RotFuchs 236 – September 2017

Die letzten Wochen vor
der Oktoberrevolution (Teil 5)

RotFuchs-Redaktion

Riga wird dem Gegner preisgegeben

Alle reaktionären Kräfte Rußlands und die mit der Provisorischen Regierung verbün­deten Westmächte betrieben Anfang September 1917 verstärkt die Vorbereitung einer konterrevolutionären Verschwörung, um eine Militärdiktatur zu errichten. Als Führer des Putsches war der Oberste Befehlshaber, General Kornilow, vorgesehen.

Zur Absicherung dieses Planes verrieten reaktionäre Offiziere ihre Truppen und gaben am 3. September die Stadt Riga den deutschen Truppen preis. Damit war der Weg nach Petrograd geöffnet.

Die so entstandene Lage nahm das Hauptquartier zum Anlaß, um die Verschiebung der ihr treuen Truppen in die Nähe der Hauptstadt zu beschleunigen. Gleichzeitig wurden militärische Aktionen gegen Moskau, Kiew und andere große Städte vorberei­tet.

Kornilow marschiert nach Petrograd

Am 7. September setzte Kornilow gegen Petrograd Truppen in Marsch und forderte den Rücktritt der Provisorischen Regierung. Als Antwort erklärte Ministerpräsident Kerenski Kornilow zum Meuterer und setzte ihn vom Posten des Obersten Befehlshabers ab.

Die Wendung Kerenskis von der Beteiligung am Putsch zum Kampf gegen Kornilow entstand durch dessen Befürchtung, daß Kornilow nicht nur mit den Bolschewiki abrechnen, sondern auch ihn, Kerenski, entmachten werde.

Die Kornilow-Truppen wollten am 9. September in Petrograd einrücken. Kornilow hatte einen Befehl vorbereitet, der nach der Einnahme Petrograds in Kraft treten sollte. Danach sollte über die Hauptstadt der Ausnahmezustand verhängt werden, Kundgebungen, Streiks und Versammlungen sollten verboten und Standgerichte eingesetzt werden.

Die Putschisten rechneten damit, die Arbeiter und die revolutionären Truppen der Petrograder Garnison rasch zu entwaffnen und die Bolschewiki verhaften zu können.

Der Appell der Bolschewiki

Lenin hatte in der Presse eine Reihe Artikel veröffentlicht, die den Aktionsplan der Arbeiterklasse für den Fall eines Aufstandes der Kornilow-Leute umrissen. Er forder­te, den Hauptschlag gegen den Kornilow-Putsch zu richten. Gleichzeitig sollten die Provisorische Regierung und ihre sozialrevolutionären und menschewistischen Helfershelfer entlarvt werden.

Als Führer und Organisator des Kampfes gegen Kornilow wandte sich das Zentral­komitee der Partei Lenins – die SDAPR (B) – am 9. September an alle Arbeiter und Soldaten Petrograds mit dem Appell, sich zur Verteidigung der Revolution zu erhe­ben.

Die Verteidiger Petrograds

In Fabriken, Werken, Truppeneinheiten und Institutionen fanden gleich nach dem Ein­treffen der ersten Meldungen vom Anrücken der Korrnilow-Truppen Massenmeetings statt. Neue Abteilungen der Roten Garden wurden aufgestellt, in die im Verlaufe von drei Tagen 25 000 Arbeiter eintraten. Insgesamt betrug die Zahl der Rotgardisten Petrograds in den Tagen der Zerschlagung des Kornilow-Putsches 13 000 bis 15 000 Mann. Soldaten der Petrograder Garnison und Matrosen der Baltischen Flotte unter­stützten die bewaffneten Arbeiter. Mehr als 3000 Kronstädter Matrosen kamen den Arbeitern zum Kampf gegen die Putschisten zu Hilfe.

Innerhalb von drei Tagen standen vor Petrograd 60 000 bewaffnete Arbeiter, revolu­tionäre Soldaten und Matrosen. Die Putschisten verfügten nicht einmal über ein Drittel jener Kräfte, die sich ihnen vor Petrograd entgegenstellten.

An anderen Orten, an denen die Kornilow-Leute ebenfalls Aktionen geplant hatten, gestaltete sich das Kräfteverhältnis ähnlich.

Der Putsch ist niedergeschlagen

Am 12. September war der Vormarsch der Kornilow-Leute überall zum Stillstand ge­kommen. In ihren Truppen begann die Zersetzung. Im Hauptquartier und in den Front­stäben wurden die Generale Kornilow, Lukomski, Markow, Denikin u. a. die ebenfalls maßgeblich am Putsch beteiligt waren, verhaftet.

Am 13. September wurde offiziell die Zerschlagung des Kornilow-Putsches bekannt­gegeben.

Die Volkswirtschaft verfällt

Nach der Zerschlagung des Kornilow-Putsches am 12. September entwickelte sich in Rußland eine allgemeine nationale Krise. Ein deutliches Zeichen dafür war der Verfall der Volkswirtschaft. Es gab kaum noch Rohstoffe, die Kohleförderung war seit März um 23,4 Prozent zurückgegangen, die Hochöfen wurden nur zu 54 Prozent genutzt.

Im September/Oktober stiegen die Lebensmittelpreise um 340 Prozent und erreichten damit den Stand von 1020 Prozent des Vorkriegsniveaus. Den Arbeiterfamilien stand wegen der stagnierenden Löhne und rasant steigenden Preise oft nur ein Viertel des Existenzminimums zur Verfügung.

Die Ernährungslage war äußerst kritisch. Im September erhielt Moskau nur 15,2 Prozent der notwendigen Menge an Nahrungsmitteln. Das bedeutete eine tägliche Brotration von 100 Gramm, die oft noch nicht einmal ausgegeben werden konnte. Eine Hungersnot brach aus.

Die drohende Katastrophe

Das Land stand vor einer Situation, die Lenin im September in seiner Arbeit „Die dro­hende Katastrophe und wie man sie bekämpfen soll“ analysierte. Er entwickelte und begründete darin jene Maßnahmen, die das Volk ergreifen mußte, um die Katastrophe abzuwenden:

  • Arbeiterkontrolle über die Produktion und Verteilung,
  • Nationalisierung der Banken und der Großindustrie.
  • Beschlagnahme des Gutsbesitzerlandes und Nationalisierung des gesamten Bodens.

Der Volkskampf wächst an

Das Anwachsen der Krise und der zunehmende Einfluß der Bolschewiki wurden in der Zuspitzung aller Formen des Volkskampfes deutlich.

Die Arbeiter begannen die Betriebsverwaltungen aufzulösen, verhafteten die Direkto­ren und nahmen die Leitungen der Produktion in ihre Hände. Ihre Aktionen waren um ein Vielfaches größer als kurz vor dem Sturz des Zaren im März. Während im Januar /
Februar im ganzen Land etwa 700 000 Arbeiter streikten, waren es von August bis Ok­tober etwa zwei Millionen. Die Bauern verjagten die Gutsbesitzer und teilten den Boden und das Inventar unter sich auf. Mehr als die Hälfte des europäischen Teils des Landes war von Bauernauf­ständen erfaßt, die nicht selten zu bewaffneten Aus­einandersetzungen gegen die Provisorische Regierung und deren örtliche Machtor­gane hinüberwuchsen.

An der Front setzten die Soldaten die reaktionären Offiziere ab und wählten an deren Stelle neue, die ihr Vertrauen genossen. Im September / Oktober kam es immer häufi­ger zu Verbrüderungen mit österreichischen und deutschen Soldaten. Die Mehrheit der 1,7 Millionen Soldaten der Nord- und Westfront, die Matrosen der Baltischen Flotte und die Garnisonen der großen Städte standen auf seiten der Bolschewiki. Unter dem Einfluß der anwachsenden revolutionären Bewegung verstärkten die unter­drückten Völker Rußlands ihren Kampf für ihre nationale Befreiung.

Der Aufstand muß vorbereitet werden

Die außenpolitische Situation gestaltete sich ebenfalls günstig für die revolutionären Kräfte. Die Hauptkräfte der beiden imperialistischen Gruppierungen – England, Frank­reich und USA einerseits sowie die Länder des österreichisch-deutschen Blocks an­dererseits – waren an der Front gebunden. Sie konnten der russischen Konterrevo­lution nicht sofort zu Hilfe kommen. Anhand all dieser Ereignisse kam W. I. Lenin zu dem Schluß, daß mit der Vorbereitung des bewaffneten Aufstandes begonnen werden muß.

Sowjets verändern ihre Zusammensetzung

Seit der Niederschlagung des Kornilow-Putsches im August 1917 hatten sich die Volksmassen Rußlands mehr und mehr davon überzeugt, daß weder die Provisorische Regierung noch die Menschewiki und Sozialrevolutionäre ihre Forderungen nach Frieden, Land und Brot erfüllen wollten. Es wurde für sie immer deutlicher, daß nur die Partei der Bolschewiki ihre Interessen vertrat. Das führte zu einer Kräftever­schiebung in den wichtigsten Sowjets, vor allem in Petrograd und Moskau, in denen bis Ende September die Bolschewiki die Mehrheit errangen.

Gestützt auf UZ