RotFuchs 197 – Juni 2014

Erlebnisse eines erfahrenen DDR-Diplomaten (Teil 3)

Heinz Birch erzählt

Heinz Birch

Seit der Einreichung unserer Visa-Anträge für eine Reise zur Entdeckung von Marx-Schriften in den Vereinigten Staaten waren bereits mehrere Wochen vergangen. Nachfragen im US-Generalkonsulat verliefen ergebnislos. Angeblich fehlte noch immer eine Entscheidung der Washingtoner Behörden. Für uns wurde die Zeit bis zum gebuchten Abreisetermin aus Berlin langsam knapp. So informierten wir den renommierten US-Gelehrten Prof. Foner über den Stand der Dinge.

Ohne seine Hilfe hätten wir sicher keinen Erfolg gehabt. Er wurde in Washington für uns aktiv, formierte sogar eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern, die im State Department vorsprachen und sich dort für unseren Besuch einsetzten. Unter ihnen befand sich auch der ehemalige Leiter der Geschichtsabteilung des US-Außenministeriums.

Der Kreis prominenter Forscher setzte sich durch. Washington mußte unserer Reise wohl oder übel zustimmen. Die Nachricht hatte uns schon erreicht, als wir vom Westberliner US-Generalkonsulat ein positives Signal erhielten. So machten wir uns auf, die Visa abzuholen. Schon unterwegs kam uns alles recht merkwürdig vor. Die U-Bahnzüge waren fast leer, auf den Bahnhöfen herrschte Öde. Zeitungskioske und kleine Läden hatten ausnahmslos geschlossen.

Beim Generalkonsulat standen wir vor verriegelten Türen. Den Grund dafür kannten wir zunächst nicht. Wer aber vermochte uns Auskunft zu geben? Direkt neben dem Gebäude befand sich der Eingang zum American Headquarter – dem US-Hauptquartier in Westberlin. Die Amis ließen ihr Objekt durch zivile deutsche Posten bewachen. Konnten wir von denen etwas erfahren? Die Antwort, die wir erhielten, verblüffte uns. „Heute ist Himmelfahrt“, erklärte uns der Guard.

Unsere Unkenntnis ergab sich daraus, daß Himmelfahrt in der DDR schon seit langem kein staatlicher Feiertag mehr war. So hatten wir vor dem Fahrtantritt auch keinen Gedanken darauf verschwendet. Unser Pech! Unverrichteter Dinge kehrten wir um.

Doch schon der nächste Tag bescherte uns Erfolg. Wir erhielten ein sogenanntes Immigrant Visa für die Dauer von drei Wochen zum Studium in Archiven der Lincoln University Pennsylvanias sowie der Universität von Maryland. Es bestand aus einem DIN-A4-Blatt mit Paßbild und öffnete uns die Tür zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Sicher wird der Leser wissen wollen, wie es mit Mr. Meyer, der bereits in der vorangegangenen Folge aufgetaucht war, weiterging. Als wir uns die Visa bei ihm abholten, hatten wir noch ein kurzes Gespräch. Er würde sich freuen, wenn wir uns nach der Reise nochmals sehen könnten, ließ er mich wissen. Immerhin sei er gespannt zu erfahren, wie mir der Aufenthalt in seinem Land gefallen habe. Mr. Meyer zeigte sich enttäuscht, als ich seine Hoffnungen zerstören mußte. Ich gab ihm zu verstehen, daß er uns nicht in seine Netze ziehen könne, denn schon im ersten Gespräch mit ihm war mir klargeworden, daß sein tatsächlicher Brotherr nur die CIA sein konnte.

Die Jahre gingen ins Land, und fast schon hätte ich die Begegnungen mit Mr. Meyer vergessen. In der Londoner DDR-Botschaft, wo ich jetzt tätig war, hatten wir im Rahmen unserer diplomatischen Arbeit nur flüchtige Kontakte zu US-Bürgern. In der Hauptsache galt unsere Aufmerksamkeit den Partnern aus dem dortigen Foreign Office und anderen britischen Persönlichkeiten wie Parlamentariern und Vertretern von Wirtschaft und Kultur. Nie im Leben dachte ich daran, daß mir eben jener Mr. Meyer irgendwo wieder über den Weg laufen würde. Doch ich hatte mich geirrt.

Im Februar 1978 trat ich mein Amt als Botschafter der DDR in Indien an, wo ich viele Leute aus diesem Land und allen Winkeln der Welt neu kennenlernte. An Mr. Meyer dachte ich schon lange nicht mehr, bis er eines Tages plötzlich vor mir stand. Ich traute meinen Augen nicht. Wie war ein solcher „Zufall“ nur möglich?

Am 7. Oktober 1978 gaben wir in den Räumen und im Garten unserer Residenz einen Empfang zum DDR-Staatsfeiertag. Neben vielen hochrangigen indischen Gästen nahmen daran auch die Missionschefs und weitere Diplomaten der in Delhi vertretenen Staaten teil. Beim US-Botschafter hatte ich meinen Antrittsbesuch bereits kurz nach meiner Akkreditierung abgestattet. Alles verlief ganz normal wie im Verhältnis zu anderen Botschaftern auch. Auf Empfängen wichen wir einander nicht aus, sondern hielten die Regeln diplomatischer Höflichkeiten ein, ohne daß wir uns viel zu erzählen hatten.

Als ich mit Lilo und den leitenden Diplomaten der Botschaft die Gäste begrüßte, trat ein Herr auf mich zu, dessen Gesicht mir irgendwie bekannt vorkam. Ich suchte natürlich herauszufinden, wo ich es schon einmal gesehen haben mochte. Bei der Begrüßung nannte der Gast kurz Namen und Titel, dankte im Auftrag des Botschafters der USA für die Einladung und sagte, dieser sei leider durch einen wichtigen Termin verhindert und habe ihn gebeten, am Empfang teilzunehmen. Dabei ließ er eine Bemerkung fallen, daß er Berlin und die DDR ganz gut kenne. Noch stellte ich mich ein wenig ahnungslos und bemerkte nur, daß mir auch sein Land nicht ganz unbekannt sei. Dadurch angeregt, ließ er die Hüllen fallen und sagte, er wisse darüber Bescheid, denn schließlich habe er ja bei meiner ersten Reise in die Vereinigten Staaten „auf der anderen Seite gesessen“. Freundlich und zuvorkommend begrüßte ich ihn und fügte die Bitte hinzu, er möge sich doch unter die Obhut unserer Diplomaten begeben. Bei dem einen oder anderen Empfang lief mir Mr. Meyer über den Weg. Allerdings hatten wir dort immer genügend andere wichtige Gesprächspartner – Inder und Vertreter des diplomatischen Korps, so daß es über ein „Hallo!“ und „How are you?“ kaum hinausging.

Eines Tages traf ich erneut auf Mr. Meyer. Er wollte mich mit der „frohen Botschaft“ überraschen, seine Abreise zum nächsten Einsatzort Israel stehe unmittelbar bevor. Ich dachte mir im stillen, daß er dort sicher Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit dem Mossad sammeln sollte. Das hätte er nach meiner Meinung auch bitter nötig gehabt. Immerhin verfügten die Israelis schon lange über einen sehr geschulten und äußerst effektiven Geheimdienst. Auf die plumpe Manier der CIA wären Erfolge wie das Aufspüren und die Entführung des Judenmörders Adolf Eichmann aus Argentinien wohl kaum denkbar gewesen. Ich wünschte Mr. Meyer eine gute Reise und viel Erfolg.

(wird fortgesetzt)