RotFuchs 233 – Juni 2017

Kurz kommentiert

Dr. Matin Baraki

Wer seinen Sieg nur mit unlauteren Methoden erzielen kann, hat schon verloren. Zuerst an Redlichkeit und Glaubwürdigkeit, womit ein immenser Vertrauensverlust einhergeht. Recep Tayyip Erdogan hat den Bogen überspannt, weil er rücksichtslos sein Amt mißbrauchte: für eine Propagandaschlacht nie erlebten Ausmaßes, um die Massen auf sein persönliches Karriereziel einzuschwören.

Anscheinend hat er geahnt, wie eng es werden würde. Bekam er bei der Parlaments­wahl im November 2015 zusammen mit den rechtsextremen Nationalisten noch 61 Prozent der Stimmen, versetzten ihn die Prognosen vor dem Referendum offenbar in Panik. Nichts blieb mehr dem Zufall überlassen. Die Maschinerie wurde aufs Gleis gesetzt, der Apparat umgebaut.

Deutlich zu sehen an dem vorab auf Linie gebrachten Hohen Wahlrat. Rechtzeitig sind drei Mitglieder der Leitung, 221 Mitarbeiter und sämtliche Richter durch neue Personen ersetzen worden. Der Autokrat erwies sich als überaus vorausschauend. Der neue Wahlleiter erfüllte alle Erwartungen. Er ließ Wahlmanipulationen zu, bis dahin ein Novum in der Türkei.

Er erklärte nicht abgestempelte Wahlzettel und Briefumschläge für gültig, obwohl das gegen geltendes Recht verstößt, wissend, daß das bei einem so knappen Ergebnis den Ausschlag geben kann. Nur 1,5 Millionen Stimmen betrug der Unterschied. Bei anderthalb bis zweieinhalb Millionen unautorisierter Wahlzettel hätte das Nein-Lager vielleicht gewonnen. Statt jetzt die Zweifel auszuräumen, werden sie vom Tisch gewischt und die internationalen Wahlbeobachter beschimpft.

Daß Erdogan kein anderes als das von ihm gewünschte Ergebnis gelten lassen würde, war vor allem den einheimischen parteiunabhängigen Wahlbeobachtern klar. Fast 1600 Nichtregierungsorganisationen sind seit dem Putschversuch verboten worden, darunter etliche, die sich mit Wahlbeobachtung befaßt haben. Ein offensichtlicher Kampf gegen die Zivilgesellschaft.

Doch auch die wenigen, die noch nicht zerschlagen wurden, durften die Wahllokale bei der Stimmenauszählung nicht betreten, das war nur Parteivertretern erlaubt. Doch die Oppositionspolitiker hatten zu wenige Mitarbeiter, um jedes Wahllokal zu besetzen. Von der kurdischen HDP sitzen Tausende im Gefängnis, andere wurden eingeschüchtert, geschlagen, bedroht.

Anstatt darüber nachzudenken, warum ihm deutlich weniger Menschen folgen, an­statt die Wähler von seinem politischen Großprojekt zu überzeugen, drückte Erdogan seine Pläne mit aller Macht durch. Die fast völlig auf Linie gebrachten Medien folgten seinem Ablenkungsmanöver, dem Streit mit der EU, anstatt die immerhin 18 ein­schneidenden Veränderungen an der Verfassung im Detail zu erklären.

Das Wahlergebnis ist nicht problematisch, weil es knapp war, sondern weil massive Zweifel an seiner Echtheit bestehen. Statt nun wenigstens auf das Nein-Lager zuzu­gehen, polarisiert Erdogan weiter. Es entspricht seinem Politikverständnis, ein Lager um sich zu scharen, gerade groß genug, ihm die Macht zu sichern, und das vom Geist durchdrungen ist: Wir gegen den Rest der Welt.

Schon dieses eigene Lager kann nur mit Druck zusammengehalten werden, denn wer Kritik anmeldet, ist sofort ein Feind.

Es sollte ein Tabu sein, Wahlen, insbesondere ein Verfassungsreferendum, mitten im Ausnahmezustand abzuhalten, Erdogan hat es ignoriert, den Ausnahmezustand unmittelbar nach dem Wahltag verlängert – eine einzige Mißtrauenserklärung dem türkischen Volk gegenüber.

Die Menschen wehren sich trotzdem, sie protestieren ungeachtet drohender Verhaf­tung oder sie entziehen sich dem System, indem sie das Land verlassen oder in die innere Immigration gehen.

Erdogans vermeintlicher Sieg sei eine Niederlage; sein Abstieg vom Gipfel der Macht habe begonnen, allerdings könne der sich hinziehen, kommentiert Sabine Adler im „Deutschlandfunk“ am 22. April 2017.


german-foreign-policy:

Mit einer Neuausrichtung der Bundeswehr reagiert Berlin auf weitreichende Kräfteverschiebungen in der Weltpolitik. Wie es im Entwurf für ein neues Grundlagendokument der deutschen Streitkräfte heißt, müsse in Zukunft die Landesverteidigung wieder stärker in den Mittelpunkt des militärischen Fähigkeitsprofils rücken. Hintergrund ist, daß die globale Alleindominanz des Westens aus den Jahren ab 1990 mit dem Aufstieg Chinas sowie dem partiellen Wiederaufstieg Rußlands tiefe Risse bekommt; vor allem das Erstarken Beijings entspreche einer „langen Linie“ der globalen Kräfteentwicklung, heißt es bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.

Da Berlin sich um jeden Preis eine weltpolitische Führungsposition sichern will, ist mit erbitterten Einflußkämpfen gegen die aufsteigenden Mächte zu rechnen, bei denen – anders als bei den Interventionskriegen des vergangenen Vierteljahr­hunderts – im Falle einer militärischen Eskalation Gegenschläge gegen das eigene Territorium einkalkuliert werden müssen. Die Bundeswehr dringt auf energische Aufrüstung und auf die Unterstellung von Truppenteilen anderer europäischer Staaten unter ihr Kommando. Zugleich soll die Fähigkeit zu globalen Militärein­sätzen aufrechterhalten werden.