RotFuchs 236 – September 2017

Der kalte Krieg, die CIA und Allen Dulles

Dr. Reiner Zilkenat

Die Geschichte der CIA konnte in den vergangenen Jahren wegen der Veröffentli­chung wichtiger Aktenbestände sowie durch manche der in Untersuchungsaus­schüssen des Kongresses bekanntgewordenen skandalösen Operationen des geheim­nisumwitterten Dienstes recht gut erforscht werden. Nicht selten wurden Ergebnisse dieser Forschungsarbeiten in der Presse und in Fernsehdokumentationen präsentiert.

Und dennoch schaffte es jüngst ein Buch, das sich mit dem US-amerikanischen Geheimdienst von seiner Gründung 1947 bis in die späten 60er Jahre befaßt, in die Bestsellerlisten nicht nur der USA, sondern auch der BRD. „Das Schachbrett des Teufels“ lautet sein eher für einen Kriminalroman geeignet erscheinender Titel. Erst der Untertitel gibt Aufschluß über den Inhalt des Bandes: „Die CIA, Allen Dulles und der Aufstieg von Amerikas heimlicher Regierung“.

Tatsächlich liest sich das Werk des Publizisten David Talbot streckenweise wie ein Thriller, erscheinen die gut dokumentierten „verdeckten“ Aktionen der CIA, als seien sie der Phantasie eines zweitklassigen Drehbuchautors entsprungen. Doch weit ge­fehlt. In der plastischen und mit vielen Details angereicherten Darstellung US-ameri­kanischer Geheimdienst-Operationen in vielen Teilen der Welt, seien sie in Guatemala, im Iran, im Kongo oder gegen das sozialistische Kuba organisiert worden, liegt der Vorzug des lesenswerten Buches. Die Stärke des Bandes ist jedoch zugleich seine Schwäche: Der Autor erzählt zwar spannend und läßt dabei die handelnden Personen plastisch vor das Auge der Leserinnen und Leser treten. Allerdings geht dabei mit­unter der „rote Faden“ in der Fülle der ausgebreiteten Details verloren.

Doch zunächst zu einigen der wichtigsten Themen und Thesen des Buches. Talbot zeichnet die Biographie von Allen Dulles nach, dessen weltanschaulich-politische Grundierung militant antikommunistisch war. Der erfolgreiche New Yorker Anwalt war im Zweiten Weltkrieg als Leiter des US-amerikanischen Geheimdienstes Office of Strategic Services (OSS) in der Schweiz weniger darauf bedacht, zum Erfolg der Anti-Hitler-Koalition beizutragen als vielmehr enge Beziehungen zu Würdenträgern des seiner Niederlage entgegentaumelnden Nazi-Regimes zu knüpfen. Ein besonders vertrauensvolles Verhältnis unterhielt er mit SS-Obergruppenführer Karl Wolff, dem Chef des persönlichen Stabes von Heinrich Himmler und obersten SS- und Polizei­führer in Italien. Für den OSS-Residenten in Bern war dies die logische Folge seiner Weltsicht. Denn Dulles gehörte zu denjenigen Repräsentanten seines Landes, die schon immer der Meinung waren, daß nicht das faschistische Deutschland, sondern die Sowjetunion der eigentliche Feind seines Landes sei, den es zu vernichten gelte.

Der militante Antikommunismus von Allen Dulles war auch die Ursache für seine Bemühungen um einen Separatfrieden mit Hitlerdeutschland sowie seine Unter­stützung für Nazi-Verbrecher, die nach dem Ende des Krieges auf der „Rattenlinie“ über Italien nach Lateinamerika geschleust wurden. Talbot bringt präzise auf den Begriff, worum es Dulles dabei ging: Ihm war „daran gelegen, den Sicherheitsapparat des Dritten Reiches zu retten und ihn gegen die Sowjetunion zu wenden – die für ihn immer der wahre Feind Amerikas war.“ Allen Dulles war führend daran beteiligt, daß der faschistische Geheimdienst „Fremde Heere Ost“ unter der Aufsicht der CIA seine Agentenkartei und seine Erfahrungen aus dem Aggressionskrieg gegen die UdSSR im kalten Krieg für den US-Imperialismus „nutzbringend“ einbringen konnte. Zwischen Dulles und dem Chef des späteren Bundesnachrichtendienstes General Reinhard Gehlen entwickelten sich nicht nur „produktive“ Arbeits-, sondern sogar freundschaft­liche Beziehungen. Hierzu bietet Talbots Buch manche neue Informationen. Dem Autor ist zuzustimmen, wenn er schreibt: „Hätten die US-Geheimdienste Gehlen nach dem Krieg nicht gerettet, wäre er in Nürnberg sicherlich als Kriegsverbrecher verur­teilt worden.“

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrte Allen Dulles zunächst an den Schreibtisch seiner New Yorker Anwaltskanzlei zurück, um sich wieder seinen promi­nenten Kunden aus der US-amerikanischen Großindustrie zu widmen. Doch 1950 wurde er „Direktor für spezielle Operationen“ der CIA, bei denen es sich um die Einmischung der USA in die inneren Angelegenheiten anderer Länder handelte. Es ging um die Manipulation von Wahlen, die Gewinnung von Marionetten der CIA innerhalb von Parteien und Regierungen, um Akte der Diversion in den volksdemo­kratischen und sozialistischen Ländern, aber auch um die Auslösung von Militär­putschen gegen Regierungen, die als „feindlich“ gegenüber den USA angesehen wurden. Allen Dulles, der seit 1953 als Direktor der CIA amtierte, handelte vollkom­men skrupellos. Er schreckte nicht vor gesetzwidrigen Handlungen jeglicher Art zurück, einschließlich der Anzettelung von politischen Morden. Finanzielle Mittel standen dem US-Geheimdienst in fast unbeschränkter Höhe zur Verfügung, sein Personalbestand erreichte immer größere Dimensionen, und schließlich wuchsen unübersehbar Tendenzen seiner Verselbständigung gegenüber den verschiedenen Administrationen. Die CIA – so die Kernthese des Buches – entwickelte sich immer stärker zu einer Art „heimlicher Regierung“ des Landes, wobei sie im Laufe der Jahre ihre Aktivitäten auch auf die USA ausdehnte. Dabei unterstützten Allen Dulles und die CIA aktiv alle von reaktionären politischen Kräften unternommenen Bestrebungen, der Sympathie mit dem „Kommunismus“ verdächtige Personen aufzuspüren und zu diskreditieren, wodurch eine Atmosphäre der Intoleranz und der Einschüchterung gegenüber allen liberalen Kräften ausgelöst wurde.

Jedenfalls entstand ein bürokratischer Moloch, der nur schwer zu kontrollieren war. Nicht selten betrieb der Geheimdienst so etwas wie eine „Politik auf eigene Rech­nung“, zumal das Weiße Haus und das Außenministerium sich mitunter aus außen­politischen Rücksichtnahmen und im Hinblick auf die „öffentliche Meinung“ gegen eine offen aggressive Politik des US-Imperialismus aussprachen. Besonders lesens­wert sind in diesem Zusammenhang die Passagen des Bandes, in denen der Autor beschreibt, wie schwer es dem im November 1960 gewählten Präsidenten John F. Kennedy fiel, die Absetzung von Allen Dulles durchzusetzen, der inzwischen in Washington ein dichtes Netzwerk von Beziehungen geknüpft hatte und mit vielen Repräsentanten des Big Business seit seiner Zeit als Anwalt großindustrieller Unternehmen auf vertrautem Fuße stand. Auch nach seiner Absetzung agierte Dulles so, als sei er unverändert der Direktor der CIA. Fast regelmäßig lud er seine Mitar­beiter zu Unterredungen, ließ sich über neueste Projekte des Geheimdienstes infor­mieren und sparte nicht mit „Ratschlägen“. Talbot schildert den Alltag des pensio­nierten Geheimdienstchefs so, als habe er ungeachtet seines Ruhestandes immer noch viele Fäden in der Hand gehalten. Daß er, wie der Autor unterstellt, seine Hände bei der Vorbereitung der Ermordung John F. Kennedys im Spiel hatte, scheint aller­dings nicht zweifelsfrei belegt.

Welche Defizite hat Talbots Geschichte der CIA? Er verabsolutiert die gewiß sehr ein­flußreiche Rolle, welche die CIA in den Zeiten des kalten Krieges spielte, im Vergleich zu den Einwirkungsmöglichkeiten der wirtschaftlichen Eliten, deren Geldzuwendun­gen bis zum heutigen Tag die Präsidentenwahlen entscheidend beeinflussen und die über die Entsendung von Kadern in den Regierungsapparat sowie mit Hilfe der Medien das politische Geschäft in ihrem Sinne kontrollieren und wesentlich bestim­men können. Auch darf die Rolle des Militärs nicht unterschätzt werden. Die „Joint Chiefs of Staff“ spielten nicht nur in allen weltpolitischen Krisen des kalten Krieges eine unheilvolle Rolle als Scharfmacher, sondern sie üben auch im politischen Alltag als wichtige Ratgeber des Präsidenten eine nicht zu unterschätzende Funktion aus. Ob also die CIA tatsächlich „Amerikas heimliche Regierung“ darstellt bzw. im unter­suchten Zeitraum darstellte, erscheint diskussionswürdig.

Der Autor schildert in eindrucksvoller Weise die völkerrechtswidrigen CIA-Aktionen im Iran (1953), in Guatemala (1954), gegenüber dem sozialistischen Kuba (seit 1960) und dem Kongo (1961). Leider kommen dabei die zahlreichen „verdeckten“ Aktionen gegenüber den sozialistischen und volksdemokratischen Ländern in Mittel- und Ost­europa, darunter die DDR, bei weitem zu kurz. Das verwundert um so mehr, als diese Seite der CIA-Aktivitäten in den vergangenen Jahren von US-amerikanischen Histori­kern gut erforscht worden ist. Insgesamt mangelt es der Darstellung an einer analy­tischen Durchdringung der behandelten Themen. Viele anekdotische Details aus dem Leben von Allen Dulles und seiner Familie wären besser vom Lektor gestrichen wor­den. Und dennoch: Wer sich zuverlässig über die Geschichte der CIA im kalten Krieg der 50er und 60er Jahre und ihren langjährigen Direktor Allen Welsh Dulles informie­ren möchte, der sollte unbedingt zu David Talbots Buch greifen.

David Talbot: Das Schachbrett des Teufels

David Talbot:

Das Schachbrett des Teufels
Die CIA, Allen Dulles und der Aufstieg
von Amerikas heimlicher Regierung

Westend-Verlag, Frankfurt am Main 2016
604 Seiten, zahlreiche Fotos
ISBN 978-3-86489-149-6

28,00 €