RotFuchs 223 – August 2016

Gemeinsam den Frieden erkämpfen!

Arnold Schölzel

Fast 71 Jahre dauerte es, bis ein US-Präsident nach Hiroshima, aber nicht nach Nagasaki kam. Barack Obama hatte ankündigen lassen, er werde sich nicht für die Kriegsverbrechen seines Amtsvorgängers Harry S. Truman entschuldigen. Dafür erklärte er: „Die wissenschaftliche Revolution, die zur Atomspaltung geführt hat, erfordert auch eine moralische Revolution.“

Dem kann jeder vernunftbegabte Mensch nur zustimmen, so ähnlich wird das Problem in Brechts „Galilei“ erörtert. Obama sagte noch weitere Wahrheiten, z. B.: „Vor 71 Jahren fiel der Tod vom Himmel, und die Welt war für immer verändert.“ Damals habe die Menschheit gezeigt, daß sie die Mittel zu ihrer eigenen Zerstörung besitze. Dann schweifte der Präsident ab und sprach über Krieg im allgemeinen. Gewaltsame Konflikte hätte es schon bei den allerersten Menschen gegeben, und der Krieg, der in Hiroshima und Nagasaki zu seinem „brutalen Ende“ gekommen sei, habe seinen Ursprung in demselben „Grund-instinkt für Herrschaft oder Eroberung, der Konflikte zwischen den einfachsten Stämmen verursacht“ habe. Der Krieg – eine Naturgewalt, ein nicht zu bändigender menschlicher Trieb. Das Abwerfen von Atombomben hat demnach dieselbe Ursache wie eine Prügelei zwischen Halbwüchsigen. Aber, so Obama, es gebe Hoffnung, die Menschheit sei nicht an ihre genetische Ausstattung gebunden, sondern lernfähig.

So weit, so oberflächlich, so verlogen. Derselbe Obama hatte im April 2009 in Prag vor Zehntausenden Menschen angekündigt: „Wir werden damit anfangen, unser Atomwaffenarsenal zu reduzieren.“ Das Ziel sei eine atomwaffenfreie Welt, auch wenn sie nicht zu seinen Lebzeiten erreicht werde. Im Dezember 2009 nahm er dafür den Friedensnobelpreis entgegen, dann war von atomarer Abrüstung nichts mehr zu hören. Kurz vor dem Besuch des Präsidenten in Hiroshima am 27. Mai resümierte der dänische, in den USA lehrende Friedensforscher Hans Kristensen, die Obama-Administration habe die US-Vorräte an atomaren Sprengköpfen „weniger als jede andere Administration nach dem kalten Krieg“ reduziert. 2015 sei die geringste Ziffer an Sprengköpfen abgebaut worden, seitdem Obama das Präsidentenamt übernommen habe.

Kristensen und andere Fachleute weisen schon seit einigen Jahren darauf hin, daß Obama vor allem aber ein Programm zur Entwicklung neuer nuklearer Waffensysteme aufgelegt habe. Es geht den USA nicht, wie oft behauptet, um eine Verlängerung der Lebensdauer veralteter Atombomben, sondern um neue, die sowohl strategisch wie taktisch eingesetzt werden können. Das betrifft etwa eine Bombe mit der Bezeichnung B61-12, die 2019 in Europa eingeführt werden soll, auch in der Bundesrepublik. Sie könne, so Kristensen im Jahr 2013 gegenüber „Spiegel online“, „Ziele bedrohen, die die bisherigen Atomwaffen in Europa nicht bedrohen konnten“. Im Herbst 2013 legte die „Union besorgter Wissenschaftler“ (Union of Concerned Scientists) der USA einen Report vor, in dem sie davor warnte, mit dem Programm für eine angebliche Modernisierung gültige Rüstungskontrollverträge mit Rußland zu unterlaufen.

Von Repräsentanten imperialistischer Länder ist nichts anderes zu erwarten als imperialistische Politik. Gegenüber der eigenen Bevölkerung und der anderer Länder bedeutet das, mit Hilfe der Medien tagtäglich eine gigantische Leistung an Lüge, Verstellung, Betrug zu vollbringen, einschließlich hochmoralischer Anwandlungen wie in Hiro-shima und einschließlich Tränen, wenn bei passender Gelegenheit eine Fernsehkamera in der Nähe ist. Das alles ist nicht neu, es wird mit den neusten technischen Möglichkeiten aber zu einer totalitären Gehirnwäsche. Wenn Obama seine Amtszeit beendet, geht mit ihm ein Präsident, der dies in bisher einmaliger Weise praktiziert hat. Er wurde der erste US-Präsident mit Hilfe der Smartphones. Wenn er geht, hinterläßt er eine besonders breite Lücke zwischen schönem Bild, sanfter Rede und tatsächlichem Tun: atomare Aufrüstung, Aufmarsch gegen China und Rußland, Wiedereinführung der NATO-Abschreckungsdoktrin, antisozialistisches Rollback in Lateinamerika.

Allerdings bleibt die Frage, die Obama aufwarf: Ist das Undenkbare denkbar? Können sich Hiroshima und Nagasaki wiederholen? Die Antwort kann nur lauten, daß dies nicht davon abhängt, ob „der“ Mensch, sondern ob der Imperialismus lernfähig ist. Er ist es nicht. Das demonstriert gerade Obamas Präsidentschaft. Das zu sagen, heißt nicht, Resignation zu verbreiten. Es heißt: Der Imperialismus muß gezwungen werden. Der Schriftsteller Christian Geissler erkannte das schon vor 50 Jahren: „Und so kommt es, daß, wer den Krieg bekämpfen will, dieses Wirtschaftssystem bekämpfen muß.“