RotFuchs 191 – Dezember 2013

Griechenlands „Goldene Morgendämmerung“ ist tiefbraun

Faschisierung im Würgegriff der EU

Dr. Ulrich Sommerfeld

In der BRD-Öffentlichkeit ist die „griechische Krise“ bewußt in den Hintergrund gedrängt worden. Insbesondere war man bestrebt, sie vor den Bundestagswahlen möglichst total auszublenden. Die Medien im Dienste des Kapitals behaupteten sogar, es gehe den Griechen inzwischen besser. Während des Wahlkampfes gaukelte man dem bundesdeutschen „Steuerzahler-Michel“ vor, der harte, skrupellose Kurs von Merkel und Schäuble zur „Verteidigung des Euro“ sei von Erfolg gekrönt. Nur die „Süddeutsche Zeitung“ tanzte aus der Reihe und vermeldete, nach der Sommerpause würden abermals zehn Milliarden Euro benötigt, um eine drohende Finanzierungslücke zu schließen. Das Dementi folgte auf dem Fuße: Athen brauche in absehbarer Zeit keine zusätzliche Finanzspritze, behaupteten Berlin und Brüssel unisono. Die wirtschaftliche Entwicklung in Hellas habe sich stabilisiert. Auch EU-Währungskommissar Olli Rehn ließ verkünden: „In den nächsten zwölf Monaten gibt es keine Finanzierungslücke.“

Dann aber erfolgte eine neue Kehrtwende. „Es wird in Griechenland noch einmal ein Programm geben müssen“, erklärte Schäuble knapp fünf Wochen vor dem Wahltag auf einer CDU-Kundgebung. 2014 werde Athen neue Finanzhilfen seiner internationalen „Partner“ – sprich Würger – benötigen.

Wie liegen die Dinge tatsächlich? Seit 2008 kommt Hellas aus dem Abwärtstrend nicht mehr heraus. Das hängt vor allem mit der Einführung des Euro als Einheitswährung für 17 EU-Staaten bei völlig ungleichen Wirtschaftsstrukturen zusammen. All das vollzieht sich vor dem Hintergrund der durch die USA exportierten Weltfinanzkrise. Beide Faktoren unterminieren die Wettbewerbsfähigkeit des ökonomisch schwachen kapitalistischen Agrar-Industrielandes in Südeuropa. Es wurde durch Brüssel und das internationale Kapital regelrecht totkonkurriert. Die Athener Finanzoligarchie trug dazu das Ihre bei, zumal es Schutzmechanismen wie eine nationale Währung und die Regulierung des Waren- und Kapitalverkehrs nicht mehr gab. Die Folge war eine unendliche Staats- und Auslandsverschuldung. Doch selbst sie vermochte den drohenden Bankrott Athens nicht mehr abzuwenden.

Das Eingreifen der berüchtigten Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU-Kommission mit angeblichen Hilfspaketen in Form von Krediten, Bürgschaften und Auflagen beschleunigte nur noch den wirtschaftlichen Niedergang. 2011 sackte die griechische Wirtschaftsleistung um 7,2 % und 2012 um 6,4 % ab. Erst 2014 – so glauben EU-Optimisten – könne ein wirtschaftlicher „Aufschwung“ einsetzen, der vermutlich bei 0,6 % läge.

Griechenlands Staatsverschuldung, die 2003 „nur“ 168 Mrd. Euro betrug, wuchs im ersten Krisenjahr 2008 auf 262,3 Mrd. an und lag 2011 schon bei 355,8 Mrd. Euro. Nach dem „großzügigen“ Schuldenschnitt verringerte sie sich 2012 auf 307,2 Milliarden, um 2013 wieder auf geschätzte 329,3 Mrd. Euro anzuwachsen.

Das brutale Eingreifen der „Geberländer“ hatte erschreckende Auswirkungen auf die Beschäftigungslage. Im Mai 2013 betrug der Arbeitslosenanteil – nach offiziellen Angaben – 27,6 %. Bei jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren liegt er heute über 65 %. Wie aus einer Studie hervorgeht, haben seit 2010 mehr als 120 000 Ärzte, Informatiker und Ingenieure das Land verlassen – zehn Prozent seines Potentials an jungen Wissenschaftlern sind emigriert. Mit der inzwischen angelaufenen Entlassung von 15 000 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes dürfte die Arbeitslosigkeit bis zum Jahresende weiter steigen. Das wirkt sich auch auf Griechenlands Sozialsysteme aus: Nur noch 40 % der Hellenen haben Zugang zum öffentlichen Gesundheitswesen. Da viele Unternehmen ihre Pflichtbeiträge zum Rentensystem nicht mehr abführen (können), droht dessen Zusammenbruch.

In Hellas beginnt der Hunger um sich zu greifen. Heute verfügen die Griechen über fast 40 % weniger Einkommen als vor fünf Jahren. Lange Menschenschlangen vor den Suppenküchen gehören inzwischen zum alltäglichen Bild. Vor allem Kinder sind vom Nahrungsmangel betroffen. Etliche Lehrer kaufen von ihren knappen Bezügen sogar Nahrungsmittel und Schulmaterial für die Ärmsten ihrer Schüler.

Doch wir haben es keineswegs nur mit wirtschaftlicher Verwerfung zu tun. Die politische Krise der griechischen Gesellschaft ist nicht minder gravierend. Die drastische soziale Polarisierung führt zur Verschärfung der Widersprüche. Gewalttätige Übergriffe auf Linke und andere Antifaschisten sowie brutalster Polizeiterror zum Schutz rechtsradikaler Banden sind Teil der griechischen Realität. Der am 18. September an dem linken Musiker Pavlos Fyssas verübte Mord war das Werk der inzwischen einflußreichen faschistischen Partei „Goldene Morgendämmerung“. Unter den jetzt festgenommenen 32 Aktivisten dieser kriminellen Organisation befinden sich auch zwei Polizisten. Das Athener Parlament sah sich gezwungen, die Immunität der tiefbraunen Abgeordneten aufzuheben. Solche staatlicherseits ergriffenen Maßnahmen sind aber vor allem Augenwischerei: Sie sollen von der Tatsache ablenken, daß die Athener Regierung und deren Polizeiapparat selbst mehrheitlich zum prononciert rechten Lager gehören.

Andererseits fehlt es nicht an ermutigenden Signalen in einer Zeit wachsender Furcht und Verzweiflung. Ein Beispiel: Nach der unter dem Druck privater Medienketten am 11. Juni erfolgten Schließung des griechischen Staatsfernsehens ERT wurde dessen Programm ohne Unterbrechung weiter übertragen. Zeitweilig leisteten dabei der TV-Kanal der KP Griechenlands und andere Stationen solidarische Hilfe. Von Zehntausenden Demonstranten unterstützt, die Tag und Nacht vor dem Gebäude ausharrten, setzten anfangs 700 bis 800 Mitarbeiter der ERT ohne Chefs und Instruktionen ihre Tätigkeit fort. Bis zur brutalen Räumung des Gebäudes durch die Polizei am 7. November trotzten noch etwa zweihundert von ihnen der Willkür der Samaras-Regierung.