RotFuchs 214 – November 2015

Franziskus fuhr beim Weißem Haus im Kleinwagen vor

Ein Papst zum Anfassen

RotFuchs-Redaktion

Eine nie zuvor gekannte Situation ist eingetreten: Selbst Atheisten, die sich ohne Schwankungen von einer wissenschaftlichen Weltanschauung leiten lassen, sprechen über Jorge Bergoglio, der als katholischer Oberhirte in Rom jetzt Franziskus heißt, voller Wärme und mit großem Respekt. Endlich hat im Vatikan – nach so manchen konträr zu bewertenden Vorgängern – ein lateinamerikanischer Papst die Zügel übernommen, den außer Klugheit und persönlichem Mut auch eine echt empfundene Liebe zu den einfachen Menschen in aller Welt beseelt.

Franziskus im Gespräch
mit Fidel Castro

Bei seinen wohl nicht zufällig aufeinander folgenden Staatsbesuchen in Kuba und den USA – er war der entscheidende Impulsgeber für die Normalisierung der Bezie­hungen zwischen Washington und Havanna – bewies der Papst sowohl politische Souveränität als auch ein außergewöhnliches geistliches Format. In Kuba, wo der volksnahe Gottesmann auf zwei heiligen Plätzen der Revolution und in einer Kathe­drale Messen abhielt, erlebte er die Realität der Gewissensfreiheit in einem sozialis­tischen Land. Die wiederholten Begegnungen mit Staatspräsident Raúl Castro wie seinem Bruder und Amtsvorgänger Fidel verliefen im Geiste der Aufrichtigkeit und des gegenseitigen Vertrauens. Die Vertreter der meisten Medien dürften indes ent­täuscht darüber gewesen sein, daß Fanziskus für die von „Dissidenten“ eingeforderte Audienz nicht zur Verfügung stand.

Karikatur: Klaus Stuttmann

Nur wenige Tage nach dem Papstbesuch traf sich Kubas Erster Vizepräsident Miguel Díaz-Canel mit etwa einhundert Vertretern aller im Lande bestehenden Glaubens­gemeinschaften, religiösen Vereinigungen und Institutionen. Die Begegnung fand im Gebäude des ZK der KP Kubas statt. Mit ihr wurde der seit etwa 30 Jahren zwischen der Partei und den Vertretern religiös gebundener Teile der Gesellschaft regelmäßig geführte Gedankenaustausch fortgesetzt. Wie Prensa Latina berichtete, war die Begegnung auch diesmal durch Redlichkeit und Offenheit geprägt. Díaz-Canel unter­strich dort noch einmal den Willen der Führung Kubas, allen religiösen Vereinigungen im Lande ohne jegliche Diskriminierung gegenüberzutreten. Er informierte die Teil­nehmer über Kubas Bewertung des Besuchs von Papst Franziskus, dem das ganze Volk des Karibikstaates mit jener Hochachtung begegnet sei, „welche der Papst verdient“. An der Begegnung nahm auch Caridad Diego, Leiterin des Büros für religi­öse Angelegenheiten beim ZK der KP Kubas, teil.

Im Verlauf seiner offiziellen Visite in den Vereinigten Staaten änderte der Papst kein Jota an seiner im Prinzip antikapitalistischen Haltung. Nach der offiziellen Begrü­ßung durch Präsident Obama – Franziskus fuhr beim Weißen Haus im Kleinwagen vor – hielt der Papst im USA-Kongreß eine Rede, bei der vor allem Mandatsträgern der Republikaner im Senat und im Repräsentantenhaus unbehaglich gewesen sein muß. Scharf wandte er sich auch bei dieser Gelegenheit gegen die gesellschaftlich verur­sachte Armut breiter Bevölkerungsschichten und verschiedene Formen der Diskrimi­nierung. Eine Ansprache, die der Chef des Vatikanstaates vor dem Plenum der Vereinten Nationen am New Yorker East River hielt, hatte denselben Tenor.

Noch präziser als das hier Geschilderte waren die Auskünfte, die Franziskus einem Interviewer von Radio Renascença, dem Sender der portugiesischen Katholiken, gab. Hier ging es vor allem um die Teile Europas überflutende Flüchtlingswelle. Während die meisten Politiker der angesteuerten Länder nach wie vor einer klaren Benennung der Ursachen des Konflikts ausweichen, nannte Franziskus die Dinge beim Namen. Er betrachte die derzeitige Krise nur als „Spitze des Eisbergs“. Man sehe allein diese armen Menschen, die vor dem Krieg und dem Hunger geflohen seien, unterlasse es aber, deutlicher den Gründen des Verlassens ihrer Heimat nachzugehen. In beiden Fällen lägen die Ursachen in einem „schlechten und ungerechten sozial-ökonomi­schen System“.

Jorge Bergoglio erinnerte daran, daß er selbst ein Kind italienischer Eltern sei, die einst nach Argentinien hätten auswandern müssen.

Ohne Zweifel entstünden durch die derzeitige Zuwanderung Hunderttausender auch Sicherheitsprobleme sowie die Gefahr einer Infiltration. Der Papst, der schon vor längerem die den Süden Italiens terrorisierenden Mafia-Banden furchtlos attackiert hatte, fügte hinzu: „Es gibt inzwischen eine extrem grausame terroristische Vereini­gung, die nur 400 Kilometer von Sizilien entfernt operiert.“ Franziskus bezog sich damit auf den IS, der inzwischen weite Gebiete des durch den Imperialismus zerstückelten Libyens kontrollieren.

Der Papst appellierte an alle katholischen Gemeinden Europas, jeweils zumindest eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen, wobei der jetzt durch ihn repräsentierte Vatikan mit gutem Beispiel vorangehen wolle.

RF, gestützt auf „Granma“, Havanna, und die französische Nachrichtenagentur AFP