RotFuchs 197 – Juni 2014

Päpstliche Botschaft prangert
Ausbeutung und Unterdrückung an

Franziskus spricht Klartext

Heinz Gliemann

In seiner Botschaft „Evangelii gaudium“ bezieht Papst Franziskus zu brennenden sozialen Problemen Stellung. Sie geht in vieler Hinsicht von den tatsächlichen Zuständen und Verhältnissen aus und wird neueren Erkenntnissen gerecht.

Als „Einige Herausforderungen der Welt von heute“ werden u. a. folgende Themen benannt: „Nein zu einem Geld, das regiert statt zu dienen“, „Nein zur sozialen Ungleichheit, die Gewalt hervorbringt“. Generell wird als Ausgangspunkt „die Ermahnung zu uneigennütziger Solidarität und zu einer Rückkehr von Wirtschaft und Finanzleben zu einer Ethik zugunsten des Menschen“ angesagt.

Doch der Papst bleibt nicht bei Verallgemeinerungen stehen. Er wird konkreter. Um seine Position deutlich zu machen, soll ihm selbst das Wort erteilt werden. Vor allem geht es dabei um fundamentale Aussagen zur Problematik Ausbeutung und Armut.

Eine Maxime zur Einleitung: Für den Umgang mit der Informationsgesellschaft und ihrer Datenfülle von „erschreckender Oberflächlichkeit“ wird erkannt, daß eine Erziehung notwendig ist, „die ein kritisches Denken lehrt und einen Weg der Reifung in den Werten bietet“. In dieser Herangehensweise an die Problembearbeitung werden gewisse Ähnlichkeiten zu linken Positionen sichtbar.

Aber wenden wir uns dem Felde zu, das sowohl die Kirche als auch Linke, soweit sie sich noch zu den Marxschen Grundthesen bekennen, besonders interessieren dürfte. Im Abschnitt „Wirtschaft und Verteilung der Einkünfte“ der päpstlichen Schrift wird der Kern der Problematik ins Auge gefaßt.

„Die Notwendigkeit, die strukturellen Ursachen der Armut zu beheben, kann nicht warten … Solange die Probleme der Armen nicht von der Wurzel her gelöst werden, indem man auf die absolute Autonomie der Märkte und die Finanzspekulation verzichtet und die strukturellen Ursachen der Ungleichverteilung der Einkünfte in Angriff nimmt, werden sich die Probleme der Welt nicht lösen und kann letztlich überhaupt kein Problem gelöst werden. Die Ungleichverteilung der Einkünfte ist die Wurzel der sozialen Übel.“

Dieser Absatz ist in vielerlei Hinsicht von besonderer Bedeutung: Die Prägnanz der Forderung bezeugt offensichtlich den Willen des Papstes, dieses Thema zu einer erstrangigen Aufgabe der ökonomischen Politik des Vatikans zu machen. Vom Inhalt her kommen die Aussagen ihrem Wesen nach dem nahe, was Marxisten mit dem System „Akkumulation – Mehrwert – Ausbeutung“ formulieren. Ein beachtlicher Grad an Übereinstimmung ist da nicht zu übersehen.

Die Thematik wird im Schreiben des Papstes auch noch variiert behandelt: „Erinnern wir uns auch, mit welcher Überzeugung der Apostel Jakobus das Bild des Schreies der Unterdrückten aufnahm: Der Lohn der Arbeiter, die eure Felder abgemäht haben, der Lohn, den ihr ihnen vorenthalten habt, schreit zum Himmel …“

Es wird deutlich, daß Franziskus in erster Linie den Menschen im Blick hat, den Arbeiter, den Lohnempfänger. Das ist eine erfreuliche Hinwendung zu den wichtigsten Akteuren der Gesellschaft. Und wiederum läßt den Papst das Thema nicht los. Mit Hartnäckigkeit verfolgt er sein erstes Anliegen: Solidarität ist der Schritt zur Gemeinsamkeit. Franziskus schreibt:

„… die Solidarität ist eine spontane Reaktion dessen, der die soziale Funktion des Eigentums und die universale Bestimmung der Güter als Wirklichkeiten erkennt, die älter sind als der Privatbesitz. Der private Besitz von Gütern rechtfertigt sich dadurch, daß man sie so hütet und mehrt, daß sie dem Gemeinwohl besser dienen: Deshalb muß die Solidarität als die Entscheidung gelebt werden, dem Armen das zurückzugeben, was ihm zusteht. Wenn diese Einsichten und eine solidarische Gewohnheit uns in Fleisch und Blut übergehen, öffnen sie den Weg für weitere strukturelle Umwandlungen und machen sie möglich. Eine Änderung der Strukturen, die hingegen keine neuen Einsichten und Verhaltensweisen hervorbringt, wird dazu führen, daß eben diese Strukturen früher oder später korrupt, drückend und unwirksam werden.“

Soweit die Problematik „Armut – gerechte Löhne“. Das wiederholte Aufgreifen dieser Forderung zeigt, daß ihr der Papst eine sehr hohe Wertung beimißt. Neben dem intensiv bearbeiteten Komplex des gerechten Lohnes für die arbeitenden Menschen werden im Schreiben auch andere soziale Themen aufgegriffen. Als Beispiel sei hier nur die internationale Bedeutung erlangende Frage nach der Umverteilung der Ressourcen der Erde genannt. Die päpstlichen Überlegungen hierzu beginnen mit dem Erinnern daran, daß „der Planet der ganzen Menschheit gehört und für die ganze Menschheit da ist“. Franziskus schlußfolgert: „Die am meisten Begünstigten müssen auf einige ihrer Rechte verzichten, um mit größerer Freigebigkeit ihre Güter in den Dienst der anderen zu stellen.“

Resümee: Das Schreiben des Papstes erfaßt die Lage der meisten Völker der Welt. Es bedeutet eine moralische Stärkung jener Kräfte, die das Wohl der arbeitenden Menschen als ihr oberstes Prinzip betrachten. Um Wirkungen in die Gesellschaft hinein zu erreichen, bedarf es einer intensiven Debatte über die Realisierbarkeit der päpstlichen Anregungen. Es wird Sache der katholischen Kirche sein, die Überlegungen ihres Oberhauptes den eigenen Gläubigen nahezubringen. Andererseits gibt es weltweit linke Kräfte, denen die soziale Problematik seit eh und je durch Marx vertraut ist. Nicht alle vertreten dessen Gedankengut heute mit der notwendigen Konsequenz. Doch es gibt immerhin ein beachtliches Potential, das auf der Basis der materialistischen Geschichtsauffassung revolutionäre Erfahrungen und Standfestigkeit einbringt. Seine Kraft und seinen Einfluß weiter zu stärken, ist unsere vorrangige Pflicht.

Gemeinsamkeiten mit anderen Auffassungen zu sozialen Fragen eröffnen neue Möglichkeiten des Dialogs und künftigen Wirkens für gleiche oder ähnliche Ziele.