RotFuchs 231 – April 2017

Große Freude!

Edda Winkel

Die sogenannte Wende war für mich als DDR-Bürgerin weder eine friedliche Revolution noch eine positive Neuerung. Sie war ein Reinfall, ein Rückfall in alte Verhältnisse. Viele Menschen stürzten in ein bodenloses Loch. Niemand weiß, wie viele sich nicht mehr daraus befreien konnten.

Bis heute hält die Hetzjagd gegen alles, was nach DDR riecht, in einem Ausmaß an, als würde der sozialistische deutsche Staat immer noch existieren.

1985 war ich nach Marzahn gegangen, um im späteren Stadtbezirk Hellersdorf eine neue Schule aufzubauen. Wenige Lehrer mit Berufserfahrung und viele junge Absolventen standen mir zur Seite. Bei der Eröffnung hatten wir etwa dreißig Schüler, verteilt auf zehn Klassen. Mit jedem anrückenden Möbelwagen wuchs die Zahl der Kinder, bald war die Schule bis zum Rand ausgelastet. Wir hatten Erfolg, kämpften um den Namen des Cottbuser Malers Carl Blechen, wurden Kollektiv der sozialistischen Arbeit. Das Ministerium für Volksbildung dankte mir mit einer Reise nach Zypern.

Und dann der Bruch! Mit weichen Knien trat ich nach dem „Mauerfall“ vor meine Lehrer: „Wollt Ihr mit mir weiterarbeiten, oder soll ich gehen?“ „Bitte bleib, ich kann und will mir keine andere Direktorin für uns vorstellen!“, sagte ausgerechnet Angela, deren Ehemann ihr geraten hatte: „Jetzt mußt Du zugreifen, übernimm die Leitung, solch günstige Gelegenheit kommt nicht wieder!“ So mancher, aus welcher Himmelsrichtung auch immer, nutzte die Gelegenheit zum Karrieresprung.

Wir aber, mein Mann Peter, der auch eine Hellersdorfer Schule leitete, und ich ließen Eltern und Lehrer entscheiden und blieben im Amt in einer Zeit, in der sich viele Kollegien von ihren Direktoren trennten.

Ein Jahr später fanden in Berlin Wahlen statt. Eine der ersten Handlungen des neuen CDU-geführten Senats war es, alle Direktoren aus DDR-Zeiten ohne Einzelfallprüfung aus der Funktion zu entlassen.

Der breit behäbige Stadtrat für Bildung und Kultur, in der DDR staatstreues LDPD-Mitglied – mitsamt seiner Partei flugs gewendet und zur FDP gewechselt –, bestellte uns ein und meinte bei dem Rausschmiß, wir könnten uns für das Amt neu bewerben. Er machte aber auch klar, selbst bei Zustimmung aller Wahlberechtigten der Schule würde sich der Senat ein Vetorecht vorbehalten. Was für eine Scheindemokratie! Damit war der Fall für meinen Mann und mich erledigt. Im Gegensatz zum Freistaat Sachsen, der schon ein Jahr zuvor alle Direktoren aus dem Schuldienst entlassen hatte, gestattete man uns, als Lehrkraft weiterzuarbeiten, nicht ohne demütigende Prüfung durch einen Westberliner Schulinspektor. Meine Schüler waren verwundert, reagierten empört.

Ich wurde dann aber doch für „würdig“ befunden, als Lehrer arbeiten zu dürfen, selbstverständlich mit eingeschränktem Gehalt. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Und wieder gab es Wahlen in Berlin. Peter kandidierte für die PDS, die in Hellersdorf stärkste Kraft wurde. Sie stellte den Bezirksbürgermeister und mehrere Stadtbezirksräte. Ironie des Schicksals oder Treppenwitz der Geschichte: Unser breit behäbiger FDP-Rausschmeißer mußte seinen Stuhl für meinen Peter, den neuen PDS-Stadtrat für Bildung und Kultur, räumen. Große Freude!

Tage-, wochenlang ging ich innerlich lächelnd durch die Straßen. Daran konnte auch der Versuch des Senats, meinen Mann mit der „Stasi“-Keule wieder aus dem Amt zu entfernen, nichts ändern. Die Sache ging vor Gericht, erfolgreich für uns.

Neuerlicher Triumph! Dieser trug Früchte, nicht wenige Leute holten sich Rat bei uns, faßten Mut und begannen sich zu wehren.