RotFuchs 192 – Januar 2014

Die Mauer-Toten von Lampedusa

RotFuchs-Redaktion

Die einzige Reaktion der den Kurs der Europäischen Union – des Europas der Monopole – Bestimmenden auf das Ertrinkenlassen von mehr als 350 aus Nordafrika aufgebrochenen Hungerflüchtlingen vor der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa war die Entscheidung, die unsichtbare Mauer um den „reichen Kontinent“ noch undurchlässiger zu machen. Frontex – das die europäischen See- und Luftgrenzen abriegelnde Instrument zur gnadenlosen Abweisung Verzweifelter anderer Hautfarbe oder Herkunft – soll fortan noch rigoroser jedes Durchkommen unerwünschter Asylsuchender verhindern. Eurosur – der Gesamtapparat zur Überwachung der europäischen Grenzen – werde zu diesem Zweck deutlich aufgestockte Mittel für Frontex bereitstellen, ließ EU-Innenkommissarin Malmström schon unmittelbar nach der Tragödie von Lampedusa verlauten. Immerhin habe die „Agentur“ nicht weniger als 42 000 Kilometer Küsten, 9000 Kilometer Landgrenzen und 300 internationale Flughäfen im Auge zu behalten.

Das Budget des 2004 geschaffenen Apparats der „Mauerwächter“ wurde seitdem ständig erhöht. Betrug es 2005 noch moderate 6,2 Mill. Euro, so wurden für 2013 bereits 85 Millionen veranschlagt. Wie aus Frontex-Kreisen verlautete, gingen 2011 nicht weniger als 56 % der bereitgestellten Gelder in die See- und Luftüberwachung des Mittelmeerraumes. Dabei handelt es sich ausschließlich um die Finanzierung von Maßnahmen militärischen Charakters. Für solche „operativen Zwecke“ stehen der „Agentur“ derzeit 21 Flugzeuge, 27 Hubschrauber und 116 Schiffe samt Nachtsichtgeräten und – man horche auf! – Herzschlag-Detektoren zur Verfügung. Frontex hat „Europa“ in einen ständigen Kriegszustand gegen Arme und Hungernde versetzt. Dabei soll ihr Apparat ausschließlich das Abriegeln der Grenzen gewährleisten, jedoch keinerlei Aktionen zur Rettung in Seenot Geratener oder Schiffbrüchiger in ihr Programm einbeziehen.

Als sich am 3. Oktober die Tragödie von Lampedusa abzeichnete, wäre eine Bergung aller „Passagiere“ noch möglich gewesen. Doch neun Patrouillenboote der italienischen Guardia Costiera, etliche Einheiten der Guardia di Finanza – des Zolls – sowie in der Region operierende Kriegsschiffe und Militärflugzeuge reagierten in keiner Weise auf das sich abzeichnende Drama.

Viele der Flüchtlinge kamen aus Libyen, wo seit 2011 Zehntausende „Gastarbeiter“ ihre Jobs in der dortigen Ölindustrie verloren haben. Ein großer Teil von ihnen wandte sich in seiner Not der „Festung Europa“ zu. Doch ihr Hilfeschrei verhallte ungehört. Im vergangenen Jahr sind wiederum mehr als 1500 dieser Unglücklichen ertrunken. In 20 Jahren waren es – folgt man seriösen Schätzungen – nahezu 25 000. Es handelt sich dabei um Mauer-Tote – Opfer eisiger Kälte und gnadenlosen Kalküls.

Auch das ist ein Kapitel des Klassenkampfes.

RF, gestützt auf „Solidaire“, Brüssel