RotFuchs 231 – April 2017

Das Museum deutscher Antifaschisten
in Krasnogorsk

Dr. Kurt Laser

Anläßlich des 40. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus regte Erich Honecker an, ein Museum deutscher Antifaschisten in Krasnogorsk in der UdSSR zu schaffen. Am 29. Dezember 1984 wurde dieser Vorschlag vom Politbüro des ZK der KPdSU zum Beschluß erhoben. Geplant war, diese Stätte auf dem Gelände der ehemaligen zentralen Antifa-Schule und des Lagers für Kriegsgefangenene in Krasnogorsk (Moskauer Oblast) einzurichten, dort wo am 12. und 13. Juli 1943 auf Initiative des ZK der KPD mit Unterstützung des ZK der KPdSU im Krasnogorsker Mechanischen Werk die Gründungskonferenz des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ (NKFD) stattgefunden hatte. An dem Gebäude erinnerte eine Gedenktafel an das Ereignis.

Gründungsversammlung des NKFD (1943)

Gründungsversammlung des NKFD (1943)

Die Vorbereitung der Ausstellung lag in den Händen des Zentralen Revolutionsmuseums der UdSSR, das vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, dem Zentralen Lenin-Museum, dem Marx-Engels-Museum, dem Historischen Museum, dem Zentralen Museum der Streitkräfte der UdSSR und dem Institut für Militärgeschichte des Verteidigungsministeriums der UdSSR Hilfe erhielt. Von seiten der DDR erfolgte die Unterstützung durch eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Generaldirektors des Museums für Deutsche Geschichte, Obermuseumsrat Prof. Dr. Wolfgang Herbst, der Vertreter dieses Museums, des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, des Armeemuseums der DDR in Dresden und des Militärhistorischen Instituts Potsdam angehörten.

Kriegsgefangene beim Lesen der ersten Ausgabe der Zeitung „Freies Deutschland“

Kriegsgefangene beim Lesen der ersten Ausgabe der Zeitung „Freies Deutschland“

Für die wissenschaftliche Ausarbeitung des Ausstellungsdrehbuchs war eine Arbeitsgruppe des Zentralen Revolutionsmuseums der UdSSR unter Leitung von Leonid Babitschenko zuständig. Zu ihr gehörten die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen W. I. Strygina, S. M. Karachanjan und L. W. Wasilkowa, die während des Krieges als Partisanin kämpfte. Planung und Leitung der Arbeiten lagen beim Ministerium für Kultur der UdSSR, dem das Revolutionsmuseum unterstand. Das Museum in Krasnogorsk wurde als ein politisch wichtiges Objekt angesehen, und die Stellvertretende Ministerin für Kultur der UdSSR, T. V. Golubkowa, kümmerte sich kontinuierlich um den Fortgang der Arbeiten.

Am Aufbau des Museums deutscher Antifaschisten in Krasnogorsk im Jahre 1985 nahmen Fredi Sumpf vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED und ich vom Museum für Deutsche Geschichte als Konsultanten teil. Wir hatten ausreichend Gelegenheit, unsere inhaltlichen Gestaltungswünsche einzubringen. Mit den Kollegen des Revolutionsmuseums arbeiteten wir sehr gut und kameradschaftlich zusammen.

Titelseite des „Freien Deutschland“ vom 19. Juli 1943

Titelseite des „Freien Deutschland“ vom 19. Juli 1943

Bis zur Eröffnung standen faktisch nur vier Monate zur Verfügung. Trotz der kurzen Vorbereitungszeit war eine umfangreiche Sammlungsarbeit sehr ertragreich. Mitarbeiter des Zentralen Revolutionsmuseums der UdSSR führten Sammlungs-Exkursionen durch. Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion stellten Materialien zur Verfügung. Wertvolle Unterlagen kamen von deutschen Antifaschisten, die in den sowjetischen Kriegsgefangenenlagern, als Lehrer und Schüler in den Antifa-Schulen und an der Front wirkten. Sie hatten Anteil daran, daß es nach der Befreiung vom Faschismus im Osten Deutschlands gelang, einen friedliebenden und sozialistischen Staat zu errichten.

Museen und Institutionen der DDR, insbesondere das Museum für Deutsche Geschichte, das Armee-Museum der DDR und das Institut für Marxismus-Leninismus unterstützten den Aufbau des Krasnogorsker Museums mit Ausstellungsobjekten. Es waren 77 gegenständliche Exponate (Fahnen, Wimpel, Orden, Medaillen, Abzeichen), 534 Dokumente (Originale, Faksimiles, Kopien) und 384 Fotos. In der Ausstellung selbst wurden 830 Exponate gezeigt. Davon kamen 335 aus der DDR. Erich Honecker übergab dem Museum eine 1500 Bände umfassende Bibliothek des antifaschistischen Widerstandes.

Die materiell-technische und finanzielle Absicherung sowie die gestalterische Ausführung der Exposition waren ebenfalls Ergebnis gemeinsamen Wirkens. Mit großem Einsatz, viel Umsicht und Sorgfalt richteten sowjetische Arbeiter und Spezialisten das Gebäude, bis Anfang 1985 noch Wohnhaus, für seinen neuen Zweck her. Als ich im Februar 1985 nach Krasnogorsk kam, konnte ich mir nur schwer vorstellen, daß bis Anfang Mai hier ein komplettes Museum entstehen wird. In dem in deutscher und russischer Sprache herausgegebenen Museumsführer hieß es: „Dank energischer Unterstützung durch die Parteiorgane sowie der Ministerien für Kultur der DDR und der UdSSR konnte dieses Museum in nur wenigen Monaten geschaffen werden.“ Dem für den Museumsbau verantwortlichen Architekten J. A. Dimitrijew gelang es, bei der Rekonstruktion des Gebäudes die äußeren Proportionen und die wichtigsten architektonischen Merkmale beizubehalten und gleichzeitig dem Gebäude und der Umgebung den Charakter einer Gedenkstätte zu verleihen. Das Projekt für die architektonisch-künstlerische Gestaltung erarbeitete eine Gruppe von Künstlern des Kombinats für Formgestaltung und dekorative Kunst des Künstlerfonds der RSFSR unter Leitung des Verdienten Malers der Kirgisischen SSR, W. W. Nedeshin. Die wichtigsten Ereignisse in der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion hielt der Künstler M. B. Woloschin in großformatigen Fotomontagen fest.

Am Aufbau des Museum nahmen aus der DDR auch Architekten, Grafiker, Monteure, Dekorateure und Handwerker der DEWAG teil. Es gab von sowjetischer Seite jede nur mögliche Unterstützung. So war sofort ein Trupp von Soldaten zur Stelle, wenn Hilfe gebraucht wurde. Auch in der DDR hatte das Museum oberste Priorität. Wenn wir aus Berlin etwas haben wollten, traf es einen Tag später in Krasnogorsk ein. Das Museum wurde termingemäß eröffnet.

Abgenommen hatte die Ausstellung eine Kommission von sechs Moskauer Museumsdirektoren, drei Mitarbeitern des sowjetischen Kulturministeriums, einem Mitarbeiter des Moskauer Exekutivkomitees und einem Vertreter der Krasnogorsker Parteiorganisation. Fredi Sumpf und ich wurden hinzugezogen. Begutachtet hatten die Ausstellung auch Mitarbeiter der Abteilung Wissenschaft des ZK der SED, des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen der DDR, des Instituts für Marxismus-Leninismus und des Museums für Deutsche Geschichte. Auf der Freundschafts­kundgebung zur Ausstellungseröffnung am 5. Mai 1985 sprachen Erich Honecker, Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzender des Staatsrates der DDR,
Herbert Mies, Vorsitzender der DKP, Horst Schmitt, Vorsitzender der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins, und Pjotr Demitschew, Kandidat des Politbüros des ZK der KPdSU und Minister für Kultur der UdSSR. Es nahmen weiterhin Viktor Grischin, Mitglied des Politbüros des ZK und 1. Sekretär des Moskauer Stadtparteikomitees der KPdSU, Konstantin Russakow, Sekretär des ZK der KPdSU, und weitere Persönlichkeiten aus der UdSSR, der DDR, der BRD und Westberlins teil.

Erich Honecker sagte in seiner Eröffnungsrede: „Hier auf sowjetischem Boden, wenige Kilometer von Moskau entfernt, wird den deutschen Antifaschisten eine bedeutende Würdigung zuteil. Ihrem opferreichen und mutigen Kampf ist dieses Museum gewidmet.“ Am Beginn des musealen Rundgangs stand ein großes Farb-Dia, welches das von deutschen Antifaschisten über die Zeit des Faschismus hinweggerettete Lenin-Denkmal in Eisleben zeigte. In der ersten Vitrine waren zwei Exemplare des Manifests der Kommunistischen Partei zu sehen, ein Faksimile-Druck der Londoner Erstausgabe und eine von Kugeln durchsiebte russischsprachige Ausgabe von 1937, die der Offizier der Roten Armee N. S. Semjonow in seiner Kartentasche bei sich trug. Er fiel bei den Kämpfen um die Befreiung Lettlands. Dann wurden der Kampf der deutschen Linken gegen den I. Weltkrieg und die Gründung der KPD gezeigt. Eindringlich schilderte die Ausstellung den Kampf der Kommunisten und anderer fortschrittlicher Kräfte gegen den deutschen Imperialismus und die faschistische Gefahr in der Zeit der Weimarer Republik. Einen besonderen Platz nahmen dabei die freundschaftlichen Beziehungen der deutschen Arbeiterbewegung zur Sowjetunion ein.

Die Darstellung des antifaschistischen Widerstandskampfes nach der Errichtung der faschistischen Diktatur hob die Rolle der Kommunisten hervor, ohne das Engagement von Sozialdemokraten, Christen und anderen Nazigegnern zu verschweigen. Der Besucher fand im Museum eine Reihe emotional wirksamer Materialien, so Grafiken von Hans Grundig, Herbert Sandberg und Fritz Schulze, die zwischen 1933 und 1945 entstanden. Außerdem wurden Kopien der Plastik „Deutschland – bleiche Mutter“ von Fritz Cremer, der von Gerhard Rommel geschaffenen Reliefporträts Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs und eine Wilhelm-Pieck-Büste von Ruthild Hahne aufgestellt. Ein Selbstporträt des von den Faschisten ermordeten Künstlers Alfred Frank war zusammen mit einer Seite aus dem Leipziger Telefonbuch zu sehen. Antifaschisten hatten auf dieser Seite eine Zeichnung Franks und den Text „Hungert! Für das alles danken wir dem Führer!“ abgedruckt.

Im Zentrum der Ausstellung stand das Nationalkomitee „Freies Deutschland“. Es gab im Museum einen Memorialteil, unter anderem mit Nachbildungen eines Teils des Saales, in dem die Gründungskonferenz des NKFD stattfand, eines Unterrichtsraumes der Antifa-Schule und einer Felddruckerei der „Gruppe 117“, in der deutsche Antifaschisten gemeinsam mit Angehörigen der Roten Armee im Hinterland des faschistischen Feindes wirkten. Es wurde auch ein Dokumentarfilm über die Gründung des NKFD gezeigt. Im Obergeschoß des Museums klang die Ausstellung mit dem Thema „Die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik – die Erfüllung des Vermächtnisses der Kämpfer gegen den Faschismus“ aus. Zu sehen waren hier unter anderem das Duplikat einer Fahne, die dem Vereinigungsparteitag von KPD und SPD zur SED 1946 übergeben wurde, und eine Ausgabe des vom IX. Parteitag der SED 1976 angenommenen Programms der SED mit einer Widmung Erich Honeckers. Den Schwerpunkt bildete der Freundschaftsbund zwischen der DDR und der UdSSR. Die Ausstellung schloß mit einem farbigen Großfoto eines Freundschaftstreffens der FDJ und des Komsomol am Treptower Ehrenmal.

Als ich im April 1990 zum letzten Mal das Museum in Krasnogorsk besuchte, war das Obergeschoß leergeräumt. Hier wurde eine Ausstellung von Künstlern des Krasnogorsker Gebietes gezeigt. Im Erdgeschoßteil war der Anteil von Sozialdemokraten und Christen am antifaschistischen Widerstand verstärkt dargestellt worden.

2005 schrieben Frank Preiss und Gunter Dehne in einem Internet-Beitrag: „Seit Jahren schon erregt der unwürdige Umgang mit der Thälmann-Gedenkstätte im brandenburgischen Ziegenhals die Gemüter all jener, die sich der Geschichts­entsorgung – und sei es unter dem löchrigen Deckmantel marktwirtschaftlicher Zwänge – vehement verweigern. 1816 Kilometer weiter östlich liegt am Rande Moskaus die Stadt Krasnogorsk. Was verbindet den ruhigen idyllisch gelegenen Ausflugsort unweit Berlins mit der hektischen Industriestadt knapp zwei Kilometer westlich des Autobahnringes der Hauptstadt Rußlands? Hier wie da befinden sich einzigartige Gedenkstätten antifaschistischen deutschen Widerstandes. Beide erinnern an ein scheinbar weit zurückliegendes Kapitel der Geschichte.

Beide gehörten einst zum besonders gepflegten historischen Nachlaß von Staaten, die nunmehr untergegangen sind. Sowohl die ,vereinte‘ Bundesrepublik Deutschland als auch die neugegründete Russische Föderation mußten sich 1990 beziehungsweise 1991 entscheiden, wie sie mit ihrem geschichtlichen Nachlaß weiter umzugehen gedenken. Wenngleich auch im neuen Rußland, vor allem in den 90er Jahren, blinder Antikommunismus und eine teilweise erstaunlich primitive Geschichtsrevision zum Handwerkszeug der neuen und altgewendeten Eliten gehör(t)en, sind daneben aber niemals die Stimmen derjenigen verstummt, die davor warnten, bei der Suche nach einem neuen Gesellschaftsmodell das Kind mit dem Bade auszuschütten. Im Museum der deutschen Antifaschisten ist ein Brief zu sehen, in dem ein russischer Bürger folgendes schreibt: ,In Rußland gedenkt man all jener, die ihren Beitrag zur Befreiung der Menschheit vom Hitler-Joch geleistet und die Kraft und den Mut aufgebracht haben, sich dem menschenfeindlichen Nazi-Regime zu widersetzen … Die edle Mission der Veteranen des deutschen Antifaschismus hat… ihre aktuelle Bedeutung keineswegs eingebüßt … In unseren Tagen werden zuweilen Versuche unternommen, die Geschichte umzuschreiben. Ich bin davon überzeugt, daß es in diesem Zusammenhang besonders wichtig ist, die Ursachen des blutigsten aller Kriege nicht zu vergessen, … sowie keine Revision der Geschichte zuzulassen.‘ Der Verfasser dieser Zeilen war Wladimir Putin, auch zu diesem Zeitpunkt Rußlands Präsident.“

Meine letzte Information über das Museum, inzwischen Filiale des Zentralmuseums des Großen Vaterländischen Krieges in Moskau, stammt vom Februar 2011. Da zählte das Museum jährlich rund 8000 Besucher und hatte 26, darunter elf wissenschaftliche, Mitarbeiter.

Aus: Heimat DDR (Spuren der Wahrheit, Band 11), GNN-Verlag, Schkeuditz 2015 (redaktionell bearbeitet)

Memorialmuseum deutscher Antifaschisten

Adresse:
143400, Московская область,
г. Красногорск, ул. Народного Ополчения, 15

Telefon:
(495) 563-32-95, 563-33-71

Internet:
www.mmna.ru und www.museum.ru/M464