RotFuchs 195 – April 2014

Warum in den USA immer mehr
Kleinkriminelle eingeknastet werden

Hochkonjunktur der Gefängnisindustrie

Bernd Gutte

In den USA saßen 2012 knapp 2,5 Millionen Gefangene in Haftanstalten ein. Nach UNO-Angaben war das ein Viertel aller Gefangenen der Welt. Kein Staat steckt derzeit mehr seiner Bürger in den Knast, weder in absoluten Zahlen noch im Verhältnis zur Bevölkerung. Diese Angaben suggerieren den Eindruck, daß in den Vereinigten Staaten die meisten Schurken beheimatet sein müßten. Sind die Menschen dort mit denen anderer Staaten nicht vergleichbar?

Die Entwicklung spricht Bände. Zählte man 1974 in USA-Gefängnissen ungefähr eine halbe Million Insassen, so waren es nur zehn Jahre später bereits 1,5 Millionen. Die aktuelle Zahl haben wir bereits genannt.

Zwar stimmt es, daß das kapitalistische System immer mehr Menschen kriminalisiert, doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Der zeitgenössische Kapitalismus ist nämlich an der Potenzierung vermeintlicher Kriminalität interessiert, da die private Gefängnisindustrie ständig Nachschub benötigt. Deshalb besitzt das System die perverse Eigenschaft, die Zahl angeblicher Täter vervielfachen zu können.

Derzeit bedeutendster „Anbieter“ im Lager der Gefängnisindustriellen ist die Corrections Corporation of America (CCA), der die „Frankfurter Rundschau“ bescheinigt, 17 500 Angestellte und 90 000 „Kunden“ zu haben. Der Jahresumsatz des Unternehmens belief sich 2010 auf 1,7 Milliarden Dollar. Ein boomendes Geschäft, das allein von Bestrafung lebt! Je mehr Menschen hinter Gittern sind und je länger sie dort bleiben, desto mehr Kasse macht die CCA. Man nennt sie spöttisch auch das „Hilton der privaten Gefängnisindustrie“.

Im Gegensatz zu dieser Hotelkette hat sich die CCA aber die durchgängige Ausbuchung gesichert. In den Verträgen ist die Bettenkapazität festgeschrieben, die Belegung garantiert. Mit den Verwaltungsbehörden wurde geregelt, daß ständig genügend Gefangene angeliefert werden, sogar dann, wenn die offizielle Kriminalitätsrate sinken sollte.

Parallel zum stetigen Rückgang der Sozialausgaben erhöhten sich die im Be-reich Überwachung, Gefängnisbau und Anstaltspersonal eingesetzten Mittel. Der Zuwachs im Polizei- und Justiz-Etat geht fast immer zu Lasten von Programmen zur Verbrechensvorbeugung und Betreuung von Menschen in sozialer Not.

Die Zahl der Gewaltverbrechen, welche oftmals Menschenopfer zur Folge haben, ist über die Jahrzehnte hinweg nahezu konstant geblieben. Heute sitzt die Hälfte der US-Gefangenen wegen anderer Delikte ein. Doch seit 1990 ist die Zahl der Insassen in privaten Haftanstalten des Komplexes der Gefängnisindustrie um 1600 Prozent gestiegen! Solche „Dienstleister“ träumen von Massenarretierungen und maßlos überzogenen Strafen für nichtgewalttätige Delikte, um im Geschäft zu bleiben.

So fordert das Gesetz, bei Drogenmißbrauch auf jeden Fall Freiheitsstrafen zu verhängen. Dadurch ist die Zahl der aus diesen Gründen Inhaftierten seit dem Beginn des „War on drugs“ um sage und schreibe 1000 Prozent gestiegen!

Die Verlierer in diesem Krieg benennt Angela Davis, die sich seit Jahren dieser Thematik besonders zugewandt hat, folgendermaßen: „Die Überwachung wird auf Schwarze, Einwanderer, Arbeitslose, Schulabgänger ohne Abschluß, Obdachlose und generell all jene konzentriert, welche einen immer kleineren Anspruch auf die sozialen Ressourcen geltend machen können.“

Die Situation in der BRD ist vorerst mit der in den USA, Großbritannien oder Australien nicht zu vergleichen. Doch die ersten privaten Knäste stehen auch hier, wobei neben zivilen Angestellten staatliche Beamte Dienst tun.

Begonnen hat man mit teilprivatisierten Abschiebeknästen. So in Büren, wo die psychologische Betreuung der Häftlinge nicht mehr vom Deutschen Roten Kreuz, sondern von einer privaten Firma durchgeführt wird. Es folgten ebenfalls partiell privatisierte Einrichtungen dieser Art in Neustrelitz (Mecklenburg-Vorpommern), Glasmoor (Schleswig-Holstein) und Wuppertal (Nordrhein-Westfalen).

2005 wurde die erste teilprivatisierte Justizvollzugsanstalt im hessischen Hünfeld in Betrieb genommen. In Unternehmerregie liegen dort Reinigung, Verpflegung, medizinische Betreuung und berufliche Ausbildung von Häftlingen. Die staatlichen Vollzugsbeamten sind nur noch für hoheitliche Aufgaben wie die Bewachung der Insassen zuständig. Im Januar 2013 wurde nach Burg, Offenburg und der JVA Heidering bei Berlin in Bremervörde eine weitere in Teilen private Knastfabrik eingeweiht.

Doch unabhängig davon, wer das jeweilige „Haus“ betreibt, lassen sich die Gefangenen generell zu für die Unternehmer traumhaften Sonderkonditionen ausbeuten: keine Streiks, keine Gewerkschaften, keine Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Die von den Betrieben gezahlten Löhne sind derart niedrig, daß sie mit denen in sogenannten Billiglohnländern ohne weiteres konkurrieren können.

Langfristig wäre auch in Deutschland eine Situation denkbar, in der die Justiz für hinreichend Nachschub zur Aufrechterhaltung privater Knäste sorgen müßte. Schon heute sitzt in der Berliner JVA Tegel ein Drittel der Gefangenen wegen nichtbezahlter Mietrechnungen oder Fahrscheingebühren ein. Wenn mit Gefängnissen Geld verdient werden soll, muß es auch genügend Gefangene geben.