RotFuchs 208 – Mai 2015

Demokratie und Freiheit
aus philosophischer Sicht

Nico Jühe

Gegenwärtig ergehen sich die Politiker der Bourgeoisie einmal mehr in den Vokabeln Demokratie und Freiheit. Die Begriffe hängen inhaltlich von der jeweiligen Interessenlage ab. Es geht darum, wann und wo welche Werte wie und warum zu verteidigen sind. Für uns Marxisten gibt es auf diese Frage nur eine Antwort: Demokratie ist kein klassenneutraler Begriff. Sie hängt von den ökonomischen Rahmenbedingungen ab. Dem Wort liegen zwei griechische Vokabeln zugrunde. Demos bedeutet nicht Volk, sondern Angehöriger einer Gemeinschaft. Damit waren in der Antike Gelehrte, aber auch Handwerker und Soldaten gemeint. Demos ist also nicht gleichbedeutend mit ethnos (Volk). Der zweite Begriff – kratia – heißt Herrschaft im Sinne von Entscheidungsmacht.

Der Begriff Freiheit taucht erstmals in der Idee des Naturrechts auf, die insbesondere von John Locke entwickelt wurde. Danach hat der Mensch von Natur aus Grundrechte, deren Beschneidung einen Eingriff in seine garantierten Freiheiten darstelle. Freiheit im Sinne von Selbstbestimmung wird erst mit Immanuel Kant eingeführt. Er unterscheidet zwei wichtige Arten: Erstens die Willkürfreiheit, also die Freiheit, die uns gestattet, jede beliebige Handlung ohne Rücksicht auf andere auszuführen. Da der Mensch jedoch ein vernunftbegabtes Wesen ist, bleibt diese Freiheit unvollkommen.

Zweitens die Freiheit als Autonomie. Diese koppelt sich selbstverständlich auch an das, was Kant unter Demokratie versteht. Die Garantie der Entscheidungsfreiheit eines jeden zugunsten der optimalen Freiheit aller. In Hegels Rechtsphilosophie wird die Freiheit zur Idee, also zum Begriff aller Begriffe der menschlichen Geschichte.

Für Marx – und das ist der entscheidende Übertritt – sind Demokratie und Freiheit wie bei Hegel zwar historische Begriffe, entspringen aber nicht dem Denken, sondern werden erst durch die sozialökonomischen Bedingungen als Gedachtes reflektiert. Hier sind die Begriffe, mit denen sich der „Zeitgeist“ kleidet, Ergebnisse der jeweiligen Klassengesellschaft, oder anders ausgedrückt: Die herrschenden Bedingungen, die herrschende Klasse geben die Definition ihrer Begriffe vor. Dennoch sollten wir nicht den Fehler begehen, diese Fragen allein an den Klassenkampf zu verweisen. Das würde Marx und seinen Vorläufern, die er selbst als „Giganten“ bezeichnete, nicht gerecht. Die Praxis als Kriterium der Wahrheit zu nehmen bedeutet auch, den historischen Hintergrund der unterschiedlichen Kulturen zu achten. Der Marxismus zeichnet sich in der Tradition der Hegelschen Philosophie eben dadurch aus, daß er kein Dogma ist, sondern sein revolutionäres Programm daraus herleitet, inwieweit und durch was die historischen Bedingungen gegeben sind. Das heißt vor allem, die Befangenheit in einem historischen Wertesystem aus der Politik der Arbeiterbewegung zu verbannen.