RotFuchs 235 – August 2017

„Die Newa fließt wie unter Nikolai …“

Margot Gerisch

Die Veröffentlichungen anläßlich des Jahrestages der Oktoberrevolution sind zahl­reich. Schriftsteller, Wissenschaftler, Journalisten und Kulturpolitiker machten sich seit langem Gedanken, wie man dieses Jubiläum feiern könnte. Zu einem der vielen gelungenen Unternehmen zählt auch der vorliegende Band, der in recht umfassender Weise das Wachsen und die Festigung einer Freundschaft zwischen zwei Ländern dokumentiert. Deutsche Kommunisten, Schriftsteller bürgerlicher und proletarischer Herkunft haben sich seit Bestehen des ersten sozialistischen Staates zu ihm be­kannt. Sie haben die Schüsse der „Aurora“ begrüßt, sie haben sich an dem neuen sozialistischen Menschentyp begeistert, sie haben den Sowjetstaat gegenüber unzähligen Verleumdungen durch die Bourgeoisie verteidigt, sie haben auch in der Zeit des grausamen faschistischen Überfalls die Freundschaft des deutschen Volkes mit dem sowjetischen Volk lebendig erhalten. Schriftsteller dreier Generationen kommen in dieser Anthologie zu Wort.

Es gibt kaum einen großen deutschen Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts, der nicht in diesem Band vertreten ist. Johannes R. Bechers „Gruß des deutschen Dich­ters an die Russische Föderative Sowjetrepublik“ aus dem Jahre 1917 eröffnet die groß angelegte Dokumentation. Mit dem Gedicht oder der Reportage, mit dem Auf­satz oder dem Romanausschnitt äußern sich Brecht und Feuchtwanger, Fürnberg und Bredel, Kisch, die Brüder Mann, Marchwitza, Weinert, Gerhart Hauptmann, Weiskopf, Renn, Seghers, Grünberg, Lorbeer, Friedrich Wolf, Kurella, Abusch, Petersen, von Wangenheim und viele andere. Es ist unmöglich, alle Namen zu nennen. Ebenso be­deutend ist der Beitrag der Autoren, die in der DDR zum Schriftsteller reiften: von Herbert Otto oder Christa Wolf, Harald Hauser oder Max Walter Schulz, Benno Voelkner, Joachim Wohlgemuth … kaum ein größerer Roman unserer jüngeren Natio­nalliteratur, in dem nicht in einigen Seiten die freundschaftlichen Beziehungen der Sowjetunion zur DDR dargestellt sind.

Neben den vielfältigen literarischen Dokumenten einer Freundschaft bestechen viele Beiträge dieses Sammelbandes durch ihren hohen Informationswert. Die Entdecker­freude, die viele auch heute nicht mehr so bekannte Schriftsteller der zwanziger Jahre beherrschte, ließ kleine Reportagen entstehen, deren nüchterne Mitteilungen noch heute gefallen, weil sie konkret sind und längst Vergessenes oder nie Gewußtes an die Oberfläche bringen. Interessant ist zum Beispiel, wie die deutschen Autoren die Subbotniks gesehen haben: Skeptisch, begeistert, selber angeregt zum Mitma­chen. „Die Newa fließt wie unter Nikolai“, schreibt Franz Jung im Jahre 1920, aber: „Es ist ein Bild wie sonst nirgends in der Welt. Selbstbewegte, fröhliche Gesichter, stolz und doch auch ernst.“ Heute belächeln wir das Staunen eines Schriftstellers, daß eine sowjetische Stadt einen Vergnügungspark besitzt. Ja, warum nicht? Aber damals, in den Jahren wüstester Hetzkampagnen des internationalen Großbürger­tums war eine Bemerkung wie „Der Bolschewismus, der diesen Rummel gestiftet, ja sogar organisiert, kann so schlimm und blutrünstig nicht sein“ von großer Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung. Der Band bringt uns ein tapferes Volk näher, ein gerechtes Volk, das während und nach dem zweiten Weltkrieg sehr wohl zwischen deutschen Faschisten und dem wahren deutschen Volk unterscheidet. Der Band macht uns mit den Helden von Leningrad und den furchtbaren Kriegsereignissen bekannt, und er zeigt gleichzeitig, daß bei allem Schweren, das ein Volk durchge­macht hat, der Humor, die Lebenslust, die Freude am Schönen nicht verlorenge­gangen ist.

Man versteht die Begeisterung der Reporter und das Pathos der Dichter. Besonders beeindrucken die Schilderungen über das Verhältnis der sowjetischen Bürger zur Arbeit und zueinander, diese konkreten Beschreibungen sagen mitunter mehr aus als eine hinausgerufene poetische Begeisterung, die jedoch das Alltäglich-Konkrete außer acht läßt.

Licht des Großen Oktober

Herausgegeben von Alexander Abusch

Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1967, 788 Seiten