RotFuchs 232 – Mai 2017

Georg Herwegh – Dichter, Wegbereiter und Revolutionär

Der Freiheit eine Gasse!

Marianne Walz

Zum zweihundertsten Male jährt sich am 31. Mai der Geburtstag von Georg Herwegh. Als er 1863 das bis heute aufrüttelnde „Bundeslied“ für den neu gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein schrieb mit dem berühmten Vers „Mann der Arbeit, aufgewacht! Und erkenne deine Macht!“, war er bereits ein gefeierter Literat. Er hatte die opferreichen Kämpfe des Vormärz und der bürgerlichen Revolution von 1848 nicht allein mit feurigem Freiheitspathos besungen, sondern sein Leben für sie eingesetzt und ihren Niedergang erleben müssen. Konsequent wandte er sich gegen preußischen Militarismus und ergriff Partei für die Sache des Proletariats. Sein Leben war nicht frei von Irrtümern und Widersprüchen. Doch als Georg Herwegh 1875 starb, hinterließ er einen unverlierbaren Schatz an Liedern und Versen.

Das Bekenntnis seiner dichterischen und kämpferischen Mission gibt vielleicht am besten das Poem über die Partei der Arbeiterklasse von 1841 wieder:

Ihr müßt das Herz an eine Karte wagen,
Die Ruhe über Wolken ziemt euch nicht;
Ihr müßt euch mit in diesem Kampfe schlagen,
Ein Schwert in eurer Hand ist das Gedicht.

O wählt ein Banner, und ich bin zufrieden,
Ob’s auch ein andres, denn das meine sei;
Ich hab’ gewählt, ich habe mich entschieden,
Und meinen Lorbeer flechte die Partei!

Leidenschaftliche Hingabe schwingt im Grundton dieser Zeilen; die Sprache der heute Jüngeren ist sicher nüchterner. Großes Pathos mag der Sound des „Vormärz“ in revolutionärer Situation gewesen sein. Die Studenten, Dichter und Denker ebenso wie viele Arbeitende waren damals davon erfaßt und getragen.

Georg-Herwegh-Denkmal im Schweizer Städtchen Liestal bei Basel

Zum Volke stand’st du ohne Wanken,
Am Throne ging’st du stolz vorbei.
Laß dir es noch im Tode danken,
O freies Herz, nun bist du frei.

Zu den Gestirnen wirst du schweben,
Dein Sängername lischt nicht aus,
Und der Lebendige wird leben,
Weit über Tod und Grab hinaus.

Dem Freiheitssänger
und Kämpfer
in Dankbarkeit gewidmet
von Männern der Arbeit
Freunden der Freiheit

… so lautet die Inschrift auf dem Georg-Herwegh-Denkmal
im Schweizer Städtchen Liestal bei Basel
(siehe auch RF Nr. 3, April 1998).

Und auch „Mann der Arbeit“ würde wahrscheinlich heute in Redaktionen bzw. Lektoraten Widerspruch erregen, zumal in links-sozialistischen Publikationen. Was ist mit den Frauen? Georg Herwegh hatte eine der tapfersten von ihnen zur Lebensgefährtin. Emma Siegmund, Tochter aus reichem Bürgerhause, war für die „Gedichte eines Lebendigen“ (1842) in Begeisterung entflammt – und in Liebe für deren Verfasser. Mit seiner Gedichtsammlung hatte Herwegh die Herzen der freiheitsliebenden, fortschrittlichen Menschen des damaligen Deutschen Bundes erobert, und das der klugen jungen Frau Emma im besonderen. Die Mitgift der Braut hat dem Literaten und politischen Publizisten eine Zeitlang zu materieller Sicherheit verholfen. Herwegh nutzte die Unabhängigkeit mutig und konsequent. Schon 1843 mußte das Paar aus dem reaktionären Obrigkeitsstaat emigrieren, denn nicht genehm und gelitten waren Verse wie

Gib uns den Mann, der das Panier
Der neuen Zeit erfasse,
Und durch Europa brechen wir
Der Freiheit eine Gasse!

Die Herweghs wanderten zunächst in die Schweiz aus, dann nach Paris. Sie trafen dort andere Emigranten-Künstler wie Heinrich Heine, Iwan Turgenjew, George Sand, Franz Liszt oder Victor Hugo, knüpften Kontakt zu dem anarchi-stischen Revolutionär Michail Bakunin, dem sozialistischen Utopisten Wilhelm Weitling und vor allem mit Karl Marx, dessen Frau Jenny sowie mit Friedrich Engels. Für die von Marx redigierte „Rheinische Zeitung“ schrieb Herwegh regelmäßig Beiträge. Doch die Netzwerke der Eheleute Herwegh beschränkten sich nicht auf die Zirkel der künstlerischen und denkerischen Avantgarde. Sie begegneten vielen der zahlreichen politischen und Arbeitsmigranten aus Deutschland, Handwerkern und Arbeitern, pflegten Freund­schaften, lernten deren Lebens- und Arbeitsverhältnisse aus der Nähe kennen.

Im März 1848 zogen Emma und Georg Herwegh, ergriffen von ungezügelter revolu­tionärer Ungeduld, mit der Deutschen Legion des Friedrich Hecker nach Baden. Sie wollten den dortigen bewaffneten Aufstand unterstützen. Doch die Hunderten Kämpfer und die eine Kämpferin (Emma) der Badischen Revolution unterlagen. Nur knapp kamen die Eheleute Herwegh mit dem Leben davon und retteten sich in die Schweiz. Die abtrünnige Großbürgertochter wurde von ihrer Familie enterbt. Fortan lebte das Paar in bescheidenen bis bedrängten und ärmlichen Verhältnissen. Zum Ruhm und zum Andenken der Aufständischen schrieb Georg Herwegh:

Achtzehnhundert vierzig und acht,
Als im Lenze das Eis gekracht,
Tage des Februar, Tage des Märzen,
Waren es nicht Proletarierherzen,
Die voll Hoffnung zuerst erwacht
Achtzehnhundert vierzig und acht?

(…)

Achtzehnhundert siebzig und drei,
Reich der Reichen, da stehst du, juchhei!
Aber wir Armen, verkauft und verraten,
Denken der Proletariertaten –
Noch sind nicht alle Märze vorbei,
Achtzehnhundert siebzig und drei.

1873, in der nachrevolutionären Phase der Restauration, war Deutschland in einem nationalistischen Taumel versunken. Doch inmitten der aufgeheizten chauvinisti­schen Stimmung positionierte sich Georg Herwegh klar gegen den preußischen Militarismus, den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und das deutsche Kaiserreich. Bitterkeit, doch auch Trotz klingt darin:

Gleich Kindern laßt ihr euch betrügen,
Bis ihr zu spät erkennt, o weh! –
Die Wacht am Rhein wird nicht genügen,
Der schlimmste Feind steht an der Spree.

Vierzig Jahre später, als der Völkerhaß auf die große Weltkriegskatastrophe zutrieb, war es nur mehr die Gruppe um Karl Liebknecht, die sich mutig dagegen auflehnte. Hat die deutsche Sozialdemokratie ihre antimilitaristischen Traditionen und ihre internationalistische Programmatik vergessen? Fast scheint es, die SPD-Spitze singe heute das „Wiegenlied“ mit:

Deutschland – auf weichem Pfühle
Mach dir den Kopf nicht schwer!
Im irdischen Gewühle
Schlafe, was willst du mehr?

Laß jede Freiheit dir rauben
Setze dich nicht zur Wehr
Du behältst ja den christlichen Glauben:
Schlafe, was willst du mehr?

Georg Herwegh, vor 200 Jahren geboren und in seinem Werk lebendig, war ein Wegbereiter und Mitbegründer der revolutionären sozialistischen Arbeiterpartei, ein Aufrührer und Aufklärer.