RotFuchs 200 – September 2014

Ist die PDL eine verläßliche Barriere gegen den rechten Trend?

Bemühen um eine ausgewogene Bilanz

Jobst-Heinrich Müller

Wollte man einen Zustandsbericht von der Partei Die Linke, deren Mitglied ich bin, zu Papier bringen, dann wäre dieser angesichts ihrer unberechenbaren Zwiespältigkeit möglicherweise sehr bald nicht mehr aktuell und somit nur Stückwerk. In ihrem von der politischen Praxis leider zunehmend unterlaufenen Erfurter Programm bezeichnet sich die PDL als sozialistische Partei, die für ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem eintritt, das sie „demokratischen Sozialismus“ nennt. Es gehe ihr darum, linke Kräfte „mit unterschiedlichen weltanschaulichen und religiösen Einflüssen“ zu bündeln. Auch Marxisten haben sich dazugerechnet. wie die Existenz einer Kommunistischen Plattform beweist. Sie sind allerdings als Minderheit zunehmend an den Rand gedrängt und fernab von einflußreichen Positionen im Apparat. Inzwischen wird der organisatorische Zusammenhalt um jeden Preis für die PDL zum „Nonplusultra“, welches absoluten Vorrang besitzt. Etliche ihrer Funktionsträger in den Fraktionen bürgerlicher Parlamente entwickeln dabei Tendenzen zur Parteiführerschaft im eher „Bernsteinschen“ Sinne. Sie erliegen den sich ständig ergebenden „Sachzwängen“, eingespielten Mechanismen und Funktionsweisen des bourgeoisen Parlamentarismus, der bekanntlich als Idealform kapitalistischer Machtausübung gilt.

Tilman Rosenau hat diese Situation in der PDL-Zeitschrift „Hamburg-Debatte“ gründlich untersucht. Die durch Susann Witt-Stahl in der UZ vom 6. Juni resümierte regelrechte Auslöschung der ohnehin spärlich vorhandenen Theoriebestände des historischen Materialismus (und des gesamten Marxismus) in der Wissenschaft bewirkt beim heterogenen Personalbestand der PDL eine zunehmende Akzeptanz bürgerlicher Leitvorstellungen, Lebens- und Wertesysteme. „Wenn die Begriffe nicht richtig sind, so stimmen die Werte nicht, stimmen die Werte nicht, so kommen die Werke nicht zustande“ urteilte einst Konfuzius.

Mit Bernstein begann der Niedergang sich vormals (und teils auch noch heute) als „sozialistisch“ bezeichnender Parteien, deren wohlklingende Programme zu bloßer Makulatur wurden. Eine anwaltlich geschulte zielsichere und zweifellos auch Popularität verschaffende Beredsamkeit, mit der man im Bundestag entschieden sozialistisch positionierten Genossinnen der eigenen Fraktion wie Sevim Dagdelen besserwisserisch über den Mund fährt, zielt auf Anpassung. Ganz anders waren da doch einst die Parlamentsreden von August Bebel oder Clara Zetkin!

So, wie die französische und die britische Sozialdemokratie abgewirtschaftet und damit den Weg für das Aufkommen faschistoider Parteien freigemacht haben, zeigen sich auch anderswo Tendenzen politischer Selbstentwaffnung und Anpassung an das bürgerlich-konservative Lager.

Die Stimmen der SPD-Abgeordneten im Europaparlament für Jean-Claude Juncker – den Wunschkandidaten Nr. 1 des europäischen Finanzkapitals – waren ein solcher Fall der Reise nach rechts. Die Akzeptanz derartiger „Werte“ erleichtert das neuerliche Umsatteln der Herren des Geldes auf braune Gäule, wie die Geschichte lehrt.

In der Absicht, „sich neue Wählerschichten zu erschließen“, sucht auch Die Linke unter Zurückdrängung ihrer marxistischen Strömungen das Heil im prinzipienlosen Bündnis mit SPD und Grünen. Der Eintrittspreis in diesen Zirkus ist bekannt: volle Akzeptanz der „Staatsräson“ einschließlich ihrer imperialistischen Destabilisierungs- und Kriegspolitik. Viele in der PDL, die sich an einflußreicher Stelle plaziert haben, sind durchaus dazu bereit, diesen Preis zu entrichten. Zu ihrer Anbiederungstaktik gehört inzwischen auch die Stimmenthaltung, wo ein Nein erforderlich wäre. „Nicht dafür und nicht dagegen“ lautet Gysis Parole. In Sachen Ukraine hieß es: PDL-Alleinstellungsmerkmal bleibt die Kritik an einzelnen Fehlern der EU- und NATO-Politik, um eine offene Parteinahme für die eine oder die andere Seite zu vermeiden. Eine Sternstunde der Diplomatie! Über das „Rentenpaket“ der SPD-Ministerin Nahles, das im Wahlkampf betrügerisch als „Rente mit 63“ propagiert worden war, hieß es bei der PDL: „Zu gut, um dagegen, zu schlecht, um dafür zu stimmen.“ So kann man am Ende doch noch die T-Shirts des DGB überstreifen: „Gute Arbeit, gutes Leben, gute Rente, soziales Europa.“

Das strategische Gesamtpotential der meisten kommunistischen Parteien Europas und insbesondere der konsequent marxistisch-sozialistischen Kräfte in Deutschland ist z. Z. außerordentlich begrenzt, wie Mitgliederzahlen und Wahlergebnisse zeigen. Die BRD ist weder Belgien noch Portugal, Griechenland oder Spanien, wo es ganz andere Kräfte und Signale gibt. Den Erhalt, die Verbreitung und konsequente Umsetzung marxistischer Theorie, deren Anwendung in Analyse und Politik auf allen Ebenen nimmt uns aber niemand ab! Das müssen wir schon selber tun. Dabei ist eine praktische Bündnispolitik mit Blick auf Bürgerbewegungen, Gewerkschaften, andere Massenorganisationen und zugängliche Medien durch überzeugende, gleichberechtigte und aktive Mitarbeit zu suchen. Unter Antifaschisten und Demokraten, die nicht marxistisch orientiert sind, gilt es, um Akzeptanz für fortschrittliche und dort bislang unbekannte Ideen zu werben. Entscheidend ist es, daß der Hauptwiderspruch zwischen Arbeit und Kapital, den unsere Gegner einschließlich der SPD-Führer permanent zu vertuschen bemüht ist, gerade auch in Basisgruppen der PDL wieder deutlich gemacht wird.

Wie sehe ich meine Partei heute? Als „Bremsklotz“ am Bein der politisch und ökonomisch Herrschenden verhindert sie derzeit noch massivere reaktionäre Veränderungen, indem sie sich dem immer spürbareren Rechtstrend entgegenstellt. Ihre parlamentarische Präsenz als größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag schützt übrigens auch Kommunisten und Marxisten vor schärferer Drangsalierung, der sie bereits in Polen, Ungarn und den baltischen Staaten ausgesetzt sind. Die PDL besitzt einen spezifischen Wert: Sieht man von wenigen auf linken oder DKP-Listen gewählten Kommunalpolitikern ab, dann gibt es derzeit wohl kaum eine andere parlamentarische Kraft zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie und zur Abwehr des drohenden Ansturms alter und neuer faschistoider Kräfte.