RotFuchs 230 – März 2017

Erkenntnisse eines
„Totalitarismus“-Forschers

Dr. Rolf Ziegenbein

Im vergangenen Jahr erschien ein Buch zur Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR, das man sich näher ansehen sollte. Prof. Dr. Lothar Fritze, an der TU Chemnitz und am Hannah-Arendt-Instituts für „Totalitarismus“-Forschung seit Jahren tätig, meldete sich mit einer Schrift zu Wort, die er wohl nicht zufällig nicht am Institut, sondern im Berliner Wissenschafts-Verlag publizierte. Sie trägt den Titel: „Delegitimierung und Totalkritik. Kritische Anmerkungen zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit“.  In ihr setzt sich der Autor außerordentlich kritisch mit der bisher praktizierten offiziellen Darstellung der DDR-Geschichte auseinander.

Er hält die Zielsetzung der Delegitimierung der DDR zwar weiterhin für vertretbar, aber er bezeichnet sie gleichzeitig als ein „zweischneidiges Schwert“, das den, der es in der Hand hält, selbst verletzen und beschädigen kann. Diese Zweischneidigkeit erkennt er vor allem darin, daß  mit der Forderung nach Delegitimierung der DDR das Ergebnis der historischen Untersuchung praktisch schon vorgegeben und eine ergebnisoffene Forschung nahezu unmöglich ist. Die Glaubwürdigkeit der so erzielten „Forschungsergebnisse“ sinke damit erheblich.

Der Autor lehnt die Charakterisierung der DDR als „totalitär“ nicht von vornherein ab, aber er schreibt, daß die bisherige Forschung nichts zutage gefördert hat, „was die Charakterisierung des Gesamtsystems als totalitär bekräftigen würde“. Er warnt vor zerstörerischer Schwarzweißmalerei und vor der Selbstgerechtigkeit der Sieger, was letztlich zur Blindheit gegenüber den Mängeln in der eigenen Gesellschaft führe.  Aus einem solchen Blickwinkel lehnt er die Totalkritik der DDR und ihre Charakterisierung als Unrechtsstaat ab. Er fordert, neben negativen auch immer die positiven Seiten des Systems zu untersuchen. Insofern versteht er den Realsozialismus nicht nur als Parteiherrschaft, sondern auch als soziales „Experiment“, mit dem sich Hoffnungen und Erwartungen von Millionen verbanden. Er bescheinigt der Idee des Marxismus eine ethische Zielsetzung und den Anspruch einer  zivilisatorischen Neuorientierung. Er spricht von der Faszinationskraft der kommunistischen Ideologie und macht darauf aufmerksam, daß die Menschheitsprobleme bei weitem nicht gelöst sind. Aus dieser Sicht, so schreibt er, sollte nicht verteufelt werden, worauf die Menschheit vielleicht noch einmal zurückkommen muß.

Den Begriff „Unrechtsstaat“ hält er für juristisch unbestimmt und für politisch ungenau. Er fälle „ein undifferenziertes, politisch mißbrauchbares Unwerturteil über die DDR“. Weiter heißt es: „Jawohl, es gab in der DDR massive Menschenrechts­verletzungen; sie verkörperte aber keine in jeder Hinsicht menschenfeindliche Ordnung, in der ein geregeltes und innerhalb der geltenden Gesetze selbstbestimmtes Leben nicht möglich gewesen wäre. Für die allermeisten war die DDR gerade nicht der Inbegriff des moralisch Verwerflichen.“ Hier gelangt der Professor sogar zu realistischeren Einsichten als die Thüringer Linkspartei.

Fritze hält es für sinnvoller, statt der ungerechtfertigten Gleichsetzung der DDR mit dem Nationalsozialismus die DDR mit der BRD zu vergleichen, und schreibt: „Mit dem Realsozialismus ist 1989 ein alternativer Gesellschaftsentwurf untergegangen. Ganz gleichgültig, wie man zu diesem stehen mag: In dieser Gesellschaftspraxis und in ihrem Scheitern sind Erfahrungen akkumuliert, aus denen man, so ist jedenfalls zu vermuten, lernen kann. Wäre es nicht sinnvoll, die wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Praxis – statt unter dem wissenschaftsfremden Gesichtspunkt ihrer Delegitimierung – mit dem Ziel zu betreiben, diesen Erfahrungsschatz für das bessere Verständnis der Gegenwart zu heben und, wo möglich, für die Beherrschung anstehender Herausforderungen, aber auch für die Vermeidung von Irrwegen nutzbar zu machen?“ Praktisch stellen diese Aussagen ein Abrücken von der bisher verkündeten „Totalitarismusdoktrin“ dar.

Lothar Fritze:

Delegitimierung und Totalkritik
Kritische Anmerkungen zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit

Berliner Wissenschafts-Verlag
Berlin 2016, 112 Seiten