RotFuchs 222 – Juli 2016

Der Nannen-Preis –
eine ehrenhafte Auszeichnung?

Beate Wesenberg-Schlosser

Am 28. April fand die diesjährige Verleihung des Nannen-Preises (früher Henri-Nannen-Preis) statt.

Ort der Veranstaltung war das Curio-Haus in Hamburg, und verliehen wurde ein Preis, mit dem dessen Stifter – das Verlagshaus Gruner+Jahr sowie der von ihm herausgegebene „Stern“ – „den Qualitätsjournalismus im deutschsprachigen Raum fördern und pflegen“ wollen. Benannt ist der Preis nach Henri Nannen (1913–1996).

Nannen war Verleger und Publizist, langjähriger Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift „Stern“. Im Zweiten Weltkrieg diente Henri Nannen als Kriegsberichterstatter bei der Luftwaffe in der Propaganda-kompanie, und zwar (soweit bekannt) in der Abteilung „Südstern“ der SS-Standarte „Kurt Eggers“ (Schriftsteller und NS-Kulturpolitiker). Um das Bild des Namensgebers zu verdeutlichen noch eine kurze Erklärung zu der „Propagandakompanie“: Diese Kompanie war eine Truppengattung der Wehrmacht und der Waffen-SS, die der Amtsgruppe für Wehrmachtpropaganda im Oberkommando der Wehrmacht unterstellt war, mit dem Auftrag der Beeinflussung von Zivilbevölkerung, Soldaten sowie Hitler-Gegnern. Eine Beeinflussung, die Kriegsbegeisterung, Feindbilder und Rassenhaß aufbaute, entwickelte und schürte. Der grausame Tod unzähliger Soldaten auf fremder Erde wurde zur Heldentat für das Vaterland umgefälscht.

Für die vielschichtigen Mittel, mit denen dabei im Faschismus gearbeitet wurde, mag der Bildband des Journalisten Eric Borchert von 1941 „Entscheidende Stunden. Mit der Kamera am Feind“ stehen. Auf das Ende des „Westfeldzuges“ im April 1940 zurückblickend, notierte Borchert: „Und wenn ich nun, unter dem Himmel Südfrankreichs, zurückdenke, dann fühle ich noch einmal diese erregenden Stunden, diese Stunden der Entscheidung, die ich miterleben durfte. Die Kamera hielt sie fest. … sie dokumentierte, sie schrieb das auf, was der Führer befohlen hatte. … Die Kamera ist eine Waffe geworden, ein Instrument des Kampfes in der Hand von Soldaten. Denn sie ist überall dabei, wo es um Deutschland und um seinen Kampf geht.“ Den Ausgang des Ersten Weltkriegs empfand dieser Journalist als eine Schmach – wie Hitler, der „… gegen Lüge und Verleumdung eine Waffe (schuf) – die Wahrheit! Die Propagandakompanien der Wehrmacht sollen sie künden. Sie führen den Krieg mit ihren Waffen, mit der Schreibmaschine, der Foto- und Filmkamera und dem Mikrofon.“

Die Frage, warum ein Preis, mit dem in der heutigen Zeit journalistische Leistungen in Kriegsgebieten gewürdigt werden, nach einem Mann wie Nannen benannt wird, stellt sich mir in diesem immer kriegerischer werdenden Land nicht wirklich.

Mich bewegt vielmehr die Frage, weshalb der syrische Fotograf Hosam Katan aus Aleppo, der bei seiner Arbeit von einem Schützen verletzt wurde und nach Deutschland floh, bei der diesjährigen Honorierung einen Preis entgegennahm. Die Beweggründe der Jury, die Worte des „Stern“-Chefredakteurs Christian Krug oder die Laudatio Frank-Walter Steinmeiers – das alles ist nicht mein Thema.

Es ist nicht anzunehmen, daß Hosam Katan die Biographie des Namensgebers kennt, aber dennoch stellen sich weitere Fragen: Sind diesem syrischen Fotografen denn die Ursachen und Hintergründe des Krieges in seiner Heimat nicht bekannt? Weiß er nicht, wer Waffen, Kapital etc. liefert bzw. zur Verfügung stellt? Hat er keine Kenntnis davon, in wessen Interesse dieser Krieg stattfindet und mit welchem Ziel er geführt wird? Sah er noch nie, in welcher Weise Bilder aus Kriegsgebieten manipuliert und propagandistisch, auch als Rechtfertigung für einen Krieg, mißbraucht wurden und werden? Dachte er nie über seine Auftraggeber und deren Hintergründe und Motivation nach?

Es ist doch mehr als grotesk, wenn ein Bildreporter – aus einem Land kommend, in dem mit deutscher Unterstützung Krieg geführt wird – in diesem Deutschland einen Preis entgegennimmt, der den Namen eines Mannes trägt, der seine Arbeit während des dritten Reiches in den Dienst des faschistischen Deutschlands stellte und damit zur Rechtfertigung des Zweiten Weltkriegs, zur Verherrlichung des „Heldentodes“ und zum Durchhalten im eigenen Land, in den Rüstungsbetrieben und an der Front beitrug.

Ganz anders ein Preisträger des Nannen-Preises 2014: der in Berlin im Exil lebende Internet-Aktivist und Edward-Snowden-Vertraute Jacob Appelbaum, der einige Tage nach Erhalt dieses Preises verkündete, er werde seinen Preis – eine Büste Nannens – mit Hinblick auf die Vergangenheit dieses Mannes einschmelzen und umwidmen lassen. Appelbaum sagte, ein eventuelles Preisgeld werde er zwei antifaschistischen Gruppen spenden.