RotFuchs 190 – November 2013

Griff in die literarische Schatztruhe (13. Teil)

Einst erfolgreiche DDR-Autoren
dem Vergessen entreißen

Dieter Fechner

Auguste Lazar zählt wie Alex Wedding, Berta Lask und Max Zimmering zu den namhaften Wegbereitern der proletarischen Kinderliteratur. Sie wurde am 12. September 1887 in einer bürgerlich-liberalen Wiener Familie geboren. In ihrer Heimatstadt studierte sie Literaturwissenschaft, promovierte 1919 und wurde Lehrerin. Sie heiratete den Mathematikprofessor Karl Wieghardt, der nach Dresden berufen wurde, wo sie Kontakt zu Hans und Lea Grundig, Victor und Eva Klemperer, Fritz Schulze und Eva Knabe fand. In seinem Buch „Zwischen Karneval und Aschermittwoch“ bemerkte Hans Grundig: „Die Gusti war ein gelehrter Doktor der Literatur, aber keinesfalls ein verstaubtes Bücherbrett, das nutzlos seine Tage verbrachte.“ 1959 schuf Lea Grundig ein Porträt Auguste Wieghardt-Lazars, dem 1967 eine Tuschzeichnung folgte.

Lazar wurde mit ihrem Erstling „Sally Bleistift in Amerika“ (1935), den zuerst Sandor Ek und danach Karl Erich Müller illustrierten, weltberühmt. Den Kinderbuch-Klassiker durchdrang der Gedanke der Solidarität mit allen Ausgebeuteten. 1939 ging Auguste Lazar ins britische Exil, aus dem sie erst zehn Jahre später zurückkehren konnte.

Ihr zweites Buch „Jan auf der Zille“ entstand 1934/35 und erschien 1950 in der DDR. Darin erzählt sie die Geschichte eines tschechischen Jungen, der am antifaschistischen Widerstand teilnahm und dabei in lebensbedrohliche Situationen geriet. Helmut Dziuba verfilmte den Stoff 1988 mit Peter Sodann.

Nach ihrer Rückkehr begann für Auguste Lazar eine besonders schöpferische Phase. Sie schrieb Kinderbücher wie „Bootsmann Sibylle“ (1950, illustriert von Hans Baltzer), „Der neue Däumling“ (1954), „Jura in der Leninhütte“ (1960, illustriert von Sandor Ek), „Die Schreckensherrschaft und das Glück der Anette Martin“ (1961), „Die Brücke von Weißensand“ (1965, illustriert von Lea Grundig) , „Kampf um Kathi“ (1967) und „Akelei und das Wurzelmännchen“ (1970). Anläßlich ihres 90. Geburtstages brachte der Kinderbuchverlag „Sally Bleistift in Amerika“ und „Die Brücke von Weißensand“ in einem Band heraus. Stationen ihres Lebens schilderte Auguste Lazar in dem Bekenntnisbuch „Arabesken. Aufzeichnungen aus bewegter Zeit“ (1957). Eindringlich berichtet sie von dem in Agonie liegenden Wien nach dem ersten Weltkrieg, Dresden im Würgegriff des Faschismus und London unter dem Geheul der Sirenen.

Phantastische und zugleich nüchterne Bilder schuf Auguste Lazar in „Schach dem König“ (1964). Als Nichthistorikerin wandte sie sich hier gegen Fehldarstellungen der Französischen Revolution.

Die vielseitige Literatin starb am 7. April 1970 in Dresden. Sie hatte vielen jungen Autoren mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Jurij Brézan schrieb über sie: „Es gibt wohl kaum einen Autor in und um Dresden, der ihr nicht Wesentliches verdankte.“ Rudolf Hirsch bezeichnete sie als „die zauberhafteste, strengste und charmanteste, aufrichtigste Freundin bis zu ihrem letzten Tag“.

Theo Harych wurde, wie er selbst vermerkte, „als fünfter unnützer Fresser“ am 19. Dezember 1903 im heutigen Doruchów (Provinz Posen) geboren. Er besuchte die einklassige Volksschule. Der Vater – ein Trinker – verdingte ihn frühzeitig bei einem brutalen Großbauern, da dieser jährlich acht Taler für täglich sechzehn Stunden Arbeit zahlte. Als Hütejunge und Knecht lernte Harych das harte Leben eines Häuslerkindes „hinter den Bergen“ kennen. Knapp sechzehn, floh er von Hause, da er von einem „Paradies auf Erden“ gehört hatte, ins Geiseltal bei Merseburg – das anhaltinische Braunkohlenrevier. Das „Paradies“ entpuppte sich bald als eine weitere Hölle. „Ehrliche, im Kampf um ihr Recht erprobte Arbeiter, zeigten dem Armeleutekind den Weg“, schrieb er.

1921 beteiligte sich Harych am mitteldeutschen Aufstand, wofür er ins Gefängnis kam. Er verfaßte „Brandbriefe“, Kurzgeschichten und Gedichte, die niemand drucken wollte. Seit 1926 arbeitete er als Kraftfahrer in Berlin.

1949 las er den Appell „Schreib das auf, Kumpel!“ und sandte zwei seiner Geschichten an den Verlag Volk und Welt. Er erhielt von diesem eine finanzielle Beihilfe. 1951 erschien sein Erstling „Hinter den schwarzen Wäldern. Die Geschichte einer Kindheit“. Der Rapport seines entbehrungsreichen Lebens fand starke Resonanz. Es folgten sein Kinderbuch „Bärbels und Lothars schönster Tag“ und der Roman „Im Geiseltal“ (beide 1952). Hier waren Bergarbeiter seine Helden. Die Handlung, zu der erregende Passagen gehören, spielte in der Zeit bis 1921.

1954 wurde er mit dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet. Im Jahre 1958 legte Harych den Roman „Im Namen des Volkes“ vor (von Carl Balhaus 1961 unter dem Titel „Mord ohne Sühne“ verfilmt), in dem er sich mit dem Justizmord an dem polnischen Landarbeiter Jakubowski beschäftigte.

Am 22. Februar 1958 wählte Harych nach langer Krankheit den Freitod.

Seine beiden ersten Romane erschienen 1974/75 als zweibändige Werkausgabe im Mitteldeutschen Verlag. Sie waren – wie Martin Reso schrieb – „nicht nur eine dichterische Abrechnung mit der qualvoll freudlosen Jugend, sondern auch ein lebendiges Zeugnis der Menschwerdung, frei von Illusionen, trotz der Schwere des Schicksals nicht ohne Optimismus“.