RotFuchs 194 – März 2014

Wird die Transatlantische Freihandelszone
eine Wirtschafts-NATO?

„Cockpit“-Träume der USA

Dr. Ulrich Sommerfeld

US-Präsident Barack Obama erklärte in seiner „Rede zur Lage der Nation“ Anfang Februar 2013, er verfolge zwei Projekte: eine transatlantische und eine transpazifische Partnerschaft. Die Idee für die Erstgenannte lieferte Angela Merkel schon 2007. Seitdem diskutieren Washington und die Brüsseler EU-Spitze intern über die Errichtung einer „Freihandelszone“. Die Grundlage hierfür soll ein Abkommen bilden, das unter folgenden Gesichtspunkten betrachtet werden muß: Erstens betrifft es die Entwicklung der Weltwirtschaft. Da die USA ihre globalen Vormachtpositionen schwinden sehen, wollen sie sich die EU als politische und wirtschaftliche Einflußsphäre bewahren. Zweitens wollen die USA anderen wirtschaftlichen Zentren oder Einflußzonen bei deren Expansionsbestrebungen Hindernisse in den Weg legen. Das betrifft vor allem China – die zweitstärkste Volkswirtschaft der Welt –, aber auch Rußland und aufstrebende Schwellenländer mit wachsender Potenz wie Brasilien, Indien und Südafrika.

Angesichts der abweisenden Haltung der Europäischen Union (EU) schafft sich Rußland seit einigen Jahren eigene Schwerpunkte. Das europäisch-asiatische Riesenland und weitere vier Staaten unterzeichneten im Jahre 2000 den Vertrag über die Errichtung der „Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft“. Es handelt sich dabei um einen Versuch, die früheren ökonomischen Verbindungen ehemaliger Sowjetrepubliken auf eine neue Grundlage zu stellen. Dabei geht es vor allem auch um die Schaffung einheitlicher Zollregeln, die Einigung auf gemeinsame Positionen für den Warenhandel, für Dienstleistungen und den Zugang zu den Binnenmärkten. Im Juli 2010 einigten sich Rußland, Kasachstan und Belarus als ersten Schritt auf eine Zollunion. Der visafreie Reiseverkehr zwischen den Mitgliedsländern wurde eingeführt. Auch Usbekistan erwägt seinen Beitritt, während Armenien bereits erklärte, sich der Zollunion anschließen zu wollen. Selbst Ankara prüft entsprechende Schritte. China plant gemeinsam mit Belarus den Bau einer riesigen Stadt nur 25 Kilometer von Minsk – eine Art weißrussisches „Silicon Valley“ mit Hightech-Firmen in den Bereichen Biomedizin und Elektronik.

Fallen die Handels- und Zollbarrieren zwischen China und seinen wichtigsten Geschäftspartnern in Südostasien, dann entsteht dort eine außerordentlich mächtige weitere Wirtschaftszone. Für die USA wäre es jedoch noch brisanter, wenn Pekings Vorschlag zur Gründung einer Handelsachse China-Korea-Japan Wirklichkeit würde. So bleibt aus Sicht Washingtons kein anderer Weg als in die Offensive zu gehen, wenn es seinen Einfluß in Asien und Europa nicht weiter geschwächt sehen möchte.

Unter diesem Aspekt ist das angestrebte Wirtschaftsbündnis USA-EU zu werten. Die Vereinigten Staaten streben eine weit über eine reine Zollunion hinausgehende Allianz an, um den Herausforderungen einer sich wandelnden Weltwirtschaft begegnen zu können. Deshalb drängen US-Konzerne darauf, die ökonomischen, technischen und rechtlichen Standards der EU denen der USA anzunähern. Springender Punkt dabei sind Vorstellungen, daß künftig Unternehmen gegen Entscheidungen von Staaten (z. B. beim Umweltschutz, der Bewahrung natürlicher Ressourcen und dem Gen-Schutz) klagen können. Diese Frage wird besonders im Bereich der Lebensmittelproduktion, aber auch der chemischen und pharmazeutischen Industrie höchst explosiv. US-Unternehmen drängen bekanntlich seit längerem mit genmanipulierten oder geklonten Erzeugnissen auf den westeuropäischen Markt.

Mit Hilfe einer neuen Energiepolitik, die auf umweltzerstörende Ausbeutung inländischer Gas- und Erdölressourcen durch Fracking setzt, verschaffen sich einzelne Staaten Wettbewerbsvorteile. Die Internationale Energieagentur (IEA) geht davon aus, daß die USA bald mehr stromintensive Güter exportieren werden. „Auch in Asien dürfte – getrieben durch die Nachfrage – die Produktion solcher Waren ansteigen. Europa und Japan hingegen verlören so bis 2035 gut ein Drittel ihres Weltmarktanteils“, prognostizierte die IEA. Das würde bedeuten, daß die Europäische Union in großem Ausmaß Positionen einbüßen könnte. Die größte Volkswirtschaft der Welt – die der USA – nimmt nach wie vor den führenden Rang in Forschung und Entwicklung ein. Konflikte über Patente und Patentrecht sind da angesagt.

Als Schlußfolgerung mag die Erkenntnis gelten, das Obamas Vorschlag für eine neue Partnerschaft USA-EU nicht vorrangig ökonomisch motiviert ist. Er stellt vor allem den Versuch dar, strategische Machtpositionen zurückzuerobern. „Auf vielen Gebieten, etwa in der Energiewirtschaft, dem Maschinenbau, der Leichtindustrie und teilweise auch der Landwirtschaft, konkurrieren USA und EU keineswegs nur mit China, sondern in erheblichem Maße auch untereinander“, konstatierte der russische Politologe Dmitri Absalow. Überdies sind viele Mechanismen einer Freihandelszone wenig effektiv. In Krisenzeiten werden sowohl Washington als auch Brüssel wieder Beschränkungen einführen (müssen), um nicht Arbeitsplätze der eigenen Volkswirtschaften auf dem Altar einer solchen „Integration“ zu opfern.

Die transatlantische Markterweiterung dürfte im EU-Raum wohl kaum neue Jobs entstehen lassen. Eher werden sich industrielle Produktionen längerfristig in den USA konzentrieren – bei Arbeitsplatzeinbußen industrieller Unternehmen Europas. Ob diese durch den Ausbau des Dienstleistungssektors ausgeglichen werden können, steht in den Sternen.

Die Gestaltung des rechtlichen Rahmens für die geplante Transatlantische Freihandelszone ist ebenfalls ein heißes Eisen. Zwar werden USA und EU formell gleichberechtigte Beziehungen vereinbaren, in der Praxis jedoch dürfte sich die Europäische Union dem Führungsanspruch Washingtons unterordnen. „Manche Transatlantiker sprechen bereits von einer ,Wirtschafts-NATO‘“, urteilte die „Süddeutsche Zeitung“. Die US-Regierung bezeichnet das Projekt zwar als „Transatlantische Handels- und Investment-Partnerschaft“, stellt sich dabei jedoch einen Wirtschaftsraum vor, der einem Flugzeug gleicht: Die Vereinigten Staaten wollen im Cockpit sitzen, während man 28 EU-Mitgliedern hintere Plätze zuweist.