RotFuchs 230 – März 2017

Erinnerung an den Pädagogen Walter Wolf

Dr. paed. habil. Jörgpeter Lund

Prof. Dr. Dr. Walter Wolf (1907 bis 1977) – ein profilierter Wegbereiter der marxistischen Pädagogik in Deutschland – hätte am 27. Februar seinen 110. Geburtstag feiern können.

Es war wohl an einem Vormittag im Frühjahr des Jahres 1990 an der damaligen Pädagogischen Hochschule Potsdam, die den Ehrennamen „Karl Liebknecht“ bereits verloren hatte, als Handwerker die dort vor den Diensträumen des Instituts für Pädagogik stehende Stele des Antifaschisten und Kommunisten Walter Wolf demontierten. Dies wurde mit dem Argument begründet, das Denkmal vor möglichen Schmierereien und Verunstaltungen schützen zu wollen.

In Wirklichkeit ging es aber darum, die an dieser größten Lehrerbildungseinrichtung der DDR praktizierte marxistische Pädagogik und Psychologie zu Grabe zu tragen und sich in der erziehungswissenschaftlichen Lehre und Forschung auf die kapitalistische Gesellschaft zu orientieren. Niemand, weder Lehrkörper noch Studierende, protestierte damals gegen diesen Akt der Diskriminierung des Wissenschaftlers und Antifaschisten Walter Wolf. Alle waren seinerzeit zutiefst verunsichert, und niemand wußte genau, welche Perspektive diese Lehr- und Forschungseinrichtung in dieser neuen Zeit haben würde. Keiner von uns hatte Vorstellungen über die Abläufe des „Erneuerungsprozesses“ bis hin zu den zu erwartenden Evaluierungen der Hochschullehrer. Unsere Illusionen zerplatzten wie Seifenblasen, als klar wurde, daß auch eine reformierte DDR keine gesellschaftliche Perspektive mehr in dem „europäischen Haus“ von M. S. Gorbatschow hatte. So wurden, um die neuen Machtverhältnisse zu legitimieren, die humanistisch- pädagogischen Werte und Traditionen der DDR verteufelt und in den „Mülleimer der Geschichte“ geworfen.

Wer war Prof. Wolf, was zeichnet ihn aus heutiger Perspektive in besonderem Maße aus? Weshalb ist es für die Linke von Bedeutung, ihn als engagierten Kämpfer gegen Faschismus und Krieg zu würdigen?

Walter Wolf legte 1931 nach dem Studium der Pädagogik, Philosophie, Psychologie und Nationalökonomie an der Universität Jena die wissenschaftliche Prüfung für das Lehramt an der Volksschule ab. Danach war er in unterschiedlichen Dienstverhält­nissen in Zechau-Leesen, Kulm und in Zeulenroda als Lehrender tätig. Wegen seiner illegalen Tätigkeit für die KPD wurde er 1937 fristlos aus dem Schuldienst entlassen. Trotz Freispruchs aus Mangel an Beweisen durch den 1. Strafsenat am OLG Jena wurde er 1938 im KZ-Buchenwald in „Schutzhaft“ genommen. Er war Mitglied im Buchenwalder Volksfrontkomitee und leistete u. a. eine mutige Arbeit unter den im Lager lebenden Kindern. Nach der Selbstbefreiung am 10./11. April 1945 und der äußeren Befreiung durch die US-Armee war Wolf der Vertreter der deutschen Häftlinge im Internationalen Lagerkomitee des KZs Buchenwald.

Schon im Mai 1945 begann er damit, die Schule für Kinder und Jugendliche im Land Thüringen zu reorganisieren. Als Regierungsdirektor leitete er zunächst das Landesamt für Volksbildung und schuf später als Minister für Volksbildung im Land Thüringen Grundlagen für den Aufbau einer antifaschistisch-demokratischen Schule. Im Verlauf seines Lebens übte er an vorderster Front der akademischen Neugestal­tung in der sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR verantwortungsvolle Funktionen aus. Nach Beendigung seiner Tätigkeit als Minister widmete er sich bis zu seinem Lebensende der marxistischen Philosophie und der Pädagogik.

Walter Wolf hat großen persönlichen Anteil daran, daß sich in der DDR keine so vordergründige statisch-formalistische Spielart der marxistischen Erziehungswissen­schaft wie in anderen sozialistischen Ländern herausbildete. Das wurde insbeson­dere auch darin deutlich, daß das Bildungs- und Erziehungskonzept der DDR durch eine schöpferische Anwendung des polytechnischen Prinzips in der Erziehung und durch die Verbindung von Theorie und Praxis des Lehr- und Lernstoffes geprägt war.

Welchen philosophischen Ansatz verfolgte Walter Wolf in seinem pädagogischen Denken?

Charakteristisch für ihn war stets das Bemühen, die Zusammenhänge zwischen der marxistischen Philosophie und ihrer dialektischen Methode bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Pädagogik zu verdeutlichen.

Dabei war ihm wohl die Rolle der Tätigkeit in ihrer Wechselwirkung von praktischem und geistigem Agieren bei der Persönlichkeitsformung bewußt, weil er die dritte These von Marx über Feuerbach in ihrem pädagogischen Wirkungsmechanismus verinnerlicht hatte. Aus diesem Grund gab es von ihm nicht nur verschiedene Publikationen zum Erziehungsziel, zu praktischen Fragen des Zurückbleibens einzelner Schüler im Unterricht, zur Erziehung zur Arbeitsmoral, zu Gesetzmäßig­keiten und zum Gegenstand des pädagogischen Prozesses, sondern auch Arbeiten zur Forschungsmethodik selbst, um ein Instrumentarium zur Erhellung erzieherischer Zusammenhänge für die pädagogische Praxis zu finden. Unter dem Eindruck der Ergebnisse der PISA-Studien der letzten Jahre wäre es sicherlich auch heute wertvoll, über einige Aspekte seines Wirkens mit dem Blick auf eine Bereicherung des Gemeinschaftsschulkonzepts nachzudenken.

In den letzten Jahren bis zu seinem Tode widmete er sich dem Problem der kollektiv-schöpferischen Arbeit. Aus diesem Grunde baute er im damaligen Chemiefaserwerk „Friedrich Engels“ Premnitz gemeinsam mit Dr. Rudi Hüttner eine empirische Basis auf, um Erfahrungen und Erkenntnisse aus der produktiven Arbeitswelt zu dieser Problematik für die allgemeinbildende polytechnische Oberschule abzuleiten.

Diese wissenschaftliche Tätigkeit in ihrer Gesamtheit beförderte und gestaltete er als Professor für Theoretische Pädagogik an der Universität Leipzig, als Professor für Systematische Pädagogik und später für Allgemeine Pädagogik an der Pädago­gischen Hochschule Potsdam.

Im administrativen akademischen Bereich wurde er mehrfach als Institutsdirektor, Dekan, Prorektor und als ordentliches Mitglied der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR berufen.

Walter Wolf prägte als Hochschullehrer besonders in Leipzig Generationen von Erziehungswissenschaftlern der DDR im Sinne seiner antifaschistischen und humanistischen Grundüberzeugungen. Durch sein Wirken bildete er ferner das methodologische Fundament für die Profilierung der erziehungsphilosophischen Schule der Pädagogik in Potsdam.

Die aktuelle gesellschaftliche Situation in Deutschland verlangt ein modernes Bildungswesen, in welchem die fortschrittlichen und bewährten bildungspolitischen Forderungen der klassischen bürgerlichen Pädagogik des 17. bis 19. Jahrhunderts ihren Niederschlag finden müßten.

Wolf zu ehren bedeutet auch, die Relevanz einer antifaschistisch-demokratischen Wertorientierung als Kern einer humanistischen Erziehung zu verstehen und praxiswirksam zu gestalten. Diese Sicht ist verbunden mit dem ehrenden Gedenken an alle fortschrittlichen Pädagogen in der deutschen Geschichte – wie auch an Walter Wolf – als einer Maxime der Besinnung pädagogischen Denkens