RotFuchs 230 – März 2017

Mali – Neue Front für deutsche Soldaten

Martin Kunze

Das im vergangenen Jahr veröffentlichte „Weißbuch 2016“ gilt als wichtigstes sicherheitspolitisches Grundlagendokument Deutschlands. Die sonst übliche Prüfung und Kritik blieb jedoch erstaunlich verhalten. Im Nebel von Terror- und Sicherheitsdebatten und Querelen zur Flüchtlingspolitik wurde es zu wenig wahrgenommen. Dabei sollte doch der darin deutlich gemachte Anspruch, „Führung zu übernehmen“ zu ernsten Fragen Anlaß geben.

Wird Deutschland jetzt in Mali verteidigt?

Wird Deutschland jetzt in Mali verteidigt?

Deutsche Soldaten stehen schon wieder an einer neuen Front. Mit ihrem Dienstantritt im Dezember 2013 öffnete Ministerin von der Leyen ein auf energische Veränderungen zielendes Kapitel im Getriebe der Bundeswehr. Es ging u. a. um Struktur- und Standortänderungen oder darum, die eingeleitete Reduzierung der Anzahl von Soldaten und zivilen Mitarbeiter zu stoppen und zugleich die Anzahl der zum „Auslandseinsatz“ zur Verfügung stehenden Soldaten zu erhöhen. Unter ihrer Ägide entsteht nun mit rund 15 000 Mann eine neue Teilstreitkraft für alle Belange im Cyber-, Informations- und Weltraumbereich. Was, wohl eher ungewollt, die Forderung der Ministerin unterstreicht, „die Bundeswehr zum modernen und flexiblen ,Arbeitgeber‘ zu entwickeln“. Die Verteidigungsausgaben für das von keiner Seite bedrohte Land stiegen von 33,3 Mrd. Euro im Jahr 2013 auf 36,6 Mrd. Euro 2017, und es besteht kein Grund zu bezweifeln, daß das Parlament der Forderung der Bundeskanzlerin zur Erhöhung des Verteidigungsetats 2020 auf 39,2 Mrd. nachkommen wird.

Das vorwiegend vom Verteidigungsministerium erarbeitete „Weißbuch“ verdeutlicht eine weitere gefährliche Stufe der Entwicklung: Ungeachtet geschichtlicher Erfahrungen nimmt Deutschland nicht nur erneut Kurs auf eine militärische Führungsrolle in Europa, sondern strebt nach Schaffung der nötigen Voraus­setzungen danach, überall in der Welt einzugreifen oder, bei „Notwendigkeit“, auch anzugreifen. Und eben dafür läßt die Ministerin Aktivitäten erkennen, die über jene ihrer Vorgänger im Amt hinausgehen. Die Zahl ihrer Reisen, gerade auch in Krisengebiete, nimmt zu. Sie ist „vor Ort“, nicht nur zur Führung von Regierungs­gesprächen in Hauptstädten fern der „Front“, sondern gerne auch bei der „Truppe“. Sie war im noch immer besetzten Kosovo, bei den deutschen Aufklärungsfliegern in Incirlik/Südosttürkei, vielfach im Irak und in Afghanistan (dort zuletzt im Zusammenhang mit der Aufstockung des deutschen Kontingents für „Resolute Support“ auf 950 Mann). Erst kürzlich weilte sie bei den Peschmerga und deren deutschen Hinterlandhelfern in der nordirakischen Wüste, zeigte sich neben einer Phalanx von Kriegern vor der „Schlacht um Mossul“. Zwar wirken deutsche Soldaten nur hinter der Front als Ausbilder, geschossen aber wird mit deutschen Waffen. Da dort „Spezialkräfte“ der US Army an der Seite ihrer Koalitionäre kämpfen und nicht „die Russen“, werden die hier üblichen Greuel nicht zum Mainstream-Thema wie in Aleppo.

Denn: Die Medien berichten bereits vom nächsten Stopp der Ministerin, nun in der nord-afrikanischen Sahara, in Mali. Erneut zeigt ein Foto die Chefin der Bundeswehr vor einer Gruppe von Wüstenkriegern in Tarnfleck, hier mit dem blauen Barett der UN-Truppen. Was will die Bundeswehr in der malischen Wüste – mehr als 4000 km von der deutschen Staatsgrenze entfernt? Wie großzügig legt die Regierung erneut den im Grundgesetz, Artikel 87 a, festgelegten Grundsatz aus, der lautet: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“ Zweifellos hatten die Väter des Grundgesetzes dabei den Schutz des eigenen Landes und seiner Grenzen im Blick. Strebt man in Mali eine Neuauflage der verfehlten „Verteidigung am Hindukusch“ an? Wieder ein wenig „helfen“, aber, wenn notwendig, Angreifer, hier die berüchtigten Reiterscharen der Tuareg, mit Waffeneinsatz zur Ordnung rufen?

Im März 2012 kam es zu einem Militärputsch und einer vorwiegend von den Tuareg geführten Rebellion. Weite Gebiete im Norden Malis wurden erobert, ein Staatsgebilde namens Azawad ausgerufen. Im Januar 2013 begannen französische Truppen mit der Operation „Serval“ die Rückeroberung der Gebiete. Schon am 18. Februar 2013 beschloß die EU eine „Ausbildungsmission Mali“ (EUTM). Ziele: Unterstützung und Beratung der Armee von Mali, vor allem dessen „Verteidigungs­ministerium“, seiner „Führungsstäbe“ sowie die Ausbildung seiner Soldaten. Die Teilnahme an Kampfhandlungen war nicht vorgesehen. An dieser Mission beteiligen sich 25 Nationen, davon 23 aus der EU. Die UN verkündeten mit ihrer Resolution 2100 vom 25. April 2013 den Beginn der Operation „Minusma“. Diese unterstützt die französischen Bemühungen zur Stabilisierung des Staates Mali. Dauer der Operation: ein Jahr mit der Option jährlicher Verlängerung. Am 27. Juni 2013 beschloß der Bundestag die Unterstützung von „Minusma“, zunächst mit 150 Mann, Transport­flugzeugen und einem Tankflugzeug. Acht Monate später überzeugte sich Frau von der Leyen vor Ort von der Situation – mit beachtlichen Folgen. Geplant wurde nun ein verstärkter deutscher Einsatz im als gefährlich eingestuften Norden des Landes. Im Januar 2016 stimmte der Bundestag einer Erhöhung des deutschen Kontingents auf 650 Mann zu, und schon am 3. Februar 2016 trafen die ersten Einheiten in Gao ein, einer Stadt ca. 1200 km von Bamako. Im Juni 2016 bezogen die ersten Einheiten der Bundeswehr das Wüstencamp „Castor“ in der Sahara, unweit von Gao. Die technische Sicherstellung ist bei diesem Einsatz, Medienmeldungen zufolge, von Anfang an beachtlich. Berichtet wird von vier Kampfhubschraubern „Tiger“, vier NH-90-Transporthubschraubern sowie drei Drohnen vom Typ „Heron“. Zur Truppe gehören vor allem Aufklärer, Sanitäter, Fernmelder und Sicherungskräfte. Die Ministerin stimmte Soldaten und Öffentlichkeit „auf einen langen Einsatz in Mali“ ein. Folgerichtig erhöhte das Bundeskabinett im Januar 2017 das Kontingent auf nun 1000 Mann. Die Rede ist von bislang 11 000 Soldaten und Polizisten aus 51 Nationen, die sich an der Aktion Mali beteiligen.

Die Lage in Mali ist unübersichtlich, der Einsatz der Bundeswehr wird als ihr bisher gefährlichster bezeichnet. Berichtet wird von Handlungen der Dschihadisten mit Sprengfallen, Minen, Beschuß mit Mörsern sowie Entführungen. Bis Dezember 2016 meldete „Minusma“ 58 Gefallene. Ein Anschlag der Al-Qaida am 19. Januar 2017 auf ein Lager malischer Truppen in Gao führte zu mehr als 60 neuen Opfern und über 100 Verletzten. Das Lager der Bundeswehr in Gao wurde dabei (noch) nicht attackiert.

Halten wir fest: Deutschland ist bereit, einzugreifen, ob am Hindukusch, in Nahost, am Persischen Golf oder in der Sahelzone. Immer deutlicher auch die Bereitschaft, Waffen an Krisenstaaten zu verkaufen oder sie selbst einzusetzen. Kampfhub­schrauber sind wie schon die Kampf- und Schützenpanzer und Haubitzen in Afghanistan keine Demonstrationsmodelle.

Der Irak wurde verwüstet. In Afghanistan hinterließ der Einsatz an Stelle blühender Landschaften blühende Opiumfelder, brachte Flüchtlingsströme in Richtung Europa. In Libyen wurde ein dem Westen nicht mehr genehmer Diktator gestürzt – zurück blieb ein bis heute nicht regierbares Territorium. Syrien ist nach sechs Jahren von westlichen Stimmen wohlwollend begleitetem Bürgerkrieg ein Trümmerfeld, Millionen Flüchtlinge veränderten auch das gewohnte Leben Mitteleuropas. Die Länder im Umfeld von Mali aber sind noch unsicherer, staatlich weniger gefestigt als z. B. jene im Umfeld von Afghanistan, dem Irak oder Syrien.