RotFuchs 191 – Dezember 2013

Das Fazit des Feuerwehrmannes Montag

Joachim Augustin

Wer erinnert sich noch an den Film „Fahrenheit 451“ von François Truffaut aus dem Jahr 1966? Die Menschheit lebt nach dem Prinzip des hedonistischen Glücksstrebens. Bücher sind gesetzlich verboten, da sie sich mit Problemen und Konflikten befassen und die Wahrheit sagen. Die Feuerwehr hat die Aufgabe, sie aufzuspüren, zu verbrennen und die „Büchermenschen“ unschädlich zu machen. Glücksgefühle werden durch Unterhaltungselektronik und Tablettenkonsum erzeugt.

Der Protagonist dieser Zukunftsgeschichte ist der Feuerwehrmann Montag, der nach der Begegnung mit einer Lehrerin, die nach einer Gesinnungsprüfung durch eine Art Verfassungsschutz nicht mehr unterrichten darf, umzudenken beginnt. Er liest heimlich Bücher, die er bei Haussuchungen mitgehen läßt. Zum Ende des Films wechselt er zu jenen Buchmenschen, welche jeweils einen Titel auswendig lernen, um die Wahrheit weitergeben zu können.

Damals war das ein Zukunftsfilm, der, wie die Romane von Jules Verne oder George Orwells „1984“, nicht allzu ernst genommen wurde. Doch heute wissen wir, daß uns die seinerzeitige „Zukunft“ bereits überholt hat. Flächendeckende, weltweite Überwachung ist längst Wirklichkeit. In den Kinderzimmern regieren nur noch Game-Boy, XBox und Playstation 1 bis unendlich. Denken und Gefühle sollen ausgeschaltet werden, damit die menschliche Arbeitskraft um so rücksichtsloser ausgebeutet werden kann. Smartphones ersetzen das Gehirn und verhindern jegliches Aufbegehren, das die Finanzströme der Mächtigen dieser Welt stören würde. Und wenn die Menschen unter all diesen Lasten zerbrechen, gibt es ja immer noch Amphetamine oder Beruhigungsmittel einer riesigen Pharmaindustrie.

Begriffe wie Moral, Menschlichkeit, Mitgefühl oder Verständnis sind durch ein einziges Wort abgelöst worden: Profit. Es bestimmt alles Denken und Handeln der ökonomisch Herrschenden, die durch Politiker, Banken und Lobbyverbände vertreten werden. Und wie eine Schafherde folgen wir den Götzen dieser kalten Glitzerwelt, immer bestrebt, dabei mitzuhalten. Kommt einem da nicht unwillkürlich Goethes „Faust“ in den Sinn:

Und auf vorgeschriebenen Bahnen
Zieht die Menge durch die Flur:

Den entrollten Lügenfahnen
Folgen alle – Schafsnatur!

Und wenn dann doch einmal Idealisten aus diesem Totentanz ausbrechen, um uns aufzuwecken, werden sie wie Daniel Ellsberg vernichtet, der 1964 die den Vietnamkrieg auslösende Tonking-Golf-Resolution des USA-Kongresses als Lüge entlarvte. Seinen Lehrstuhl hat der Professor verloren, aber er ist wenigstens in Freiheit. Anders als Mordechai Vanunu, der Israel als Atommacht enttarnte und dafür auch nach 18 Jahren Gefängnis immer noch gedemütigt wird, ist Edward Snowden vorerst in relativer Sicherheit. Aber Bradley Manning blieb der Rachejustiz der U.S. Army ausgeliefert. Er hatte sein Leben eingesetzt, um die Streitkräfte seines Landes als das zu brandmarken, was sie sind: ein mörderisches Machtinstrument des Imperialismus! In Irak dienten sie dazu, einen verbrecherischen Angriffskrieg zur Ergatterung der Ölreserven durch die US-Konzerne zu entfesseln. Die Aggressoren foltern und morden, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Das aber aufgedeckt zu haben, war Mannings „Verbrechen“. Ein Stabsgefreiter mit hoher Qualifikation hat dem Friedensnobelpreisträger Barack Obama das Dekor genommen.

Auch der britische Premier David Cameron stellte sich selbst bloß. Für Leute seines Schlages sind sittliche Normen absolute Fremdworte. Auf Camerons Befehl mußte der Londoner „Guardian“ seine Festplatten unter Aufsicht des britischen Geheimdienstes zerstören. Ein bislang beispielloser Angriff auf die Pressefreiheit in diesem Land. Dabei hatte der Premierminister nichts zu befürchten, besitzt das Vereinigte Königreich doch nicht einmal ein Grundgesetz wie die BRD.

Nach wie vor folgt die Mehrheit der Erdbevölkerung Blendern und Schaumschlägern, während die Verfechter echter Ideale gezielt ausgeschaltet werden. Die meisten Menschen können es sich nicht einmal rational erklären, warum das so ist. Zu recht zitierte Horst Neumann im RF den Soziologen Gustave Le Bon, der 1895 in seinem Buch „Psychologie der Massen“ geschrieben hatte: „Gehirnwäsche zeigt Wirkung, weil Denken anstrengt. Die reine, einfache Behauptung ohne Begründung und ohne jeden Beweis ist ein sicheres Mittel, um der Massenseele eine Idee einzuflößen. Je bestimmter die Behauptung, je freier sie von Beweisen und Belegen ist, desto mehr Ehrfurcht erweckt sie. Die Behauptung hat aber nur dann wirklichen Einfluß, wenn sie ständig wiederholt wird, und zwar möglichst mit denselben Ausdrücken. Das Wiederholte festigt sich dann so sehr in den Köpfen, daß es schließlich als eine bewiesene Tatsache angenommen wird. Es setzt sich am Ende in den tiefen Bereichen des Unterbewußtseins fest, in denen die Ursachen unserer Handlungen verarbeitet werden. Und nach einiger Zeit, wenn wir vergessen haben, wer der Urheber der immer wiederholten Behauptung war, glauben wir schließlich daran. Nicht mit Beweisgründen, sondern mit Vorbildern kann man Massen leiten.“

Das erklärt auch, warum Merkels Innenminister Friedrich behauptete, die massive Überwachung und Bespitzelung durch BND und Verfassungsschutz habe erfolgen müssen, weil dadurch bereits „über 40 Anschläge verhindert“ worden seien. Aus taktischen Gründen aber habe man die Details nicht preisgeben können. Mir scheint, nicht nur Goebbels hat Le Bon gelesen. Auch die heutigen Meinungsmacher von Sendern und Blättern kennen sich darin aus.

So ist es nur allzu verständlich, daß Menschen mit Gewissen, Charakter und Weltsicht eine Gefahr für diese Lügner darstellen. Wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir alle zu Feuerwehrleuten Montag werden, damit wir den Anfeindungen durch die Parteienmehrheit des Bundestages trotzen können.

Mögen am Ende dieses kleinen Essays Verse Karl Liebknechts vom Herbst 1918 stehen. Nur Monate vor seinem gewaltsamen Ende überschrieb er sie – auch um anderen Mut zu machen – mit dem appellierenden Wort „Zuversicht“:

Die Gegenwart mag trügen,
die Zukunft bleibt uns treu.
Ob Hoffnungen verfliegen,
sie wachsen immer neu.

Aus nichts wird alles werden,
eh‘ sie es noch gedacht.
Trotz ihrer Machtgebärden,
wir spotten ihrer Macht.

Und ob das Ziel, das hohe,
entwichen scheint und fern,
es kommt der Tag, der frohe,
wir trauen unserm Stern.