RotFuchs 186 – Juli 2013

Aus Eddas Blickwinkel: Beten im Reichstag

Edda Winkel

Kaum zu glauben: Im Reichstagsgebäude gibt es auf Plenarebene zwischen Treppenhaus und Aufzügen einen Andachtsraum. Jeder kann eintreten.

Zunächst sehe ich im Vorraum eine beleuchtete Glasvitrine mit Ritualgegenständen der Weltreligionen. Im Raum der Stille ruht ein Quader aus Granit, der ebenso Opferstein wie Altar sein kann, darauf ein abgelegtes Holzkreuz, das nur bei Bedarf vorübergehend aufgerichtet wird. Schräg verläuft eine nach Osten weisende Gebetsstufe. An den Wänden lehnen Tafeln mit eindringlichen Bildern aus Nägeln, Sand und Asche. Seitlich fällt indirektes Licht in den Raum. Ich setze mich auf einen der hohen Stühle, sehe mich um. Dem Künstler Günther Uecker ist es gelungen, eine Stätte zu gestalten, die zu innerer Einkehr anregt. Hier läßt sich gut schweigen.

Doch das Denken kann ich an diesem geschichtsträchtigen Ort nicht ausschalten. Lähmende Bilder von Unrecht, Krieg und Kriegsgeschrei bedrängen mein Innerstes, lassen es nicht zur Ruhe kommen. Ich freue mich, daß es diesen Raum gibt, und weiß doch, daß sein Friede kaum über dessen Wände hinausreicht. Nicht alle Abgeordneten haben das Anliegen des Künstlers verstanden. Einige mokierten sich sogar darüber, daß dort kein Kreuz aufgestellt sei.

Was sie da nebenan so bereden, beraten, beschließen oder auch nicht beschließen – darüber mag ich gar nicht weiter nachdenken.

Seele – das ist fühlen, empfinden und denken. Nichts davon kann ich abschalten. Nur für kurze Zeit läßt mich ein Raum, ein Wald, das Meer in Schweigen verharren, dann aber muß meine Seele Fahrt aufnehmen und sich Gehör verschaffen, sonst nimmt sie Schaden.