Peter Hacks warf 1976 Licht auf einen
selbsternannten „großen Barden“
Ein Eduard Bernstein des Tingeltangel
Am 20.11.1976 gewährte des deutschen Bourgeois’ Bildzeitung, welche unter dem Namen „Der Spiegel“ erscheint, dem singenden Schriftsteller Wolf Biermann ein Gespräch.
Ich muß Biermann nicht vorstellen, er hat sich vorgestellt. Er war in Köln und hat dort, mit wissenschaftlichen Begriffen, gereimten Liedern und vielem Augenrollen und -zwinkern, den Vorschlag gemacht, das Ziel des Kommunismus doch lieber mit bürgerlichen Mitteln zu erreichen.
Solche Leute sind, seit es eine Arbeiterbewegung gibt, mit dem Beifall der Geschichte von der Partei geschlossen worden, und da Biermann beim Vortrag seiner Lehre zum einen sehr häßliche Dinge über die DDR sagte, zum andern das Bestehen einer Art Bund zur Durchsetzung derselben andeutete, dessen Mitglieder einander mit Genosse anzureden scheinen, eines aber mit Sicherheit nicht sind: Angehörige einer bisher bekannt gewordenen sozialistischen Partei, ist er inzwischen auch aus der DDR geschlossen.
Er befindet sich nun in Westdeutschland. Ich kann nicht erkennen, daß er sich dort verhalten hat wie einer, dem es dort nicht gefällt. Er ließ sich ganz gehen. Er gab locker und unbefangen den Schatz seines innersten Hirns und Herzens preis – alles Dinge, die keiner in einer Umgebung tut, die ihn trüb stimmt.
Wenn er zugleich beteuerte, ihm sei am Aufbau des Sozialismus in der DDR gelegen, ist er, nach dem, was er uns alle hören ließ, so glaubwürdig, wie es der „Spiegel“ wäre, wenn er seinen Titel änderte und das, was er bislang immer geschrieben hat, fortführe unter dem Titel „Die Rote Fahne“ zu schreiben.
Für diejenigen Bürger meines Landes, welche wissen wollen, wie es Biermann seither so ergangen ist, erzähle ich also von dem Interview. Es zerfällt, wie man hier richtig sagen muß, in drei Teile.
Im ersten Teil erklärt Biermann, was er in Köln schon erklärte. Ihm schmeckt die BRD nicht, er liebt sein Vaterland, mit Absichtserklärungen spart er nicht; freilich sind die ja auch billig. „Die Parteiführung“, meint er, „müßte nach dem Kölner Abend eigentlich erleichtert sein.“
Der zweite Teil prüft die taktischen Möglichkeiten der Rückkehr Biermanns an seinen alten politischen Arbeitsplatz.
Der dritte Teil endlich besteht aus sehr gewöhnlicher DDR-Hetze. Er ist nicht im Ton der Untersuchung gehalten; Biermann benutzt schlechte Gründe und abstoßende Worte. Die Leitung der SED nennt er „stalinistische Bonzen“, was – die Meinung, die man über Stalin hat oder haben sollte, beiseite gelassen – doch offenbar keine zutreffende Bezeichnung ist.
Ich will mich, als dem inhaltlich einzig ergiebigen, dem zweiten Teil widmen. Biermann bespricht mit dem „Spiegel“ die Erfolgsaussichten eines Antrags auf Erlangung der DDR-Staatsbürgerschaft, wobei beide keinen Zweifel hegen, daß das ein unzüchtiger Antrag ist. „Von wem erwarten Sie Hilfe?“, fragt die Illustrierte. Biermann weiß viererlei Antwort.
Er empfiehlt der SED, sich nach dem Beispiel der IKP oder FKP zu richten. Ich habe der SED keine Ratschläge zu erteilen, aber ich bitte sie herzlich, das nicht zu tun. Sie müßte, wollte sie Biermann folgen, in der DDR eine imperialistische Wirtschaft und Herrschaft einsetzen und zu der in ein aufständisches Verhältnis treten. Um ehrlich zu sein, ich bin recht froh, daß wir das alles schon hinter uns haben, und ich wünsche im Gegenteil diesen mächtigen und erfindungsreichen Bruderparteien, daß sie bald so weit sein mögen wie wir.
Er hat die Zustimmung von Heinrich Böll. Den kennt man. Er ist drüben der Herbergsvater für dissidierende Wandergesellen. Biermann hat in seinem Bett übernachtet, und ich hoffe, er hat nicht noch Solschenizyns Läuse darin gefunden. Ich habe Herrn Böll im Fernsehen gesehen. Er machte Augen wie ein Hund von Thurber und zeigte wieder einmal sein geübtes Staunen darüber, daß Konterrevolution in sozialistischen Ländern verboten ist.
Er hat – wie der „Spiegel“ es ausdrückt – „seine Leute in der DDR“; er hat sie übrigens natürlich, wo immer er hinkommt. Könnte die Einigung der westdeutschen Linken, erkundigt sich der „Spiegel“, „eine neue Aufgabe für Sie sein?“ – Biermann (bescheiden): „Zumindest eine erfreuliche Nebenwirkung.“
Beide, Biermann wie seine Befrager, vermeiden sorgfältig die Erwähnung der DDR-Schriftsteller, die auf einer Liste erklärt haben, daß sie ihn wiederhaben wollen. Die Sorgfalt fällt auf; noch auf der Pressekonferenz vom Vortag setzt Biermann alle Hoffnung in sie.
Unterrichtet durch die sozialistische Presse, wie ich gewöhnlich bin, kenne ich die erwähnte Liste nicht vollständig.
Wir Schriftsteller reden hier viel und seit langem gegeneinander. Der Streitgegenstand ist immer derselbe: das Recht der Dichter auf Unbildung. Viele meinen, der Künstler müsse sich immer mitteilen, wie es ihm ums Gemüt sei. Die anderen wieder leugnen das gar nicht, mögen indessen nicht einsehen, wieso dieser richtige Satz den Künstler hindere, gelegentlich einen Blick in die ersten Abschnitte von „Was tun?“ zu werfen. Gewiß ist die Vorstellung, man könne die Vorzüge des Sozialismus mit den paar noch übrigen Vorzügen des Imperialismus verbinden, angenehm. Aber sie ist, zur gegenwärtigen Zeit, eine ungebildete Vorstellung. Es ist der Wunsch nach einem schokoladenen Leninismus, und ein Lenin, der aus Schokolade wäre, würde schnell schmelzen.
Dichter, die das Recht auf Unbildung beanspruchen, sind verpflichtet, sich mit ihren Stoffen vorzusehen. Als vor Jahren der Knabe Biermann auf seinem Wunderhorn daherschwatzte, was ihm so an Kleinigkeiten durch den Kopf ging, war das ganz allerliebst. Die Reime waren schon damals schlecht, die Verse holprig, die Gedanken kraus; die Worte waren schon damals nicht wichtig genug, um nicht des Beistands der Musik zu bedürfen, und die Melodien nicht stark genug, um ohne Worte standzuhalten.
Erst als ein fehlerhafter Ehrgeiz ihn trieb, sich an Heines Philosophie und Villons Weltgefühl zu messen, als er sich von den Alltagssachen weg und den Weltsachen zuwandte, verstieß er gegen die seiner Begabung angemessene Gattung und sank vom Volksliedsänger zum Kabarettisten. Er wurde, was er ist: der Eduard Bernstein des Tingeltangel.
Wolf Biermann ist nicht so gut, wie man annimmt. Ich erwähne das nicht zum ersten Mal, und ich würde es hier nicht wiederholen, wenn es ihn nicht erklärte. Biermann übernahm sich. Und in je höherem Maße er sich übernahm, desto mehr bedurfte seine Kunst, neben dem Gedicht und der Gitarre, des Skandals.
Biermann wird sich von mir nicht widerlegt fühlen. Diese Uneinsichtigkeit billige ich. Alle Künstler haben ein Auge für Kunst, keiner ein Ohr für Vorhaltungen. Keine Sorte von Urteilen beeinflussen Künstler, nicht kritische und nicht politische. Auf Kunst wirkt nur Kunst. Schlechte Kunst ist ausschließlich durch bessere Kunst zu widerlegen. Genug also davon und zurück zu den Gelegenheiten für Biermanns Reconquista.
Nämlich und zum Schluß rechnet Biermann mit der Furcht unseres Staates vor ihm. Er bedeutet dem „Spiegel“, daß die Regierung der DDR, solange sie ihn duldete, stark war, nun aber, da sie ihn los ist, zittert. Ich finde Biermann nicht so schlüssig, wie er sich findet. Wolf Biermann, denke ich, setzt die Furchtschwelle der sozialistischen Gesellschaft vielleicht ein wenig zu niedrig an, wenn er seinen Fall in dem Zusammenhang erörtert.
Man soll mich nicht ungerecht schelten. Meine Gespräche mit Biermann sind, wenn es sie gab, stets unerfrischend verlaufen, ohne Verständnisinnigkeit. Ich rede leichter von ihm als mit ihm.
„Die Weltbühne“, Nr. 49, 07.12.1976
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