RotFuchs 194 – März 2014

„Ethische Grundsätze“ eines Stromgiganten

Dr. Wolfgang Schacht

Vor geraumer Zeit erhielten die Tarifkunden des Stromriesen E.ON die neuen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Darin heißt es: „E.ON wird den im Vertrag genannten Verbraucher weiter mit Strom beliefern, wenn der Netzbetreiber (auch E.ON! – W. Sch.) die Belieferung nach Standardlastprofilen zuläßt, der Kunde einen Niederspannungs-Eintarifzähler nutzt und die Jahresabnahmemenge 100 MW (!) nicht übersteigt.

Die aktuellen Preise bleiben selbstverständlich unverändert. Außerdem gelten die vereinbarten Regelungen zur Laufzeit und Kündigung unverändert weiter.

Im Fall von Preisanpassungen (!) bedarf jede Kündigung nach wie vor der Textform.

E.ON hat die Regelungen zu Preisänderungen sowie zum Datenschutz den weiterentwickelten rechtlichen Anforderungen angepaßt. Die Regelungen von E.ON zur Preisgarantie bleiben für die Tarif-Kunden unverändert, und der Anpassungsmechanismus (!) ist zukünftig in Ziffer 6 unserer AGB zu finden.“

Die Änderungen der AGB von E.ON werden nicht ohne unser Einverständnis wirksam. Wir müssen nur dieses Schreiben samt den neuen AGB einfach als Teil des Vertrages zu unseren Unterlagen nehmen und weiterhin Strom bei E.ON beziehen.

Damit haben Hunderttausende Tarifkunden sicher verstanden, daß uns E.ON trotz wachsender Umsätze und Profite in Höhe von mehreren Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr, der Fusion seiner regionalen Vertriebsgesellschaften bei gleichzeitiger – natürlich sozialverträglicher (!) – Entlassung von mehr als 6000 Mitarbeitern in Deutschland und 11 000 weltweit auch nach Änderung ihrer AGB weiter mit Strom versorgen wird, wobei die Preise weiter kräftig steigen dürften. Damit ist jedem klar, wie hart der von Frau Merkel geforderte „Atomausstieg“ die Weltenergiekonzerne E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW getroffen hat. Sie hat es „Gott sei Dank“ erreicht, daß wir bald den „grünen Strom“ für 40 bis 50 Cent/kWh kaufen dürfen. Wie klug und richtungweisend diese Entscheidung für die Rettung der Welt ist, erkennen wir schon daran, daß wir mit dem Strom aus Kernkraftwerken für ca. 20 Cent/kWh „unsere Volkswirtschaft“ in den sicheren Ruin getrieben hätten. Die Franzosen werden es noch bitter bereuen, daß sie 72 % ihrer Elektroenergie in Kernkraftwerken erzeugen.

Da fällt kaum noch auf, daß aus den neuen „Allgemeinen Stromlieferbedingungen“ (wie die AGB hier heißen) unter Punkt 3 „Zustandekommen des Vertrages, Lieferbeginn“ plötzlich zu erfahren ist, daß der Kunde durch Übermittlung des ausgefüllten Auftrags E.ON ein Angebot auf Abschluß des Vertrages unterbreitet. Was für ein Angebot? Zu welchen Konditionen? Wer bestimmt hier über wen? Sollen jetzt die Tarifkunden – wie schon bei deutschen Banken praktiziert – nicht nur E.ON im voraus ihr Geld geben, sondern auch noch kostenlos den Service übernehmen?

Am Ende dieser Mitteilung steht dann noch: „E.ON behält sich vor, den Vertrag mit dem Kunden abzulehnen.“ An dieser Stelle kann man nur hoffen, daß jeder Tarifkunde die rechtlichen Konsequenzen der völlig neuen AGB verstehen möge! In der alten AGB-Fassung stand noch der Satz: „E.ON … ist verpflichtet, den Strombedarf des Kunden gemäß diesem Vertrag zu befriedigen und für die Vertragsdauer im vertraglich vorgesehenen Umfang nach Maßgabe dieses Vertrages jederzeit Strom zur Verfügung zu stellen.“

Bildlich gesprochen liegt jetzt der demütige Kunde vor dem Palast von E.ON und bettelt um das Allgemeingut „Energie“, das von skrupellosen Managern zu Horrorpreisen vermarktet wird. Den Begriff „Daseinsvorsorge“, d. h. die kostengünstige Bereitstellung von Energie für ein würdiges Leben der Bürger, können wir getrost aus unserem Wortschatz streichen.

Punkt 7 – „Preisanpassung, Sonderkündigungsrecht“ – der neuen AGB bestätigt die oben getroffenen Aussagen. „Wer die Netze besitzt, besitzt auch die Energieversorgung!“ Das ist eine Binsenwahrheit. Deshalb sagte ein E.ON-Vorstandsmitglied auch: „Mit den Netzen verdienen wir inzwischen so viel, daß wir auf den Gas- und Stromverkauf verzichten können.“

Den Tarifkunden von E.ON wird im Falle von Preiserhöhungen „großzügig“ das Recht zur monatlichen Kündigung eingeräumt, wohl wissend, daß sie beim Wechsel des Anbieters „vom Regen in die Traufe“ kommen.

Was hat all das noch mit Moral zu tun? Daran ändern auch die von E.ON veröffentlichten „Ethischen Grundsätze“ für Mitarbeiter nichts.

Unser Autor war 50 Jahre in der Energiewirtschaft tätig.