RotFuchs 199 – August 2014

Neue Medien dürfen kein Tummelplatz für Nazis sein

Den Rattenfängern Paroli bieten!

Jobst-Heinrich Müller

Desinformation, Antikollektivismus, egozentrische Individualisierung und hirnlose Spaßgesellschaft beherrschen den unter Geheimdienstkontrolle befindlichen „Freiraum“ der neuen Medien. Studien besagen, daß inzwischen 93 % der 12- bis 13jährigen das Internet – vornehmlich Facebook und YouTube – nutzen. Sie tun das allerdings fast ausschließlich zu privaten Zwecken. Eine ganze Generation wächst so auf.

Auch das staatliche Fernsehen wird bereits in einigen Ländern total, in anderen zunehmend von privaten „Boulevard“-Sendern verdrängt, die „Brot und Spiele“ – mit Werbung durchsetzt – präsentieren. Einerseits bietet das Netz inzwischen jedem die Möglichkeit, sich zu äußern und Zustimmung zu suchen, andererseits offeriert es aber keine umfassende oder zusammenhängende Information, wie sie Printmedien oder TV-Nachrichtensendungen zu entnehmen ist. Der Nutzer muß auf genau das zugreifen, was er haben will, dann bekommt er es in solcher Vielfalt, daß kaum noch Zeit oder Anreiz bleibt, in andere Themenbereiche hineinzuklicken. Wer vor allem Sport sehen will, bekommt ihn frei Haus, erfährt dann aber auch nichts anderes. Auf Netzkumpaneien beschränkte Facebook-Kontakte führen zur Flucht aus der Realität und zum Verlust jeglicher Wertmaßstäbe beim Gewichten und Beurteilen von Nachrichten. Dabei hat doch das, was alle oder zumindest große Gruppen von Internetnutzern betrifft – gemeint sind die Bereiche der Sozial-, Wirtschafts- und Außenpolitik – weitaus schwerwiegendere Auswirkungen auf jeden einzelnen als dessen persönliche Modemarotten, Hobbyvorlieben oder Querelen mit Bekannten.

Rein virtuelle „Bewegungen“ ohne realen Aktionsrückhalt in der Gesellschaft erscheinen im weltweiten Netz als durchaus ebenbürtige Alternativen zu Regierungsstatements, UNO-Beschlüssen oder Programmen großer Parteien und Massenorganisationen wie der Gewerkschaften.

„Freie Wahl für freie Bürger?“ Viele junge Menschen leben völlig losgelöst von echter gesellschaftlicher Aktion als schnäppchenjagende Konsumenten und törichte Objekte politischer Manipulation. Das geschieht zur Freude derer, die Solidarität und echte Massenimpulse gar nicht erst aufkommen lassen wollen.

In diese Lücke stoßen diffuse faschistoide, rassistische und chauvinistische Akteure der sogenannten „Neuen Rechten“ geschickt vor, indem sie an Hobbys und Eigenarten der „Internet-Jugend“ andocken, um sie medial in ihr Lager zu ziehen.

Von offen faschistischen Politseiten der NPD und ähnlicher brauner Zusammenschlüsse soll hier nicht einmal die Rede sein, obwohl es durchaus personelle und Internet-Verknüpfungen im Übermaß gibt. Jede Partei besitzt ja längst ihre eigenen Portale.

Abwegige, absurde und scheinbar sehr individuelle Varianten faschistischer Rattenfängerei passen durchaus zum naiven Publikum und dessen Spaß- wie Individualisierungsbedürfnissen. Politischer Bildungsmangel sowie das Prinzip, alles persönlich einmal ausprobieren zu wollen, erleichtern da den Zugang. So gab unlängst ein „Piraten“-Chef der prononciert rechten „Jungen Freiheit“ ein Interview, ohne überhaupt zu wissen, vor wessen Karren er sich spannen ließ. In Dresden trat eine „Piraten“-Kandidatin barbusig auf, wobei sie mit der Parole „Dankeschön für alliierte Bombenangriffe!“ eine nahezu NPD-reife Show lieferte. Die Schüler-Werbepostille „Unicum-Abi“, wohlfinanziert durch Bundeswehrannoncen, lobte den „pädagogisch-fachlichen Wert“ solcher als LARPs (Live Action Role Playing Games) bezeichneten pseudohistorischen Rollenspiel-Schlachten wie „Felder der Ehre“ oder „Mythodea“, die über das Netz organisiert werden. Die nach Tausenden zählenden Teilnehmer solcher Veranstaltungen sind Abiturienten! Ein ideales Rekrutierungsfeld für die als „Ethnopluralisten“ operierenden Verfechter einer altbekannten kulturrassistischen Apartheidpolitik, der sogenannten Identitären-Bewegung! Kaum ein Passant vermag mit deren absurden Parolen auf Stickern und im Internet etwas anzufangen: „Gegen Imperialismus und Multikulti!“ oder „Identität verteidigen!“ 0 % Rassismus – 100 % identitär“.

Leute dieses Schlages setzen bei der individuellen Egozentrik Jugendlicher an. „Was Du gerne hast und wie Du lebst, das ist Deine und unsere kulturelle Identität, die gegen den Ansturm fremder Invasoren verteidigt werden muß“, lautet die Zugangsformel. 2003 in Frankreich im Geiste der Kolonialapartheid begründet, bildeten die Identitären in Deutschland schon bald 53 Kleingruppen, die auch in natürlich abgestrittener personeller Verbindung zu NPD-Kreisen und der „Jungen Freiheit“ stehen. Dazu zählen u. a. die „Projektwerkstatt Karben“ und das „Zentrum für Jugendidentität und Kultur“ in Dresden.

In deren Nähe befinden sich die sogenannten Antideutschen, die bisweilen in Verbindung mit der unter dem Dach der PDL nistenden „BAG Shalom“ operieren.

Schon auf der Berliner Antinazidemo 2007 schwenkten deren Anhänger Fahnen Israels und der USA unter ihrer Standardparole „Antikapitalismus und Antiimperialismus = Antisemitismus“, die sie in der dubiosen Zeitung „Jungle World“ verbreiten. Zionismus wird als wahrer Sozialismus ausgegeben, noch dazu mit den USA an der Spitze! Auch bei der „Alternativen Rosa-Luxemburg-Kundgebung“ in Berlin pflanzten die Antideutschen ihr Fähnlein auf.

Für esoterisch bewegte Freunde von Bionahrung bietet die Naziszene in einigen Gegenden die alte „Blut und Boden“-Variante „mit deutscher Scholle und deutschen Bauern gegen Überfremdung der Märkte in der EU“ an. Es gibt einige braune „Bio-Bauern“ mit Erzeugerläden, die auch als Finanzierungsquelle faschistischer Infrastruktur auf dem Lande dienen. Sogar in der Anti-AKW-Bewegung oder bei der Gründung der Partei Die Grünen firmierten solche Leute, die sich heute als „völkische Siedler“ oder „Heimatschützer“ ausgeben.

Antifaschisten sollten positive oder negative Strömungen im Internet sehr ernst nehmen, zumal junge Menschen das Gros ihrer Nutzer stellen. Es ermöglicht breiteste Beteiligung und neue Sozialisierungsformen. Wir dürfen das Feld zwischen offiziellen Organisationen und diffuser „Internet-Bewegung“ nicht den Menschheitsverderbern überlassen.