RotFuchs 210 – Juli 2015

Eine „sozialdemokratische Partei besonderer Art“

Prof. Dr. Ingo Wagner

Den Beitrag von Dr. sc. Rosemarie Griese „Warum ich in der Linkspartei bleibe“ (April-RF) habe ich aufmerksam, nachdenklich, oft zustimmend, aber auch kritisch und mit Blick auf meine eigene politische Vergangenheit gelesen.

Zu mir selbst: Ich bin im Oktober 2001 aus der PDS ausgetreten. Der „RotFuchs“ hat damals meine Austrittserklärung unter der Schlagzeile „Warum der Leipziger Jurist Prof. Ingo Wagner einen Schlußstrich zog“ in einer Kurzfassung veröffentlicht.

Seit September 1945 habe ich an der politischen Praxis und dann auch als Theoretiker an der Gestaltung der antifaschistisch-demokratischen Ordnung und am sozialistischen Aufbau in der DDR aktiv teilgenommen. Die PDS zu verlassen war für mich die schwierigste Entscheidung meines politischen Lebens. Danach habe ich den Kampf für unsere sozialistische Sache in anderen Formen fortgesetzt, ohne jemals aufrichtige Mitglieder der Linken zu animieren, ihre Partei zu verlassen.

Mit den prinzipiellen Aussagen von Rosemarie Griese zum heutigen Erscheinungsbild der Linken bin ich einverstanden: Die Linke habe sich „nicht zu einer sozialistischen Partei entwickelt … Sie betrieb kontinuierlich eine Abkehr vom Marxismus und verfolgte permanent einen Kurs auf Annäherung an den Staat BRD … Die Linkspartei zeigt sich uns heute als eine Art sozialdemokratische Wahlpartei.“

Bereits in meinem einen Schlußstrich ziehenden Buch „Eine Partei gibt sich auf“ (edition ost 2004) habe ich den Nachweis geführt, daß die PDS zu einer „sozialdemokratischen Partei der besonderen Art“ geworden ist. Da diese Schrift mittlerweile vergriffen ist, möchte ich zunächst einige Grundgedanken zum Chemnitzer Parteiprogramm von 2003 zitieren:

„Die PDS hat sich … voll als eine Partei des kleinbürgerlichen Sozialreformismus ausgeprägt; sie ist zu einer sozialdemokratischen Partei sui generis mutiert, die jetzt versuchen wird, den Platz einzunehmen, den die SPD mit ihrer Entwicklung zu einer der Staatsparteien des kapitalistischen Systems … endgültig geräumt hat; und zwar gleichfalls als Staatspartei – allerdings im ‚sozialistischen‘ Gewand. Programmatisch wird sie nun durch den ‚Modernen Sozialismus’ geprägt ... Das ist kapitalistischer Sozialismus (Bourgeoissozialismus) … Es ist ein Treppenwitz der Geschichte: Die PDS versucht in diesem Sinne die soziale Rolle einzunehmen, die der SPD immer mehr abhanden kommt, nämlich die Linke den sozialen und ökonomischen Erfordernissen des Kapitals unterzuordnen, sie in den politischen Mainstream der bürgerlichen Gesellschaft und in deren kulturelle Hegemonie einzubeziehen. … Das politisch-ideologische Anliegen der programmatischen Neuordnung der PDS ist die Erhaltung … des Kapitalismus, und zwar durch Beschneidung seiner extremen Auswüchse und zugleich durch die Lähmung der revolutionären und wirklich antikapitalistischen Kräfte.

Die PDS agiert als linker Flügel der Bourgeoisie, nachdem die SPD in dieser Rolle ausgedient hat.“

Meine Einschätzung wurde durch den weiteren Gang der Dinge bestätigt.

Nun lese ich bei Genossin Griese einiges, wogegen ich Bedenken habe. Zunächst. Ihr ist zuzustimmen, daß die derzeitige Linkspartei es sich zur Aufgabe gestellt hat, „zunehmenden Auswüchsen des Kapitalismus entgegenzuwirken“. Da bin ich mit Lenin bei ihr, der uns ermahnte, daß der „Marxist … als Prämisse seiner Politik nur genau und unbestreitbar bewiesene Tatsachen annehmen darf“. (LW, Bd. 25, S. 219) Eine solche Tatsache ist, daß Die Linke mit ihrem Erfurter Programm (2011) auch ein Paket sozialer, emanzipatorischer, antifaschistischer und auf Frieden orientierter Forderungen vertritt. Dem kann man auch als Marxist die Unterstützung nicht versagen, ohne zu verschweigen, daß dieses nicht-marxistische Programm generelle Mängel aufweist, die das Tor der Möglichkeiten der künftigen Entwicklung der Linken weit öffnen.

Mein Haupteinwand besteht darin, daß das Erfurter Programm ein Kompromißpapier ist, das Züge einer gabelartigen Verzweigung aufweist, welche gegensätzliche Interpretationen des Textes zuläßt. Das Programm enthält zwei konzeptionelle Grundlinien – eine linke und eine rechte, welche die PDL insgesamt als eine „sozialdemokratische Partei besonderer Art“ ausweisen.

Die von Genossin Rosemarie Griese nachdenklich gestellte abschließende Frage, wie man sich entscheiden sollte, habe ich so beantwortet: In historischer Sicht wird Die Linke insgesamt weiter in das dominierende parlamentarische System des bürgerlich-imperialistischen Staates abtrudeln. Das schließt eine marxistische Unterstützung der Linkspartei keinesfalls aus. Zugleich müssen wir eine neue sozialistisch-kommunistische Partei auf marxistischer Grundlage anstreben. Das verlangt auch vom „RotFuchs“ mehr theoretischen Aufbruch in die vor uns liegende Zeit. Noch haben wir dazu die Kraft, obwohl ich natürlich weiß, daß man in der Geschichte einen langen Atem haben muß.