RotFuchs 204 – Januar 2015

Marxistische Auseinandersetzung
mit der „Transformationstheorie“

Eine Sackgasse als Ausweg?

Konrad Hannemann

Im vergangenen Herbst hat sich unser Parteizirkel „Rote Runde“ in Eisenhüttenstadt mit der Transformationstheorie auseinandergesetzt. Dazu gab eine Genossin den Hauptinhalt des Buches „Das Morgen tanzt im Heute“ von Prof. Dr. Dieter Klein wieder. Ich hatte den Auftrag, einen Gegenstandpunkt darzulegen.

Prof. Kleins Transformationstheorie halte ich für einen gefährlichen Irrweg. Sie hat schon in den zurückliegenden Jahren erheblichen Schaden angerichtet. Die Politik der Regierungsbeteiligungen, die vor allem auf den von ihm und den Brüdern André und Michael Brie entworfenen theoretischen Auffassungen beruht, hat die Parteien all jener Länder, in denen sie praktiziert wurde, zurückgeworfen und errungene Positionen zunichte gemacht.

Im folgenden konzentriere ich mich auf Prof. Kleins Thesen zur Konzeption der doppelten Transformation und zur Rolle des Staates, der angeblich kein Machtinstrument der herrschenden Klasse mehr sein soll.

Kein vernünftiger Genosse der Partei Die Linke wird in Abrede stellen, daß man sich für Reformen im Interesse der Bürger einsetzen muß. Dennoch dichtet man den Marxisten innerhalb der Partei seitens des Forums demokratischer Sozialismus (FdS) Reformfeindlichkeit an. Partiell hat die Partei mit ihren Reforminitiativen ja auch Fortschritte erreicht. Doch in den wirklich bedeutenden gesellschaftlichen Fragen konnte kein Durchbruch erzielt werden. Das betrifft vor allem die Nichtbeteiligung der Bundeswehr an militärischen Einsätzen außerhalb der BRD, die Abschaffung der Hartz-IV-Gesetze sowie dringende Maßnahmen auf dem Gebiet des Umweltschutzes.

Am 25./26. Oktober 2014 stellte das ND in der Rubrik „Standpunkt“ folgendes fest: „Kohle- und Wirtschaftslobby haben im Vorfeld (des EU-Gipfels – K. H.) sehr viel Druck ausgeübt, um ambitionierte Klimaziele … zu verhindern.“

Schon in der ersten Stufe der vermeintlichen Transformation stoßen wir also auf harte Grenzen, die durch das Kapital gesetzt werden. Teilerfolge lassen sich nur erzielen, wenn es gelingt, große Mehrheiten der Bürger für Reformziele zu gewinnen. Aber wie soll das funktionieren, wenn Die Linke nach jeder Regierungsbeteiligung an Zustimmung verliert? Hinzu kommt ja, daß die öffentliche Meinung nicht durch uns bestimmt wird.

In einer zweiten Stufe der Transformation würde das noch schwieriger, da sie – der Vorstellung nach – die Macht des Großkapitals tangiert. Wer glaubt denn ernsthaft daran, daß dieses seine Positionen untergrabende Reformen durchgehen ließe! Das Gegenteil ist der Fall: Wenn es hart auf hart kommt, wird das Kapital seine Interessen rücksichtslos verteidigen. Wie das läuft, wurde ja 1973 in Chile demonstriert.

„Eher als die einst erstrebte Enteignung aller wichtigen Privatunternehmen könnte es beispielsweise gelingen, etwa in den nächsten tiefen Finanzkrisen eine demokratische Kontrolle über die größten Finanzakteure … durchzusetzen“, errichtet Prof. Klein sein illusionäres Gedankengebäude. Das läßt mich auf die Rolle des Staates kommen. Wer hat denn den „Finanzakteuren“ die Freiräume gerade für jene Maßnahmen überlassen, die zu der Krise führten, aus der wir noch keineswegs heraus sind? Und als die Krise „hereingebrochen“ war, hat der Staat diejenigen gerettet, welche sie verursacht haben. Den Schaden mußten unzählige Bürger tragen, die nicht nur um ihre Einlagen betrogen, sondern aus deren Steuern dann auch noch die Verursacher entschädigt wurden.

Es ist doch bekannt, daß die Mehrzahl der Gesetze, die man den Bundestagsabgeordneten unterbreitet, in den Stäben der großen Konzerne ausgebrütet werden. Sie sind es, welche die Maßstäbe setzen! Wer möchte da noch bezweifeln, daß der Staat tatsächlich das Machtinstrument der herrschenden Klasse ist!

Zu sozialistischen Zeiten haben wir nicht verheimlicht, die Macht im Interesse der Werktätigen und gegen die Ausbeuterklassen zu nutzen. Das geschah mitunter zwar auf fehlerhafte Weise, doch wir waren in dieser Hinsicht absolut ehrlich.

Der bürgerliche Staat kann sich solche Wahrheitsliebe nicht leisten. Er preist seine Form der Demokratie als die einzig wahre an und gaukelt den Bürgern einen klassenindifferenten Rechtsstaat vor. Doch das Recht ist ein Machtinstrument der jeweils herrschenden Klasse. Die sogenannten Reformer leugnen das und stellen den Staat als zivilisatorische Errungenschaft dar. Daß Recht und Gerechtigkeit nicht miteinander identisch sind, haben wir seit 1990 erfahren müssen. Oder war die faktische Enteignung der Partei, bei der sogar die Beiträge der SED-Mitglieder vom kapitalistischen Staat eingestrichen wurden, etwa kein Willkürakt! Man hoffte dadurch auch der PDS den Boden entziehen zu können.

Um eine wirkliche gesellschaftliche Wende in Richtung auf einen Sozialismus zu erreichen, der den gewesenen an Qualität übertrifft, gibt es nur einen Weg: Das Großkapital muß entmachtet werden.

Das wird nicht einfach sein und erfordert ein geduldiges Ringen um Bündnisse für eine echte Wende. Diese dürfte nicht ohne Gewalt abgehen, womit nicht der alternativlose Einsatz militärischer Mittel gemeint ist. Auch die Waffe des Generalstreiks und ökonomische Instrumentarien gehören zum Arsenal.

Wer sich mit dem Problem näher befassen möchte, dem empfehle ich „Gewaltlosigkeit und Klassenkampf“ aus der Feder von Prof. Dr. Herbert Meißner.

Auch Dr. Klaus Blessing hat sich in „Die sozialistische Zukunft“ sehr prinzipiell mit der Transformationstheorie auseinandergesetzt.

Ich fasse meine Auffassung zur Überwindung des Kapitalismus und zur Gestaltung eines neuen Sozialismus zusammen: 1. Er kann nur auf breiter demokratischer Basis und in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Bürger eines Landes errungen werden. Das erfordert eine geduldige und beharrliche Überzeugungsarbeit. Blinder Aktionismus führt nicht zum Ziel. Er dient letztlich nur der Erhaltung der bürgerlichen Gesellschaft. 2. Sozialismus ist allein durch Klassenkampf erreichbar. Dieser wird uns vom Kapital aufgezwungen. 3. Eine neue sozialistische Gesellschaft bedarf einer verläßlichen Orientierung. Marxistische Parteien müssen dabei überzeugende Ideengeber sein, was mit einer dekretierten „führenden Rolle“ nicht gleichzusetzen ist. Der kapitalistischen Ideologie ist eine dynamische sozialistische Weltanschauung im marxistischen Sinne entgegenzusetzen, wobei für nationale Besonderheiten hinreichend Spielraum bleiben muß.

Obwohl zu diesem Thema noch viel zu sagen wäre, hoffe ich, genügend Anstöße für ein kritisches Überdenken der Transformationstheorie, die von einer reformerischen Umwandlung gesellschaftlicher Verhältnisse im Rahmen des bestehenden Systems ausgeht, gegeben zu haben.