozeß im Jahre 1872 wegen ihrer Opposition gegen den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und ihrer Solidarität mit der Pariser Kommune zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt. Am 21. Oktober 1878 trat das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“, Sozialistengesetz genannt, in Kraft. Mit § 1 (1) wurden Vereine, welche durch sozialdemokratische, sozialistische und kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung bezwecken, verboten. Verboten wurden ferner Versammlungen und Druckschriften; Verstöße gegen diese Bestimmungen wurden mit Berufsverbot, dem Verlust der Freizügigkeit, Ausweisung oder Gefängnis geahndet.

Zu Beginn der Weimarer Republik wurde der Spartakusaufstand mit Hilfe rechtsgerichteter Freikorpstruppen gewaltsam niederschlagen. Der Spartakusbund war eine Vereinigung von Marxisten und Sozialisten, die während des Ersten Weltkrieges am Ziel einer internationalen Revolution festhielten, um Kapitalismus, Imperialismus und Militarismus zu stürzen. Seit Anfang Dezember 1918 forderten Plakate die Berliner Bevölkerung auf, die „Rädelsführer“ ausfindig zu machen und den Militärs zu übergeben. Es war eine hohe Belohnung ausgesetzt. Ein massenhaft verbreitetes Flugblatt forderte: „Das Vaterland ist dem Untergang nahe. Rettet es! Es wird nicht von außen bedroht, sondern von innen: von der Spartakusgruppe. Schlagt ihre Führer tot! Tötet Liebknecht! Dann werdet ihr Frieden, Arbeit und Brot haben. Die Frontsoldaten.“

Am 15. Januar 1919 wurden Rosa Luxemburg, Mitbegründerin des Spartakusbundes, und Karl Liebknecht, der am 2. Dezember 1914 als einziger Reichstagsabgeordneter gegen die Verlängerung der Kriegskredite stimmte, ermordet. Neben Karl Liebknecht war Rosa Luxemburg die wichtigste Repräsentantin internationalistischer und anti-militaristischer Positionen in der SPD. Sie war eine leidenschaftliche und überzeugende Kritikerin des Kapitalismus und schöpfte aus dieser Kritik die Kraft für ihr revolutionäres Tun. Der Kampf der imperialistischen Kräfte gegen Sozialisten, Kommunisten und Menschen, die sich gegen ihr menschenverachtendes System stellten, die ihr Leben für eine bessere, humane und sozialistische Zukunft einsetzten und gaben, fand sein bisher schrecklichstes Ausmaß im Zweiten Weltkrieg. Es fanden nicht nur Juden bei Schwerstarbeit oder im Gas den Tod. Zielgerichtet gefoltert und ermordet wurden fortschrittliche Menschen, die dem Faschismus Widerstand entgegensetzten – unabhängig von ihrer weltanschaulichen, religiösen oder politischen Überzeugung.

Erinnert sei noch an das Verbot der KPD 1956 in der BRD, das zur Auflösung der Partei, dem Entzug ihrer politischen Mandate, dem Verbot der Gründung von Ersatzorganisationen und zu Gerichtsverfahren gegen Tausende ihrer Mitglieder führte.

Die Angst vor dem Sozialismus und Kommunismus spiegelt sich auch in der Geschichte anderer Länder wider. Man denke nur an den Krieg der USA gegen die Demokratische Republik Vietnam, an den blutigen Militärputsch am 11. September 1973 gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende in Chile oder an den seit Jahrzehnten andauernden US-amerikanischen Boykott gegen Kuba. In der Gegenwart werden – egal in welcher Region dieser Erde – Kriege geführt, Aufständische und Demonstranten, die zum Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus aufrufen, werden niedergeknüppelt oder Repressalien ausgesetzt.

Bei all dem geht es, wie Zbigniew Brzezinski bereits 1997 in seinem Buch „Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ schrieb, dem Imperium alleine darum „das Wiederauftauchen eines neuen Rivalen zu verhindern, egal ob auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion oder anderswo, der eine ähnliche Bedrohung darstellt wie die Sowjetunion.“