Mein Großvater Ernst Puchmüller
zeigte den Braunen die Rote Karte
Ein Weitblickender ohne Augenlicht
Als eines von drei Enkelkindern möchte ich hier das bewegte und außergewöhnliche Leben meines Großvaters Ernst Puchmüller beschreiben. 1897 wurde er in der Kleinstadt Dassow im Nordwesten Mecklenburgs geboren. Während des 1. Weltkrieges mußte auch er „für Kaiser, Volk und Vaterland“ die Kastanien aus dem Feuer holen. Dabei wurde er schwer verwundet und verlor ein Auge, während das zweite ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen wurde. Wieder in der Heimat, schloß er sich zunächst der SPD, dann der USPD und 1920 der KPD an. An der Niederschlagung des Kapp-Putsches war er aktiv beteiligt. In Nordwest-Mecklenburg organisierte er gemeinsam mit einem jungen SPD-Genossen den Widerstand gegen die Soldateska der Weißen. Beide wurden von paramilitärischen Kommandos der Großgrundbesitzer festgenommen und in einen Keller gesperrt. Ihnen gelang zwar die Flucht, doch die Kapp-Leute schossen hinter ihnen her. Mein Großvater konnte entkommen, sein Mitstreiter aber nicht. Dort, wo den Sozialdemokraten Hermann Litzendorf die tödliche Kugel traf, errichtete man in frühen DDR-Zeiten eine Gedenkstätte. Die feierliche Einweihung übertrug man meinem Großvater.
1920 heirateten die Großeltern und übersiedelten in das nahegelegene Lübeck. Dort wuchsen ihre Söhne Heinz und Ernst auf.
In der Hansestadt gehörte Ernst Puchmüller zur Leitung der KPD und war Abgeordneter der Bürgerschaft. 1933, nach der Machtauslieferung an die Hitlerfaschisten, wurde er wie die gesamte KPD-Führung Lübecks verhaftet. Als Kriegsinvaliden ließ man ihn jedoch frei. Sofort übernahm er die Leitung der illegalen Lübecker KPD. 1935 wurde er erneut festgenommen. In einem Verfahren, das als „Lübecker Kommunistenprozeß“ in die Stadtgeschichte einging, verurteilte ihn die Nazijustiz zu 13 Jahren Zuchthaus. Der Richter machte kein Hehl daraus, daß er eigentlich die Todesstrafe hätte verhängen wollen, aber mit Rücksicht auf die Kriegsinvalidität des Angeklagten davon abgesehen habe.
Die Zeit von 1935 bis zur Befreiung im Frühjahr 1945 verbrachte mein Großvater in Zuchthäusern – in Hamburg-Fuhlsbüttel, Bremen, Oslebshausen und vor allem Waldheim. Anfangs versuchten Ärzte, sein Augenlicht durch eine Operation zu retten. Sie verordneten „absolute Ruhe“, die dem Gefangenen natürlich nicht gegönnt wurde. So verlor er seine Sehkraft vollends. Von einem Mithäftling erlernte er die Blindenschrift. In den Jahren der Haft verfaßte er viele eindringliche Gedichte.
Seine beiden Söhne wurden im Zweiten Weltkrieg zur Wehrmacht eingezogen. Sie mußten nicht mehr für den Kaiser, nun aber für einen anderen Verbrecher aufs Schlachtfeld.
Nach der Befreiung stellte sich mein Großvater sofort der KPD zur Verfügung. Die Familie übersiedelte nach Schönberg, wo Ernst Puchmüller 1. Kreissekretär der KPD war. In dieser Funktion nahm er aktiv an der Durchführung der Bodenreform teil. 1946 fuhr er als Delegierter zum Vereinigungsparteitag von KPD und SPD nach Berlin.
Später erwarteten ihn andere wichtige Aufgaben. Von 1950 bis 1967 war er Direktor der Blindenanstalt in Neukloster. Mit 70 setzte er sich zur Ruhe. Viele Jahre war er Vizepräsident und später Ehrenpräsident des Blinden- und Sehschwachen-Verbandes der DDR. 1976 verstarb er in Rostock, wo er im Ehrenhain der Sozialisten auf dem Neuen Friedhof beigesetzt wurde.
Ernst Puchmüller war Träger des Ordens Banner der Arbeit und des Vaterländischen Verdienstordens in Gold. Noch zu seinen Lebzeiten verlieh man der Schule seines Geburtsortes Dassow den Namen des bewährten Widerstandskämpfers. Anfang der 80er Jahre wurde auch das Rehabilitationszentrum für Blinde und Sehschwache in Neukloster nach ihm benannt. Beiden Einrichtungen entzogen die kapitalistischen Rückeroberer nach dem Anschluß der DDR an die BRD den Namen des Kommunisten.
1958 erschien eine erste Autobiografie Ernst Puchmüllers, danach eine Sammlung seiner Gedichte unter dem Titel „Genosse sein heißt Kämpfer sein“. 1964 brachte der Rostocker Hinstorff Verlag „Mit beiden Augen“ heraus.
Der Bruder meines Vaters Heinz und der jüngere Bruder meiner Großmutter Karl sind aus dem faschistischen Krieg nicht zurückgekehrt. Sieben Jahre nach dem großen Blutvergießen kam ich zur Welt. Ich erhielt die Namen der beiden Toten.
Mein Schwur
Und bin ich auch vom wilden Strome dieser Zeit
bis in die tiefsten Tiefen mit hinabgerissen,
und währten meine Leiden eine Ewigkeit,
gern will ich alles tragen, alle Freuden missen.
Doch nimmer beug’ ich mich dem Willen der Faschisten,
der braunen Mob-Partei, der Hitlerdiktatur,
noch immer steh’ ich in den Reih’n der Kommunisten
und kämpfe für die Proletarier-Diktatur.
Für Deutschlands Freiheit kämpfe ich mit Fug und Recht,
für mein Parteiprogramm setz’ ich mein Leben ein,
und uns’re großen Toten, die wir einst gerächt,
soll’n bis ans Ende mir ein Vorbild sein.
So schwör’ ich Euch, Genossen, stets aufs neue,
man mag mich quälen, schikanieren noch und noch:
Der roten Fahne halte ich die Treue
bis in den Tod – denn eins steht fest:
Wir siegen doch!
Dieses Bekenntnis schrieb Ernst Puchmüller am 7. März 1942 im Gefängnis-Lazarett Hamburg.
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