RotFuchs 214 – November 2015

Der Arbeiterdichter Erich Weinert
riß Millionen deutscher Proletarier mit

Ein Leben in vorderster Front

Marianne Walz

Das Werk Erich Weinerts widerspiegelt einen dramatischen Abschnitt in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung: den vom Beginn der 20er Jahre über die Wirren der Weimarer Republik und die faschistische Barbarei bis zu den Anfangs­jahren der DDR. Viele von Weinerts Texten, zum Beispiel das „Lied vom kleinen Trompeter“ oder das der Internationalen Brigaden wurden vertont. Sie bereichern bis heute das Repertoire von Chören, die sich der Pflege des revolutionären Liedguts widmen. Erich Weinert, geboren 1890 in Magdeburg, wählte bewußt den Weg eines Propagandisten der KPD. Sein schriftstellerisches Schaffen bestimmte die Kämpfe der Genossen. Ihnen gab Weinert durch seine mitreißenden Verse nicht allein Kraft, sondern teilte mit ihnen auch Verfolgung und Exil, Siege und Niederlagen.

Was sollte er werden? Techniker wie der Vater oder bildender Künstler, Lehrer und Kunsterzieher, Schauspieler oder Schriftsteller? Nach seinem Schulabschluß folgte der vor der Berufswahl Stehende zunächst der väterlichen Empfehlung, wie sie wohl noch heute viele Eltern ihren künstlerisch ambitionierten Kindern geben: Erst mal was Solides! Der jugendliche Erich lernte also in der Buckauer Maschinenfabrik zunächst den Beruf des Lokomobilbauers. Nach dem Absolvieren handwerklicher und künstlerischer Ausbildungsgänge und erster Berufspraxis als Maler, Grafiker und Zeichenlehrer mußte Erich Weinert von 1913 bis 1919 Militär- und Kriegsdienst leisten. Das Erleben der Greuel an der Front, des Massenelends und der verratenen revolutionären Novemberkämpfe mögen sein Moralempfinden verletzt und ihn zu geistiger Rebellion herausgefordert haben. Als Mitwirkender bei den Auftritten fortschrittlicher Kabarettgruppen in Leipzig und Berlin zeigte sich deutlich seine Berufung zum Satiriker. Ab 1921 stehen Weinerts Strophen in intellektuell beach­teten, heute berühmten Blättern wie dem „Simplicissimus“ oder der „Weltbühne“. Zum Beispiel das aktuell anmutende Gedicht über reaktionär-konservative Journalisten: „Er macht in Objektivität / und nimmt den lieben Gott zum Muster; / jenseits von Gut und Böse steht / der Meinungsschuster.“ Vor proletarischem Publikum weckte Weinert Begeisterung mit seinen Versen und als mitreißender Redner. Ein solcher Auftritt um 1930 ist zum Beispiel im „roten Mörfelden“ (bei Frankfurt am Main) auf der Bühne des damaligen Volkshauses dokumentiert. „Von nun an wußte ich, wohin ich jetzt und für alle Zeit gehörte“, schrieb Weinert in seinen Erinnerungen über die Veranstaltungen mit Arbeitern. Er zählte 1928 zu den Mitbegründern des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller und war seit 1929 Mitglied der KPD.

Wenig später besuchte er zum ersten Mal die Sowjetunion. Wegen „Gotteslästerung und Aufreizung zum Klassenhaß“ wurde der Dichter und Agitator, nunmehr Mitar­beiter der „Roten Fahne“, mit öffentlichem Redeverbot belegt. Doch gerade unter solchen widrigen Umständen begann seine überaus fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Komponisten Hanns Eisler und dem Sänger Ernst Busch. Diese beiden Künstler und Weinerts Frau, die Schauspielerin Li Weinert, waren es, welche die Texte des mit Auftrittsverbot Bestraften vertonten, sangen und rezitierten. Darunter das Lied „Der heimliche Aufmarsch“. Es ruft zur Verteidigung der Sowjetunion auf. Eine Stern­stunde künstlerischer Inspiration ließ dieses Werk zu einer einzigartigen Wort- und Tonschöpfung gedeihen.

Arbeiter, Bauern, nehmt die Gewehre!
      Nehmt die Gewehre zur Hand.

Verjagt die faschistischen Räuberheere,
      setzt eure Herzen in Brand!

Pflanzt eure roten Banner der Arbeit
      auf jede Rampe, auf jede Fabrik.

Dann steigt aus den Trümmern der alten Gesellschaft
      die sozialistische Weltrepublik!

Weinert und Eisler waren sich bewußt, daß sie die gewachsene Tradition des Arbeiter­liedes mit seinen Ursprüngen in den volksliedhaften Gesängen wandernder Hand­werks­burschen und marschierender Soldaten durchbrechen mußten. Denn die in historischer Mission kämpfende Klasse brauchte neuen Klang und Rhythmus. Unvergeßlich bleiben die Vorträge Ernst Buschs wie auch spätere Interpretationen des Liedes mit dem Erich-Weinert-Ensemble der NVA. Ich habe es als Höhepunkt der Konzerte des Rundfunk-Jugendchors Wernigerode, zum Beispiel im Magdeburger Kulturhaus Erich Weinert, noch immer im Ohr.

Walter Ulbricht
und Erich Weinert
bei der Frontagitation
vor Stalingrad

Nach der Machtergreifung der Hitlerfaschisten im Januar 1933 beginnt für Li, Erich und Marianne Weinert die Flucht über mehrere europäische Länder in die Sowjet­union. Unermüdlich klärte der Propagandist weiter über das mörderische Wesen des Hitlerstaates auf. Seine Gedichte „An einen deutschen Arbeiterjungen“ oder „John Scheer und Genossen“ zeugen davon.

Weinert kämpft vor Madrid mit den Internationalen Brigaden, findet nach deren Niederlage 1939 erneut Asyl in Moskau, wird dort Rundfunkmitarbeiter. Ab 1942 setzt er sich an der Front für die Rettung der auf verlorenem Posten sinnlos leidenden deutschen Soldaten ein. Hunderttausende Flugblätter mit Weinerts Antikriegs­gedichten weht der Ostwind in die deutschen Stellungen vor Stalingrad. „Um sie aber zu überzeugen, daß wir wirklich da sind, gingen wir alle Nächte in die vorderste Linie und brüllten durch den Lautsprecher zu ihnen hinüber“, schrieb der mutige Agitator in einem Brief an seine Tochter. 1943 gründet Erich Weinert zusammen mit Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck, Johannes R. Becher und anderen das Nationalkomitee Freies Deutschland, dessen Präsident er wurde. So erstritt und erlebte er den Sieg über die faschistischen Räuberheere. Zurückgekehrt in die Heimat arbeitete er, obwohl bereits schwer lungenkrank, in verantwortlichen Funktionen für den Aufbau des ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates. Der hoch geehrte Dichter starb 1953 in Berlin. Eine seiner letzten literarischen Arbeiten war das Erinnerungsbuch für seinen im sowjetischen Exil umgekommenen Freund und Genossen, den Maler Heinrich Vogeler (Verlag Rütten und Loening, 1952).