RotFuchs 204 – Januar 2015

Wie DDR-Erfahrungen den Agrarsektor vor dem Ruin bewahrten

Im Osten was Neues

Eberhard Herr

Als ein seit 1945 an der Entwicklung der Landwirtschaft in SBZ wie DDR unmittelbar Beteiligter und Mitgestalter des Neuen, stehe ich nun im 87. Lebensjahr. Hinter mir liegen hochinteressante Jahrzehnte, in denen Bedeutendes geschah.

Wir besaßen auf dem Agrarsektor ein sozialistisch-genossenschaftliches System, das neben dem staatlichen Sektor existierte und erstmals in einem Teil Deutschlands verwirklicht wurde.

Im Westen vervollkommnete man lediglich die ökonomischen Prinzipien des traditionellen bäuerlichen Familienbetriebs unter den Bedingungen eines sich beschleunigenden kapitalistischen Konzentrationsprozesses. Das pries man weiterhin als das Nonplusultra bürgerlicher Agrarökonomie.

Wie sieht es heute in einem brandenburgischen Landkreis, meinem Herzberg an der Schwarzen Elster, aus?

In der DDR-Endphase wurde dort die Landwirtschaftliche Nutzfläche (LN), also Äcker wie Grünland, von sechs LPG Pflanzenproduktion, 17 LPG Tierproduktion und vier Volkseigenen Gütern sowie einer Anlage für 2000 Milchkühe bearbeitet. Die mittlere Ackerwertzahl beträgt 28. Mit anderen Worten: wenig fruchtbar.

Die seit 1969 in der DDR-Landwirtschaft verfolgte Spezialisierung hatte große Vorzüge, aber auch gewisse Nachteile, wobei die Positiva zweifellos überwogen. Das zeigt sich besonders auf dem Gebiet der Pflanzenproduktion, wo die seit 1990 in der Nachfolge der LPG vorwiegend auf Genossenschaftsbasis entstandenen landwirtschaftlichen Großbetriebe wesentlich stabiler am Markt sind als bäuerliche Familienbetriebe. Die Grünen hätten natürlich gerne althergebrachte Bauernhöfe anstelle von „Agrarfabriken“. Das aber ist im kapitalistischen Konzentrationsprozeß unserer Tage eine Illusion.

Auf den relativ leichten Böden des Kreises Herzberg – es handelt sich vorwiegend um märkischen Sand – gedeihen vor allem Roggen, Mais, Gerste und Raps.

Die jahrzehntelange genossenschaftliche Produktion in der DDR-Landwirtschaft hatte zur Folge, daß der Gedanke gemeinsamen Arbeitens tief in das Bewußtsein der bäuerlichen Bevölkerung eingedrungen ist. Das war auch eine der Ursachen dafür, daß sehr schnell wieder Genossenschaften entstanden, nun allerdings nach bürgerlichem Recht.

Übrigens gab es während des Prozesses der LPG-Bildung in der DDR auch stabile Mittel- und Großbauern, die sich aus den verschiedensten Gründen der genossenschaftlichen Produktion verweigerten. Viele von ihnen setzten sich in den Westen ab, solange die Grenze noch offen war. Dadurch verlor die DDR-Landwirtschaft nicht wenige Fachleute. Zu den ernsthaften Gründen für deren Weggang zählten das nach Hofgröße gestaffelte System der Ablieferungspflicht für Agrarprodukte und Überspitzungen beim Entstehen der LPG.

Zweifellos hingen Sympathien und Antipathien, die in jedem Dorf eine Rolle spielen, oftmals mit den Besitzverhältnissen zusammen. Es kam auch zu Ungerechtigkeiten bei der Bewertung eingebrachten Eigentums an Boden und Produktionsmitteln. Solche Konflikte setzten sich nach 1989/90 bis zur Bildung der neuen Genossenschaften fort. So mußte im Kreis Herzberg eine gerade erst entstandene Agrargenossenschaft 1991 sogar in Liquidation gehen. Mehrere Inventareinbringer hatten gegen sie gerichtlich geklagt und die Auszahlung des Fondsausgleichs gefordert. Die Justiz gab dem statt. Die Kooperative sollte 150 000 DM zahlen, was ihre Möglichkeiten überstieg. Der Konflikt beruhte auf beim Eintritt in die LPG aus der Sicht der Kläger falsch bewerteten Anlagen und Besitztümern. Ob das bewußt geschehen war oder nur aus Unerfahrenheit , mag dahingestellt sein. Auf alle Fälle führte der Rechtsstreit zur Liquidierung einer neuen Genossenschaft, die eigentlich gut begonnen hatte.

Noch ein Rückblick in die erste Hälfte der 50er Jahre: Für die damalige DDR-Führung war die Existenz von etwa 850 000 einzelbäuerlichen Betrieben bei offener Grenze zwischen zwei gegensätzlichen deutschen Staaten ein erheblicher Unsicherheitsfaktor, der die stabile Versorgung von 17 Millionen Bürgern der Republik in Frage stellte.

Da eine beträchtliche Anzahl von Besitzern einzelbäuerlicher Betriebe die DDR verlassen hatte, fielen immer mehr Höfe an, die nicht mehr bewirtschaftet werden konnten, also auch keine Produktion lieferten. Man schlug sie meist den jungen LPG zu, womit diese maßlos überfordert waren, zumal es an Arbeitskräften mangelte.  In dieser verzweifelten Lage war die Initiative werktätiger Bauern und Landarbeiter, in verschiedenen Bezirken der DDR Produktionsgenossenschaften zu bilden, eine günstige Lösung.

Im Bezirk Erfurt zählte die LPG Merxleben zu den Wegbereitern. Während meines Fachschulstudiums in Weimar besuchte ich sie 1954 mit meiner Klasse. Der damalige LPG-Vorsitzende – er gehörte übrigens dem ZK der SED an – erläuterte uns die Vorteile genossenschaftlicher Arbeit. Im Dorf gab es bereits erste Neubauten, vor allem Ställe. Auch in anderen DDR-Bezirken fanden sich Initiatoren, die auf diesem schwierigen Weg erfolgreich vorangingen.

Bei all dem berücksichtigten wir die konkreten deutschen Bedingungen in der Landwirtschaft, überstürzten nichts und wählten eine stufenweise Vergesellschaftung. Beginnend mit Typ I (genossenschaftliche Bewirtschaftung und von Äckern und Grünland), ging es über den seltenen Mischtyp II zum Typ III, wo auch die Tierproduktion gemeinsam betrieben wurde. Darin unterschied sich die Genossenschaftsbildung in der DDR deutlich von der Kollektivierung der Landwirtschaft in der UdSSR, wo gleich alles Gemeineigentum war.

Noch eine Kuriosität: In Hopfgarten (Kreis Weimar) gab es einen Großbauern, der nie mit seinem Betrieb in die LPG einzutreten bereit war. Da er drei Söhne hatte, die alle mit ihren Familien auf dem Hof tätig waren, kannte er kein Arbeitskräfteproblem und vermochte als Einzelbauer problemlos weiterzumachen. Er war ein erfolgreicher Rinderzüchter mit sicheren Einnahmen. Die LPG Hopfgarten bot ihm an, eine große Herdbuchherde aufzubauen und dabei die Leitung zu übernehmen. Das lehnte er ab. Zwangsmaßnahmen gegen ihn gab es nicht. Auch so etwas gehörte zur Realität der DDR.

Noch ein Wort zur heutigen Besitzstruktur in der Landwirtschaft des Kreises Herzberg. Nach wie vor überwiegen dort Großbetriebe, die rund 61 % der LN bewirtschaften und die meisten Arbeitsplätze im Kreismaßstab anbieten.

Man stelle sich einmal vor, 1991 seien im Osten sämtliche Großbetriebe zerschlagen worden und nur Einzelbauern übriggeblieben. Ein totales Chaos hätte sich nicht vermeiden lassen.