RotFuchs 189 – Oktober 2013

Der „aufgeklärte Antikommunismus“ des Joachim Gauck

Ein Großinquisitor rügt McCarthy

Prof. Dr. Georg Grasnick

Immer neue Konflikte erschüttern die EU, was von der BRD als ihrer selbsternannten Führungsmacht entschlossenes politisches Handeln verlangt. Frau Merkel sichert mit ihrem Krisenmanagement nicht nur die Interessen der Finanzwirtschaft, sondern durch das Spardiktat auch den schrittweisen Abbau wesentlicher Souveränitätsrechte anderer Mitgliedsstaaten.

Und für CDU-Fraktionschef Kauder wird endlich „in Europa wieder deutsch gesprochen“. Der BRD-Präsident, der bereits als Großinquisitor in der nach ihm benannten Behörde sein ideologisches Profil zeigte, hatte sich mit einer Reihe von der Totalitarismus-Doktrin geprägter Initiativen bestens für das bundesdeutsche Repräsentationsamt Nr. 1 empfohlen.

1998 verlangte Herr Gauck im „Schwarzbuch des Kommunismus“, man müsse diesen „als ebenso totalitär einstufen wie den Nationalsozialismus“. 2008 sorgte er gemeinsam mit dem damaligen tschechischen Präsidenten Václav Havel für die sogenannte Prager Erklärung, die einen „Europäischen Tag des Gedenkens an die Opfer des Stalinismus und Nationalsozialismus“ verlangte. Das EU-Parlament faßte ein Jahr später einen entsprechenden Beschluß.

Am 17. Juni hielt Herr Gauck in einer Gedenkstunde des Bundestages eine Geschichtslektion, deren Schwerpunkt – welch Wunder! – die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus war. Er „philosophierte“ in der ihn charakterisierenden selbstgefällig-salbungsvollen Art, in den 50er Jahren habe er wie andere auch mit einem Thomas Mann zugeschriebenen Diktum den Antikommunismus für die Grundtorheit der Epoche gehalten. Er versuchte den Eindruck zu erwecken, diese historischen Worte seien auf die Zeit des Kalten Krieges kurz nach 1945 gemünzt gewesen. „Antikommunismus konnte einem Vorurteil entspringen, einem Verschwörungsdenken“, so Gauck weiter. „Wem der Antikommunismus als McCarthyismus begegnete …, für den hieß ein Gebot der Aufklärung: So nicht.“ Er kenne jedoch „zwei Arten von Antikommunismus“. Es gebe einen Antikommunismus, „der entstanden ist aus Leid, der Erfahrung von Willkür und Unrecht, aus millionenfachem Tod“.

Tatsächlich hat Thomas Mann sein Urteil über Antikommunismus nicht in den 50er Jahren des Kalten Krieges und der Hexenjagden Senator McCarthys gefällt. Er nahm vielmehr ab 1940 die ihm in der Emigration gebotene Möglichkeit wahr, sich über den Äther an deutsche Hörer zu wenden. Vier Jahre später, 1944, als die faschistischen Okkupanten bei ihrem Rückzug riesige Territorien der Sowjetunion in tote, verbrannte Erde verwandelt hatten, sprach Thomas Mann in einem seiner Kommentare von der „Grundtorheit der Epoche“.

Anders unser „Aufklärer“ im Präsidentenamt: Der nahm den 17. Juni 1953 zum Anlaß, nicht nur die DDR, sondern auch alle sozialistischen Staaten „in Mittel- und Osteuropa“ zu verteufeln. Gauck plädiert für einen „aufgeklärten Antikommunismus“. Dieser sei „nicht nur ein Erfordernis zur Verteidigung unserer politischen Kultur, sondern auch …ein Gebot des Humanismus“.

Demnach gehört die Grundtorheit – nun als „aufgeklärter Antikommunismus“ ausgegeben – in der BRD zur „politischen Kultur“, ist gleichsam Leitmotiv. Ein antikommunistisches Feindbild wird sogar zum „Gebot des Humanismus“ verklärt.

Das vor fast einem Jahrhundert von den Faschisten geschaffene antikommunistische Feindbild sprach vom „jüdischen Bolschewismus“, den es mit „Stumpf und Stiel auszurotten“ gelte. Die „Grundtorheit der Epoche“ blieb im deutschen Westen all die Jahre gewahrt. Die BRD erklärte den Antikommunismus zur offiziellen Staatsdoktrin.

So blieb es auch nach der Annexion der DDR durch den Bonner Staat. Bemerkenswert ist, daß der Sohn zweier früher NSDAP-Mitglieder nicht ein Wort über die unendliche Zahl der Opfer verlor, welche die Völker der Sowjetunion im Kampf um die Befreiung Europas vom Faschismus gebracht haben. Sein händchenhaltender Auftritt im französischen Oradour ist vor diesem Hintergrund als reine Show zu betrachten. Daß er die heutigen Weltordnungskriege des Imperialismus nicht zu ächten bereit ist, gehört zu diesem Bild.

In seiner Rede zum diesjährigen Bundeswehrgelöbnis in Berlin verstieg sich Gauck zu der Auffassung: „Gerade unsere Geschichte sagt uns doch: Wir dürfen uns nicht aus der Verantwortung stehlen.“ Das bedeute, „dem Frieden der Welt dienen, und nach Abwägung, wo nötig auch mit militärischer Gewalt“.

In der von ihm mitgeschaffenen politischen Atmosphäre erweist sich Herr Gauck als äußerst erfinderisch. Er entwickelt aus seinem „aufgeklärten Antikommunismus“ eine von deutschem Chauvinismus durchdrungene Russophobie. „Der Präsident forderte die Russen zu Scham, Trauer und Reue auf, wenn sie sich mit der Vergangenheit der kommunistischen Diktatur beschäftigen. Rußland, so die Botschaft des einstigen Beauftragten für die Stasi-Unterlagen, solle sich in Sachen Vergangenheitsbewältigung ein Beispiel an Deutschland nehmen“, las man im „Spiegel“. Da ist es nicht verwunderlich, daß in Moskau angesichts sich häufender deutscher Belehrungen der Eindruck vorherrscht, der Kalte Krieg gegen „die Russen“ werde unvermindert fortgesetzt.

Gauck geht es vor allem darum, die Idee des Sozialismus und dessen reale Umsetzung auch weiterhin zu dämonisieren, um von den Gebrechen und Untaten des Imperialismus abzulenken.

Sein „aufgeklärter Antikommunismus“ soll gewissermaßen als Gegenstück zur „Grundtorheit“ eines Thomas Mann verstanden werden. Wer dem nicht folge, habe das 20. Jahrhundert nicht verstanden. Der 8. Mai hat danach als „Tag der Befreiung“ im Kalender dieses Landes nichts zu suchen, während der 17. Juni als „Schlüsseldatum europäischer Geschichte wahrgenommen werden“ sollte. Es geht der BRD-Führung darum, die Ideologie der Gleichsetzung von Sozialismus und Faschismus in die Hirne von Menschen nachwachsender Generationen zu pflanzen.

1941 warnte Thomas Mann, der Nationalsozialismus habe „lange Wurzeln im deutschen Leben“. Er sei „die virulente Entartungsform von Ideen, die den Keim mörderischer Verderbnis immer in sich trugen, aber schon dem alten, guten Deutschland der Kultur und Bildung keineswegs fremd waren“. Es handle sich um eine „schlimme Geschichte“, die weit zurückreiche und immer „gemeiner und gräßlicher“ werde.

Angesichts dessen sollte uns ein Wort Immanuel Kants hilfreich sein: „Hab Mut, dich deines Verstandes zu bedienen.“