RotFuchs 207 – April 2015

Um was ging es im Februar 1948 beim
Staatsstreichversuch in der ČSR?

Ein historischer Rückblick

Klaus Kukuk

Manche Jahrestage bleiben gegen nostalgische Verklärungen oder zeitgeistige Verteufelungen resistent. Sie bewahren ihre mahnende Aktualität. Die Februar-Ereignisse des Jahres 1948 in der Tschechoslowakei gehören unbedingt dazu. Für die heute Herrschenden in Tschechien und der Slowakei sind sie fortdauernd ein Trauma, für das sie sich mit der „samtenen Revolution“ im Jahre 1989 revanchieren konnten. (Immerhin gehörten die Familien Havel und Schwarzenberg mit ihrem milliardenschweren Immobilienbesitz zu den großen Verlierern von 1948.) Für Linke sind sie eine Quelle grundsätzlicher Lehren und praktischer politischer Schlußfolgerungen von ungebrochener, ja eher noch zunehmender Aktualität.

Der Druck der westlichen Regierungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf die großbürgerlichen oppositionellen politischen Kräfte und die ihnen zugesagte materielle und politische Rückendeckung lieferten die Motivation, nach Mitteln und Wegen zu suchen, die Entwicklung zur Volksdemokratie zu stören und möglichst aufzuhalten. Den Vorwand dafür sahen sie in Maßnahmen des Innenministers der Regierung Klement Gottwalds zur strukturellen und personellen Umbildung der Sicherheitskräfte und zur Eliminierung feindlicher Aktivitäten in Polizei und Geheimdienst, die insbesondere von Angehörigen der Volkssozialistischen Partei ausgingen.

12 Minister dieser Partei, der Volkspartei und der Demokratischen Partei (Slowakei) reichten am 20. Februar 1948 nicht nur bei Duldung, sondern sogar mit verdecktem Rückhalt von Präsident Beneš ihre Demission ein und lösten so eine Regierungskrise aus. Das war der Versuch, die Regierung Gottwald zu stürzen und vorgezogene Neuwahlen zu erzwingen. Unter den Akteuren befanden sich drei stellvertretende Ministerpräsidenten, die zugleich Parteivorsitzende waren. Sie spekulierten darauf, daß sich ihnen die Sozialdemokraten und Außenminister Jan Masaryk anschließen würden. Dieser hatte bereits am 4. Juli 1947, also vor der Pariser Konferenz über den Beitritt zum Marshallplan, vor dem Außenpolitischen Ausschuß der Verfassunggebenden Nationalversammlung sein Credo formuliert: „Wir unternehmen nichts, was als flagrante Unstimmigkeit mit der Sowjetunion ausgelegt werden könnte ...“

Die 12 Minister hatten sich aber bei ihrem kalten Staatsstreich wie ihre westlichen Auftraggeber verrechnet. In ihrer antikommunistischen Verblendung war ihnen weder das kleine Einmaleins der Politik noch die gültige Verfassung geläufig. Nach dem seit 1921 in der ČSR geltenden Verfassungsrecht führt die Demission von weniger als der Hälfte der Regierungsmitglieder nicht zwingend zum Rücktritt der gesamten Regierung und zu Neuwahlen. Sie ermöglicht zunächst eine Regierungsumbildung. Ministerpräsident Klement Gottwald – zugleich Vorsitzender der KPTsch – vertrat deshalb die Position, den Rücktritt der Minister anzunehmen und das Kabinett durch Politiker zu ergänzen, die bereit waren, das beschlossene Regierungsprogramm zu erfüllen.

Nach langen Verhandlungen mit allen Konfliktparteien akzeptierte Präsident Beneš am 25. Februar 1948 die Vorschläge des Ministerpräsidenten.

Im Ergebnis dessen sowie unter dem Druck machtvoller landesweiter Aktionen der tschechoslowakischen Arbeiterklasse und in Übereinstimmung mit der geltenden Verfassung sah sich der Präsident der ČSR am 25. Februar 1948 veranlaßt, die Demission der Minister anzunehmen. Noch am gleichen Tag wurde auf Vorschlag von Klement Gottwald nach zuvor erklärter Demission des Kabinetts die umgebildete Regierung durch Präsident Beneš ernannt. Damit fand die Regierungskrise formell ihr Ende. Auch das neue Kabinett war wieder eine Koalition, die dem breiten Bündnis der im Mai 1945 entstandenen Nationalen Front Rechnung trug: 7 von 19 Ministern gehörten der Sozialdemokratischen Partei, der Volkssozialistischen Partei, der Volkspartei aus den tschechischen Gebieten und der slowakischen Demokratischen Partei an.

Die von der KPTsch mobilisierten Volksmassen stellten sich mit außerparlamentarischen Massenaktionen (Kongreß der Betriebsräte, Generalstreik, Aktivitäten des Aktionsausschusses der Nationalen Front, Gründung der Volksmilizen, Kongreß der Bauernkommissionen) am 29. 2. 1948 hinter die KPTsch und die Regierung der Nationalen Front.

In der von antifaschistischen und antikapitali-stischen Stimmungen geprägten Nachkriegsperiode vermochten die linken politischen Kräfte der Tschechoslowakei mit den Kommunisten an der Spitze die Pläne der Reaktion zu durchkreuzen. Sie taten das mit rechtsstaatlichen Mitteln und gestützt auf die revolutionäre Kraft außerparlamentarischer Aktionen, um die bestehenden Machtverhältnisse nach ihrem politischen Willen zu verändern. Darin bestehen die aktuelle Botschaft und die historische Lehre des Februar 1948.

Diese Erfahrung erweist sich heute für die Programmatik der KP Böhmens und Mährens als eine Art Lackmustest für einen künftig entweder revolutionär oder reformistisch geprägten Weg der Partei.

Klement Gottwald erklärte in seiner Rede auf der ZK-Tagung am 17. November 1948: „Ohne die führende Rolle der Kommunisten innerhalb der Nation, ohne daß uns die Mehrheit des Volkes als ihren Kopf, als ihr Hirn und als ihre Führerin anerkannte, wäre die Bourgeoisie nicht isoliert worden, hätte es keinen siegreichen Februar gegeben!“

Ein marxistischer tschechischer Analytiker nannte die bereits vor einem Vierteljahrhundert in der damals noch sozialistischen Tschechoslowakei begonnene und sich in Tschechien fortsetzende Restauration des Kapitalismus einen neoliberalen „Feldzug durch das böhmisch-schlesische Becken und die mährische Tiefebene“. Das in Schockstarre und mit einer diffusen Erwartungshaltung verharrende werktätige Volk blieb wie in der DDR untätig, als sein Volkseigentum verschleudert, Grund und Boden verhökert und die Sozialsysteme auf kapitalistische Verhältnisse zugeschnitten wurden.

Hier wie dort hat die politische Führung des sozialistischen Staates versagt. Hier wie dort steht die Analyse dieser Vorgänge, die umfassende Beantwortung des Warum noch aus. Hier wie dort wurde für die Mißachtung elementarer historischer Lehren – darunter jener aus dem Februar 1948 – ein hoher Preis gezahlt.