RotFuchs 233 – Juni 2017

Dubiose Vorschläge und
kontraproduktive Rezepte

Hans Dölzer

Das Bundesvorstandsmitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Judith Kerschbaumer, verantwortlich für Sozialpolitik, erläuterte Mitte Februar in Stuttgart vor über hundert Gästen, welchen Weg die Gewerkschaft in der Rentenfrage beschreiten will.

Der promovierten Juristin ist klar, daß die derzeitige Absenkung des Rentenniveaus, die ständigen Leistungsstreichungen und Kürzungen zu einer noch größeren Alters­armut führen als bisher. Doch die Gegenrezepte, die sie – und damit die ver.di-Führung – entwickelt, scheinen kontraproduktiv. So hält sie die sogenannte Riester-Rente für „im Prinzip sinnvoll“ – eine individuelle und kapitalgedeckte Altersvorsorge, die bekanntermaßen lediglich zu vollen Taschen der Versicherungswirtschaft und zu leeren Taschen der geschröpften Prämienzahler geführt hat. Die Riester-Rente solle lediglich von Auswüchsen befreit werden, meint Kerschbaumer, dann könne man sie wiederbeleben. Daß sich der Rentenanwärter damit komplett dem unberechenbaren Aktien- und Kapitalmarkt ausliefert, ist für die ver.di-Frau kein Problem.

Folgerichtig unterstützt sie Andrea Nahles’ Entwurf eines „Betriebsrentenstärkungs­gesetzes“. Dieser Entwurf führt die alten Bestimmungen für Betriebsrenten von 1974 weiter fort, verschlechtert sie allerdings noch mehr. Schon bisherige Betriebsrenten waren ausschließlich kapitalgedeckt, weshalb viele Unternehmen die Rentenverträge in Zeiten der Niedrigzinsen kündigten. Für den Lohnanteil, den die jeweiligen Beschäf­tigten einbrachten, mußten die Unternehmen keinerlei Sozialversicherungs­beiträge abführen, was bei entsprechender Betriebsgröße zu ordentlichen Einspa­rungen führte, die der staatlichen Rentenkasse vorenthalten wurden – zu Lasten der Beschäftigten. Immerhin haftete eine damals eingeführte „Pensions­sicherungs­kasse“ für Ausfälle bei den Betriebsrenten, falls ein Unternehmen bankrott ging. Wenn dies nicht der Fall war, haftete der Unternehmer für jeden einzelnen Vertrag.

Nun soll sich nach Nahles’ Entwurf der Unternehmer aus dieser Haftung „freikaufen“ können in Höhe von drei Vierteln der von ihm eingesparten Sozialversicherungs­beiträge. Doch selbst dies ist nur eine Soll-Bestimmung, und das Geld aus dem „Freikauf“ fließt wiederum nicht der solidarischen Rentenkasse zu, sondern dem Kapitalfonds, der für die jeweilige Betriebsrente gebildet wurde. Kein Wunder, daß nun die Versicherungslobby – und auch die Kirchen! – wieder auf der Matte stehen, um sich den neuen Nahles-Kuchen einzuverleiben.

Das Ganze schließlich soll den „Sozialpartnern“ überlassen bleiben, also abhängig werden von Tarifverhandlungen – was dazu führen würde, daß die Gewerkschaften zugunsten solcher betrügerischen Betriebsrenten auf Teile ihrer Lohnforderungen verzichten. Und diese Plünderung der abhängig Beschäftigten bewirbt ver.di respektive Kerschbaumer: „ver.di ist dafür, daß es möglichst überall Betriebsrenten gibt.“ Sie sieht sie als „Ergänzung“ der zu geringen staatlichen Rente – Riester läßt grüßen. Zur Stärkung der staatlichen Rentenkasse hingegen fällt ver.di nicht viel ein: Mütter- und „Ost“renten müßten aus dem Leistungskatalog der Kasse herausge­nommen und aus Steuergeldern finanziert werden; die Beiträge zur Rentenver­sicherung müßten auf 28 Prozent steigen, 14 Prozent davon zu Lasten der Beschäftigten. Vom Vorschlag, etwa die Kriegsausgaben zu kürzen und damit die Rente zu stabilisieren, hält Kerschbaumer nichts: „Trump will ja, daß wir unsere Militärausgaben erhöhen, und Frau von der Leyen hat dies auch schon angekündigt.“ Da könne man also nichts machen …

Alarmierend ist darüber hinaus Kerschbaumers Einschätzung, sie könne sich durch­aus vorstellen, daß Menschen auf dem Land eine geringere Rente ausgezahlt werde, als wenn sie in der Stadt wohnten: Auf dem Land seien die Lebenshaltungs­kosten niedriger – ein für eine Gewerkschafterin unglaublicher Vorschlag! Judith Kerschbaumer sitzt als ver.di-Entscheidungsträgerin in wichtigen Gremien der Sozialversicherungen, hat durchaus große Kenntnis von den Interna der Renten­finanzierung und -berechnung und will nach eigenem Bekunden „Lobbyarbeit mit der Politik“ betreiben. Das war’s dann aber auch. Politische Grundkenntnisse scheinen ihr zu fehlen – wie der Mehrheit des derzeitigen ver.di-Bundesvorstandes.

Hans Dölzer ist Mitglied des Fachbereichsvorstands Medien im ver.di-Bezirk
Rhein-Neckar.