RotFuchs 225 – Oktober 2016

Iranische und türkische Kommunisten
einig in der Wertung der Entwicklungen
in der Türkei

Ghassem Niknafs

Die Führungsgremien der kommunistischen Parteien Irans und der Türkei wandten sich jüngst an die Öffentlichkeit im In- und Ausland. Getragen von gegenseitiger solidarischer Verbundenheit bringen ihre Erklärungen die übereinstimmende Einschätzung des Charakters der Entwicklungen am Bosporus zum Ausdruck sowie die klare parteiliche Haltung der Tudeh-Partei Iran gegenüber dem Kampf der Kommunisten, aller progressiven Kräfte der Völker der Türkei und insbesondere für die vom türkischen Regime gnadenlos bekämpften Kurden. Sie solidarisieren sich mit deren standhafter Gegenwehr angesichts des offenen Krieges gegen mehr als 20 Prozent der Bevölkerung des Landes, den das AKP-Regime ungeachtet der enormen zivilen Opfer und der deutlichen Kritik selbst seitens enger westlicher Partner führt.

Die Tudeh-Partei erklärt: „Die abenteuerlichen Aktionen von Teilen des türkischen Militärs mit dem Putschversuch gegen die Regierung der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) haben das Land und die gesamte Region in eine gefährliche Situation gestürzt.“

Die iranischen Kommunisten verurteilen den Putsch prinzipiell und würdigen, daß sich die Türkische Kommunistische Partei in ihrer ersten Stellungnahme danach von diesem entschieden distanziert und gleichzeitig das Vorgehen der islamistischen AKP-Regierung schärfstens kritisiert.

Die türkischen Kommunisten rufen „alle Anhänger des Friedens, der Demokratie und Gerechtigkeit in der Welt“ auf, zu erkennen, daß „keine der Seiten dieses Konflikts die Interessen des Volkes repräsentiert“ und „einzig und allein die Kraft des Volkes die AKP stürzen kann“.

Während diese alles versucht, zu beweisen, daß allein dieser Putsch sie zwinge, das Land von der Opposition zu „säubern“, will sie auf diesem Weg ihre eigene Macht stärken und den Weg zur Installierung einer autokratischen islamistischen Diktatur bereiten. Deshalb ist es geboten, daß die wahren Freunde der Völker der Türkei ihre Solidarität mit den demokratischen Kräften des Landes bekunden und helfen, die Einheit aller Patrioten, insbesondere der arbeitenden Bevölkerung, im Kampf gegen Erdoğans anmaßendes Vorgehen zusammenzuschweißen. Beim Putschversuch vom 15. Juli ging es um die Auseinandersetzung „von zwei oder mehr Cliquen im Staat mit gleichem Klassenhintergrund und gleicher Ideologie. Es ist eine Tatsache, daß diese Cliquen, die seit Jahren gemeinsam handelten, nicht wirklich voneinander zu trennen sind. Genauso ist es eine Tatsache, daß es nicht möglich ist, daß die eine Seite von ihnen etwa völlig in Unkenntnis über die Pläne der anderen sein konnte. … Trotzdem war der Versuch vom 15. Juli nicht, wie von vielen angenommen, ein persönlich von Erdoğan geplantes blutiges Szenario, sondern ein realer Putschversuch. Allerdings bezweifeln die türkischen Patrioten, daß die Gülen-Bewegung hauptsächlich oder gar allein hinter dem Staatsstreich gestanden habe. Das stellten die Erdoğan-Kräfte allein schon durch die massenhaften Repressionen und Säuberungen in allen zivilen und militärischen Bereichen des gesamten Staates selbst deutlich infrage.“

Die Kommunisten geben zu bedenken, daß alle Offiziere, die am Putschversuch teilnahmen – sicher stellen sie nicht deren Mehrheit –, der Gülen-Gemeinde angehören, die ihrerseits vielgestaltige Verbindungen zu den USA hat. Einen Putsch im NATO-Mitgliedsstaat Türkei ohne Wissen oder ohne Einverständnis der USA betrachten sie als unmöglich. Und die Unterstützung der US-Regierung für die AKP ist der Hauptgrund dafür, daß die Offiziere, die mit der AKP in Konflikt gekommen waren, nicht längst versucht haben zu putschen.

Hinzu kommt, daß nicht zuletzt das immer deutlicher werdende Fiasko der türkischen Syrien-Politik die Beziehungen zwischen Erdoğan und einigen imperialistischen Ländern tief erschüttert. Das Ereignis am 15. Juli muß auch im Kontext mit diesen Spannungen gesehen werden. Bemerkenswert ist deshalb das zögerliche Bekenntnis der Solidarität seitens der USA und anderer NATO-Partner mit Erdoğan, und das, nachdem der Putschversuch gescheitert war.

Die Erklärung des Plenums des ZK der KP der Türkei vom 17. Juli 2016 charakterisiert Erdoğan als „Politiker, der den Interessen des internationalen Monopolkapitals dient und außenpolitisch manövriert, um sich selbst zu retten. Denken wir an sein Verhältnis zu Rußland und seinen Wendungen gegenüber dem IS. Der reaktionäre islamistische Politiker ist erwiesenermaßen ein Feind des werktätigen Volkes, der sich nicht von den Putschisten unterscheidet, die ihn entmachten wollten. … Ein Erfolg des Putsches, eines volksfeindlichen, amerikanisch orientierten Putsches, wäre keinesfalls eine Wohltat für das Land gewesen.“ Das erleichtert Erdoğan das demagogische Manipulieren mit Massen von Anhängern auf der Straße.

„Wir Kommunisten und aufrechten Demokraten stellen die Frage: Wie weit muß Erdoğan noch gehen, damit die Herrschenden in Deutschland die Geschehnisse ernsthaft verurteilen und das ,Flüchtlingsabkommen‘ kündigen. Die Milliarden, die Erdoğan und seiner Clique in den Rachen geworfen werden, wären anders besser für die Flüchtlinge einzusetzen. Mit Entsetzen sehen wir auch, daß in der Bundesrepublik Opfer und Gegner des türkischen Regimes, die in Deutschland keinerlei strafbare Handlungen begangen haben, strafverfolgt werden.“ Menschen, die schon in der Türkei eingekerkert waren, werden erneut zu Haftstrafen verurteilt, wie jüngst in Prozessen in Hamburg und München geschehen. Und das Maß der unsäglichen Heuchelei der Merkel-Regierung wird durch intensivierte deutsche Waffenlieferungen an Ankara weiter gesteigert.

Ghassem Niknafs, Hamburg und Bernd Fischer, Vorbeck