RotFuchs 234 – Juli 2017

Zum 80. Jahrestag eines Infernos

Guernica und kein Ende

Dr. Hartmut König

Man schreibt den 26. April 1937. Was die Besatzung eines Bombers der hitlerdeut­schen Legion Condor als Truppenbewegung meldet, ist nur eine Schar Zivilisten auf ihrem Weg zum Markt der baskischen Kleinstadt Guernica. Wolfram von Richthofen, Stabschef der Legion, erteilt ohne weitere Prüfung im Einvernehmen mit dem Stab des Franco-Generals Emilio Mola seinen Fliegern den Befehl zum Angriff. Guernica steht noch unter Kontrolle der gewählten Volksfrontregierung. Von Richthofen will mit dem ersten Flächenbombardement in der Militärgeschichte die Achtung des Faschistenduos Hitler / Franco erringen. Es soll einerseits den spanischen Putschis­ten den Vormarsch ins Baskenland „ebnen“ und andererseits der nazideutschen Luftwaffe Gelegenheit geben, vor größeren Gemetzeln Fluggeräte und Taktiken im „Feldversuch“ zu testen. Göring wird im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß die günstige Gelegenheit einräumen, alles „im scharfen Schuß“ erprobt zu haben.

Vor Pablo Picassos „Guernica“

Vor Pablo Picassos „Guernica“

Flugzeuge der Legion Condor, unterstützt von Maschinen eines italienischen „Freiwil­ligenkorps“, greifen das geistige und kulturelle Zentrum des Baskenlandes in mehre­ren Wellen an. Zweieinhalb Stunden lang. Alles ist diabolisch durchdacht. Mit Bomben und Granaten treiben ihre Besatzungen die panische Bevölkerung in die Flucht, mit Maschinengewehrfeuer erschießen sie die Flüchtenden oder drängen sie in Unterschlupfe, die dann mit Brandbomben belegt werden. Dem kalkulierten Feuerinferno ging die Zerstörung der Wasserleitungen voraus. „Bombenlöcher auf den Straßen noch zu sehen, einfach toll“, schreibt von Richthofen in sein Tagebuch. Hunderte Menschen kommen zu Tode, die genaue Zahl ist wegen der vielen Flücht­linge in der Stadt nicht zu ermitteln. Die Fliegerbomben haben 99 Prozent der Häuser in Mitleidenschaft gezogen, über zwei Drittel davon völlig zerstört. Der gesamte alte Ortskern ist vernichtet. Spätestens mit der Erschießung von fliehenden Frauen und Kindern im Tiefflug ist die Mär von Truppenbewegungen widerlegt und der Vorwurf eines unsäglichen Kriegsverbrechens evident. Deshalb bezichtigt Franco die Vertei­diger der Volksfrontregierung, Urheber des Infernos zu sein, und auch im Deutschen Reich leugnet man das Verbrechen, solange es geht. Als der deutsche Botschafter in Großbritannien, Ribbentrop, unvorsichtigerweise eine neutrale Inspektion vor Ort vorschlägt, beeilen sich deutsche Spezialisten, in der nun von den Franco-Truppen eingenommenen Ruinenstadt die Bombenreste und Blindgänger einzusammeln. Guernicas Schleifung bewegt die Welt.

Was in Guernica geschieht, ist kein lokales Ereignis. Unter Spaniens Himmel findet nichts Geringeres statt als ein Krieg antagonistischer Gesellschaftsentwürfe. Er scheidet das Lager der Demokratie und der Volksbefreiung von der Phalanx der am meisten reaktionären und chauvinistischen Kreise, die ihre Klassenherrschaft nicht mehr mit den Methoden bürgerlicher Demokratie aufrechterhalten konnten und deshalb zur faschistischen Diktatur übergegangen sind. Die „gemäßigten“ kapitalis­tischen Staaten verstehen diese Polarisierung in größter Sorge und schlagen sich nicht auf die Seite der revolutionären spanischen Demokratie. Was war geschehen?

Am 16. Februar 1936 ging die von Linksparteien gebildete Volksfront siegreich aus den Wahlen zur Cortes hervor. Sie errang 268 der 473 Mandate. Forderungen nach Säuberung des Heeres von reaktionären Kräften wurden laut. Eine Generalsclique unter Franco inszenierte Mitte Juli eine Militärrevolte in Spanisch-Marokko, die auf Spanien übergriff. Am 30. Juli 1936 ernannte sich Franco in Burgos zum Chef einer Gegenregierung. Ziel war es, die Herrschaft der großbürgerlich-feudalen und klerika­len Reaktion wiederherzustellen und die von der Volksfront eingeleiteten demokra­tischen Veränderungen rückgängig zu machen. Diese beinhalteten vor allem eine Bodenreform, die feudale und faschistische Elemente enteignete und den konfis­zierten Boden an Bauern und Landarbeiter zur Nutzung übergab; die Gründung von Betriebsräten in den unter staatliche Treuhänderschaft gestellten Industriebetrieben; eine fortschrittliche Sozialgesetzgebung und die Gleichberechtigung der Frauen. Die Konterattacken der Putschisten wurden zunächst im größten Teil des Landes zurückgeschlagen. Aber dann griff Hitler militärisch ein. Im Rahmen der „Operation Feuerzauber“, deren Umfang alle Hoffnungen der Falangisten übertraf, wurde die Legion Condor zur Luftunterstützung entsandt. Dabei war es Deutschland von den alliierten Siegermächten nach dem ersten Weltkrieg untersagt worden, eine eigene Luftwaffe zu unterhalten. Die Intervention der deutschen und italienischen Faschis­ten, der auch Guernica zum Opfer fiel, sollte das Blatt wenden.

Aber auch die Antipoden in der Welt – Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten, bür­gerliche Demokraten, unter ihnen bedeutende Publizisten und Künstler – hatten verstanden, was von der Verteidigung der spanischen Republik abhing. Viele von ihnen zogen in den Kampf. Bereits Mitte Oktober 1936, als Hitlers Olympia-Insze­nierung noch blendete, hatten sich die Internationalen Brigaden gebildet, in deren Reihen Antifaschisten aus 53 Ländern, darunter etwa 5000 Deutsche, Spaniens Freiheit schützen wollten. Frankreich und Großbritannien, aber auch die USA, fürch­teten die von der spanischen Volksfront ausgehenden Signale und begünstigten durch ihre „Nichteinmischungspolitik“ die faschistische Intervention. Als einzige Großmacht unterstützte die Sowjetunion die legitime spanische Regierung mit Waffen, Lebensmitteln, Medikamenten sowie durch die Entsendung von Militär­beratern.

Welche dramatischen Wege der fast drei Jahre währende Krieg nahm, lesen wir in unseren alten Geschichtsbüchern oder hören es in Ernst Buschs Liedern. Wenn ich heute die Klampfe auspacke, dann singen sich die spanischen Landschaften noch immer wie ein ewiges Einverständnis mit „unseren“ in den Gräben: vor Madrid, bei Guadalajara, im Jaramatal, am Ebro. Aber die faschistische Achse obsiegte. England und Frankreich erkannten das Franco-Regime im Januar 1939 an. Sie hatten die antifaschistische Karte nicht gezogen und ahnten nicht, wie schnell sie das erstarkte Barbarentum der Hitlerei am eigenen Leibe spüren würden. Franco aber errichtete eine Diktatur, der bis zu seinem Tode Zehntausende politische Gegner zum Opfer fielen. Der mit seinem Putsch ausgelöste Krieg hat auf iberischer Erde eine halbe Million Tote gefordert. Der zweite Weltkrieg hingegen, dessen Verursachern Spanien als Testfeld diente, hat 35 Millionen Menschen der überfallenen bzw. in der Anti-Hitler-Koalition kämpfenden Nationen sowie sechs Millionen Deutsche das Leben gekostet. Elf Millionen Entrechtete wurden in den Konzentrationslagern ermordet. Die Überlebenden beschworen die Errichtung einer friedlichen Welt, fanden sich aber schnell zurückgeworfen in einen kalten Krieg, dessen Adjektiv seine Grausamkeiten beschönigte. Denn der mit Churchills berüchtigter Fulton-Rede eingeleitete Feldzug kam nicht ohne neue Verbrechen aus. Wo sich fortan Völker, wie einst das spanische, im Kampf um ihre nationale und soziale Befreiung staatliche Bastionen schufen, da waren sie geharnischten politischen, wirtschaftlichen und militärischen Counter-Attacken ausgesetzt. Das Kalkül, das Guernica vernichtete, brauchte keine faschis­tischen Erben. Diversifiziert in seinen Mitteln, ging es auf die Siegelbewahrer des Monopolkapitals und der verbündeten einheimischen Oligarchien über. Mit ihren „regime-change policies“ inszenierten sie das Zurückdrehen progressiver Entwick­lungen in aller Welt.

Man kann dem vom Anti-Hitler-Koalitionär zum Weltgendarm umgerüsteten Uncle Sam den Vorwurf nicht ersparen, immer wieder geistiger Urheber und Regisseur derartiger Rollback-Attacken gewesen zu sein. Offen oder verdeckt agierten die USA an den Schauplätzen so gut wie aller konterrevolutionären oder antidemokratischen Hotspots, destabilisierten legitime Regierungen, warfen Napalm und gen-deformie­rende Entlaubungsmittel, sponserten oder organisierten Putsche, erteilten Mord­aufträge, rekrutierten und finanzierten Contra-Banden. Allein Tim Weiners Bestseller „CIA. Die ganze Geschichte“ gibt einen fast tausendseitigen Bericht über sechs Jahrzehnte US-amerikanischer Verstrickung in derartige Manipulationen. Nennen wir, pars pro toto, nur diese: Assistiert von den Briten, lancierten die USA einen Putsch gegen den iranischen Ministerpräsidenten Mossadegh, der die Nationalisierung der Erdölindustrie veranlaßt hatte, und inthronisierten den Schah samt seiner Mord­maschine SAVAK. Schockiert von der kubanischen Revolution, hielten die USA brasilianischen Militärs die Steigbügel, die die linksverdächtige Regierung Goulart aus dem Amt jagten und dem Volk eine zwanzigjährige Diktatur aufzwangen. Sie agierten als politische Komplizen der Pinochet-Junta, welche die frei gewählte Volksfrontregierung unter Präsident Allende stürzte und Chile in ein Schlachthaus verwandelte. In Nikaragua brachten sie gemietete Contras gegen die sandinistische Volksregierung in Stellung, damit sie auf ihren Mordzügen die nationale Entwicklung paralysierten. Den Irak verwüsteten sie für Öl.

Guernica findet kein Ende, solange hegemoniale Interessen das Recht der Völker auf nationale Selbstbestimmung und soziale Befreiung bombardieren. Picasso hat seinem berühmten Bild neben der Trauer eine Mahnung eingegeben, die bis ins Heute reicht: Schaut genau hin, erkennt die Gefahren, fallt den Kriegstreibern in den Arm! Die Völker brauchen dringend eine Renaissance ihrer Wachsamkeit.

Aus „Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei Die Linke“ 4/2017