RotFuchs 235 – August 2017

Faule Früchte aus dem
neoliberalen Treibhaus

Prof. Dr. Ekkehard Lieberam

„Aufstand der Massen?“ lautet der Titel einer lesenswerten Schrift der marxistischen Publizisten Peter Rath-Sankhakorn und Werner Seppmann aus dem pad-Verlag Berg­kamen, erschienen in dessen Schriftenreihe „Forum Gesellschaft & Politik e. V.“ Wie im gleichnamigen „Kultbuch“ von Ortega y Gasset aus dem Jahre 1929 (dort ohne Fragezeichen) geht es um einen philosophischen und soziologischen Essay zum Protestverhalten der Menschen in Krisenzeiten des Kapitalismus. Gassets Ansatz war allerdings ein elitärer, aristokratischer Ansatz. Er war ungehalten darüber, daß der „Massenmensch“ sich nicht mehr gehorsam zur Obrigkeit verhält. Rath-Sankha­korn und Seppmann behandeln dagegen das Phänomen einer Politisierung der Massen von rechts als Verwesungsprodukt der etablierten Politik, als Folge eines Krisenkapitalismus, der viele Menschen verunsichert, aber auch als Manöver, das den wahren Charakter der Gesellschaft verschleiert.

Im Mittelpunkt der Schrift steht die Analyse der Hintergründe und der Motivations­basis der neu entstandenen rechtspopulistischen Bewegungen und Stimmungen aus sozial Verunsicherten und Wutbürgern, gekennzeichnet nicht zuletzt durch erstaun­liche Erfolge der Sammlungspartei AfD. Die sozialdarwinistische Agendapolitik „war das neoliberale Treibhaus, in dem der Zustand der Verwirrung und Desorientierung in Politik und Gesellschaft befördert wurde“. In der Gesellschaft vorhandene „rechtspo­pulistische Mentalitäten“ wurden „verstärkt und kanalisiert“. Vorausgegangen war eine „Inkubationszeit zur Profilierung rechter Einstellungen“. Berechtigte Kritik werde umgelenkt – in Richtung von Sündenböcken, aber auch von „abstrakten Größen“ wie eines herrschenden „politischen Kartells“.

Die Autoren verweisen auf die „alltagspraktische Überzeugungskraft rechter Scha­blonen“ und schätzen ein, daß es keine „geschlossene rechtsextremistische Theorie“ gibt, hingegen rechte Schablonen, rechtsextremistische Weltanschauungselemente und rechtspopulistische Signalworte: „Die realen Widersprüche kapitalistischer Vergesellschaftung werden in ein ideologisch konformes Erklärungsschema trans­feriert.“ Sie sehen einen Zusammenhang zwischen dieser Überzeugungskraft diffuser Identifikationsmuster und dem konterrevolutionären Charakter unserer Epoche, zu einer Situation, da es an linkem Wissen über gesellschaftliche Zusammenhänge fehle. Nicht übersehen werden dürfe, so die Autoren, daß zivilisatorischer Verfall (wie der rechtsextremistische Terror gegen Flüchtlingsheime) auf diese Bewußtseins­prozesse einwirke. Es erfolge einerseits eine psychische Stabilisierung des Rechts­populismus durch Haß. Aus rechtspopulistischen Einstellungen erwachsen anderer­seits Handlungs- und Aggressionsbedürfnisse.

Wie die Ablehnung jeglicher Vermögens- und Erbschaftssteuern zeige, verfolge die AfD eine neoliberale Politik. Dennoch, so schreiben die Autoren, meinen nicht wenige verunsicherte Menschen, diese Partei würde „ihre Interessen“ vertreten. Sie verwei­sen auf die Umweltfrage und das Thema Leiharbeit, wo die AfD sich konkret als „Interessenvertreter der einfachen Leute“ zu profilieren sucht. Das aber war offen­sichtlich nur der Anfang. Mittlerweile hat der Wahlparteitag der AfD mit der Verab­schiedung zahlreicher sozialer Forderungen (wie der Verlängerung des Arbeitslosen­geldes I) vor Augen geführt, daß der Rechtspopulismus ganz systematisch den Linken in der sozialen Frage das Wasser abgraben will.

Die Autoren verstehen den Rechtspopulismus als „Ausdruck einer konkurrenzge­präg­ten Gesellschaftspraxis“. Er sei keine vorübergehende Episode. Er habe fa­schis­tische Akzente, ohne faschistisch zu sein. Er habe aber das Potential, bei „einer Zuspitzung der gesellschaftlichen Krisentendenzen und nachhaltigen Legi­timationserosionen“ bei der Herausbildung eines neuen Faschismus zur Verfügung zu stehen.

Ein bloß argumentierender Antifaschismus als Gegenstrategie sei wichtig. Die Ver­mittlung von kritischem Wissen sei dabei als ein „voraussetzungsvoller Prozeß“ zu begreifen. Aber all das habe nur eine begrenzte Wirkung. Die Linken stünden in erster Linie vor der Aufgabe, „für eine soziale Bewegung“ zu mobilisieren, „die mehr als nur aufklärend auf die Menschen wirkt“.

Rath-Sankhakorn / Seppmann:  Aufstand der Massen?

Peter Rath-Sankhakorn / Werner Seppmann:

Aufstand der Massen?
Rechtspopulistische Mobilisierung
und linke Gegenstrategien

pad-Verlag, Bergkamen 2017, 72 Seiten

5,00 €

Am Schlehdorn 6, 59192 Bergkamen
E-Mail: ten.xmg@galrev-dap

Karikatur: Klaus Stuttmann